piwik no script img

Hanf statt Champagner

Seit 30 Jahren vermarkten die Hanfbauern aus dem Département l’Aude in der Champagne ihren Rohstoff als Baumaterial. Oder als Vogelfutter. Mit ihrer Pferdestreu aus Hanf versorgt die Kooperative sogar die Stallungen der britischen Queen

VON KLAUS SIEG

„Klar, manchmal klauen Jugendliche ein paar Pflanzen – die müssen aber einige Hektar rauchen, um davon high zu werden.“ Bruno Chutry zieht die Schultern hoch. Der THC-Gehalt von Nutzhanf beträgt nicht einmal 0,2 Prozent. Den Hanfbauer ermüdet es, dass Hanf immer nur als Droge von Interesse ist. „Die Pflanze ist so vielseitig nutzbar“, sagt er und sticht die Nadel des Messgerätes in den großen Ballen.

Hinter ihm zieht eine Erntemaschine Staubfahnen über das Feld. Die Herbstsonne schickt ihre letzten wärmenden Strahlen über die Äcker der Champagne. Vor zwei Wochen haben Bruno Chutry und die anderen vier Hanfbauern aus dem Dorf Echemines ihre Felder gemäht. So lange müssen die Pflanzen auf dem Feld trocknen. Maximal 18 Prozent Wasser dürfen in dem Hanf sein, sonst beginnt er im Lager zu faulen und verfärbt sich schwarz. Dann bekommen die Hanfbauern einen schlechteren Preis von ihrer Kooperative.

Der Weg in die Kooperative La chanvrière de l’Aube führt durch eine seichte Landschaft mit Weinbergen. Am Ortseingang wirbt eine riesige Champagnerflasche für die Haupteinnahmequelle der Region. In der Hanf-Kooperative laden Gabelstapler Ballen von Lastwagen. Eine Guillotine von der Größe eines Kleinwagens zerkleinert die Ballen.

Anschließend wird der Hanf gerüttelt, gesiebt und in einer großen Zentrifuge geschleudert, bis sich die Fasern von dem Stängel der Pflanze trennen. Laut rattern die Maschinen in der staubigen Halle, unterlegt vom dumpfen Brummen der Absauganlage. Die Kooperative betreibt die größte Hanfverarbeitung Europas. Dreißig Angestellte arbeiten hier in drei Schichten. Vor 30 Jahren schlossen sich die rund einhundert Hanfbauern der Region zusammen. Grund war die Schließung ihres Hauptabnehmers, einer Papiermühle in der nahen Stadt Troyes. Das Ziel der bäuerlichen Gemeinschaft lag von Anfang an in der Erschließung neuer Absatzmärkte. Heute pflanzen die rund 340 Bauern der Kooperative Hanf auf über 6.000 Hektar an. Das ist über ein Drittel der europäischen Produktion. „Wir verdienen viel Geld mit dem vermeintlichen Abfallprodukt, weniger mit den Fasern und den Samen.“ Yves Betrencourt fummelt die Fasern von der Pflanze. Der Verkaufsleiter der Kooperative kann die festen Fäden kaum durchreißen. Am Ende zeigt Betrencourt einen weißen, dickwandigen Stängel, der an Balsa- oder Holunderholz erinnert. Die Kooperative gewinnt 18.000 Tonnen dieser Stängel pro Jahr. Daraus stellt sie vor allem Tierstreu her. 2.000 Lkw verlassen pro Jahr das Gelände, um Pferdeställe in ganz Europa, aber auch den USA, Kanada, Australien und den Arabischen Emiraten zu beliefern. Prominentester Abnehmer sind die Stallungen des englischen Königshauses. „Hanfstreu ist viel teurer als Stroh, dafür aber zehn mal saugfähiger“, erklärt Verkaufsleiter Betrencourt und lädt zum Kaffee in sein Büro.

Im Foyer des Verwaltungsgebäudes zeugt eine Ausstellung von der Vielseitigkeit der Kulturpflanze Hanf: Ellbogensalbe, Socken, Haushaltsöl, Sonnencreme, Garn, Vogelfutter, Sandalen – und noch manches mehr. Doch die Kooperative ist keine Spielwiese. Papierfabriken in England, Frankreich und Tschechien verarbeiten Hanffasern aus der Champagne. Hanf eignet sich für Spezialpapier in Batterien oder Bibeln, das besonders dünn und reißfest sein muss.

Große Hoffnung setzt die Kooperative auf den Bausektor. Sie beliefert Baumaterialhersteller mit Fasern und Stängeln, unter anderem auch in Deutschland. Die Fasern eignen sich für die Herstellung von Isoliermatten. Die Stängel sind leicht und sehr porös und damit gut für die Dämmung geeignet. Sie werden zu Füllschaum oder Paste verarbeitet, die etwa zwischen Fachwerkbalken geputzt wird.

Die Zukunft soll aber in tragenden Steinen aus Hanf liegen. Daran forscht und entwickelt die Kooperative gemeinsam mit einer Baumaterialfirma in Besançon. Bisher können Blöcke aus Hanf nur für Leichtbauwände, nicht als tragende Teile verbaut werden. „Der Bausektor ist für uns viel wichtiger als die Autoindustrie, die europaweit gerade einmal 2.000 Tonnen Hanf verarbeitet“, erklärt Yves Betrencourt. „Biologisches Bauen liegt im Trend“, so der Verkaufsleiter der Kooperative weiter.

Das wird Bruno Chutry freuen. Mit Hanf erzielt er einen höheren Hektarertrag als mit Weizen. Hanf braucht keine Pflanzenschutzmittel und verdrängt Unkraut durch sein schnelles Wachstum. In gut drei Monaten wird Hanf drei Meter hoch. Bruno Chutry kontrolliert mit seinem Feuchtigkeitsmesser einen weiteren Ballen, den die Erntemaschine aufs Feld kullern lässt.

Mit der Kooperative hat Bruno Chutry einen Abnahmevertrag über fünf Jahre abgeschlossen. Überschüsse werden ausgeschüttet oder investiert, jedes Jahr wählen die Mitglieder den Präsidenten.

Trotz aller Erfolge funktioniert auch der Hanfanbau in Frankreich nur dank EU-Subventionen. Die werden 2006 neu verhandelt und die Hanfbauern in der Champagne müssen dann wahrscheinlich ohne oder mit deutlich weniger Unterstützung auskommen. Erst dann wird sich zeigen, ob die Kooperative La chanvrière de l’Aude eine funktionierende Marktnische erschlossen hat.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen