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Die Frau, die die Fremden reinholt

PANTER PREIS Bettina Theresa Ismair, die vierte Kandidatin, kümmert sich im oberbayerischen Markt Schwaben um Asylbewerberfamilien

Panter Preis

Die KandidatInnen: Die sechs Nominierten werden bis zum 31. Juli in der sonntaz vorgestellt, anschließend noch einmal alle zusammen. Weitere Informationen und alle Porträts zum Nachlesen unter www.taz.de/panter

Die Preise: Die taz vergibt den LeserInnenpreis und den Jurypreis. Beide sind mit je 5.000 Euro dotiert. Am 1. August beginnt die LeserInnenwahl. Abstimmen kann man mit einem Online-Formular auf taz.de/panter, per Fax an die Nummer (0 30) 25 90 21 50 oder per Postkarte an die taz, Panter Preis 2009, Rudi-Dutschke-Str. 23, 10969 Berlin. Einsendeschluss ist der 29. August 2009.

Die GewinnerInnen beider taz Panter Preise 2009 werden erst am 19. September auf der Bühne der Komischen Oper in Berlin bekannt gegeben.

VON ANNIKA KÜHN

Bettina Theresa Ismair tanzt auf vielen Hochzeiten: Auf saudi-arabischen, irakischen, afghanischen. Regelmäßig flattern der 46-Jährigen kunstvolle Einladungen in fremden Sprachen ins Haus. Die Menschen, die sie ihr schicken, hat Ismair einst mit offenen Armen empfangen. Und sie hat unerbittlich gekämpft, damit sie und ihre Familien in Deutschland bleiben durften. Die Einladungen sind auch ein Dank.

In der Tat hat die Oberbayerin vielen Asylbewerbern und Zuwanderern in ihrem Heimatstädtchen Markt Schwaben ein neues Zuhause geschenkt – nur, in dem sie Geduld und viel Zeit aufgebracht hat.

Die Geschichte von Ismairs Integrationsinitiative „Offenes Haus – offenes Herz“ begann vor acht Jahren. Eigentlich wollte die Frau, die sich selbst als „urbayerisch“ bezeichnet und gerne knitterfreie Blusen trägt, ein Gespräch mit der Lehrerin ihres Sohnes führen, um sich über dessen Entwicklung im ersten Schuljahr zu informieren. Doch der bereiteten drei andere Schüler solche Sorgen, dass sie Ismair von ihnen berichtete. „Ganz aufgelöst hat sie mir erzählt, dass drei afghanische Asylbewerberkinder in der Klasse wären und dass die nichts hätten als das, was sie auf dem Leib tragen“, erzählt Ismair von jenem Tag. „Ich hab mir dann gedacht: Mei’ Gott, ist das furchtbar. Die armen Kinder.“

Echt? Armut bei uns?

Kein Wunder. Ismair selbst lebt in einem bayerischen Kleinstadtidyll: Bereits in der fünften Generation ist ihre Familie in Markt Schwaben ansässig. Sie kennt jeden, jeder kennt sie. Ihre beiden Söhne sind Musterschüler, ihr Mann ist IT-Spezialist, ihr Haus adrett. „Ich bin unheimlich dankbar, dass meine Kinder das erleben dürfen“, sagt sie. „Dass wir ein Stück Erde haben, auf dem wir heimisch sind. Und ich finde, dass man Leuten, die so etwas nicht haben, nicht die Tür vor der Nase zuschlagen sollte, sondern sie reinholen.“

Zu Hause begann Ismair herumzutelefonieren. Stundenlang sprach sie mit anderen Eltern aus der Klasse, bat sie um Kleidung und Schulsachen für die afghanischen Kinder. Aber nur wenige waren bereit, etwas zu geben. „Viele haben neutral reagiert. Nach dem Motto: Was geht mich das an?“, erinnert sie sich. „Und welche, die sind richtig böse geworden: ‚Was? Echt? Die sind bei uns? Da schreiben wir jetzt sofort ans Schulamt!‘“

Am Ende hatte Ismair gerade einmal vier Mitstreiterinnen gefunden, die bereit waren zu helfen – nicht nur mit Winterstiefeln und Rucksäcken, sondern auch beim Umsetzen ihrer Idee für eine Nachmittagsbetreuung der ausländischen Erstklässler.

„Mir war klar, dass sie, wenn sie in Deutschland ankommen wollen, nicht nur in irgendeine Institution wie die Schule gehen müssen, sondern mit zu uns nach Hause“, sagt Ismair. Also arrangierte sie in der Schule ein Treffen mit den afghanischen Müttern – mit Dolmetscher und einem fertigen Plan. „Wir wollten die Kinder an jedem Mittwoch vom Schulhof abholen und sie dann mit zu uns nehmen, dort mit ihnen spielen, Hausaufgaben machen und Deutsch üben.“

Die Afghaninnen zögerten zunächst, ihre Kinder zu Fremden zu schicken. Aber sie willigten ein. Auch die selbstbewusste Ismair war beim ersten Mal aufgeregt: „Ich wusste ja gar nicht, wie wir uns verständigen sollten“, sagt sie. „Aber zum Glück weiß man als Mutter, dass ein Kind – egal welche Hautfarbe es hat – bestimmte Bedürfnisse hat.“

Am dritten Mittwoch standen neben den drei afghanischen Kindern dann plötzlich noch elf weitere aus aller Herren Länder auf dem Pausenhof und warteten darauf, abgeholt zu werden. Zu viele, um von nur fünf Müttern betreut zu werden. „Ich hab dann die Eltern aus anderen Klassen gefragt, sodass wir schließlich zwölf Mütter waren, die sich beteiligt haben.“

„Nicht nur ich habe diesen Menschen etwas beigebracht, auch sie mir“

Panter-Kandidatin Bettina Ismair

Dass die Arbeit mit den ausländischen Kindern allein nicht ausreichte, merkte Ismair schnell. Sie begann im Asylbewerberheim, Deutsch zu unterrichten – mit Prospekten von Aldi und Kinderbüchern. „Als Dank haben uns die Familien eingeladen. Und dann hab ich erst mal gesehen, wie es in der Unterkunft ausschaut“, erzählt sie. Spärliche Möbel, kahle Wände, ein undichtes Dach – für Ismair, die in einem properen Einfamilienhaus wohnt, unhaltbare Zustände. „Ich hab dann bei der Regierung von Oberbayern angerufen und gesagt: Kürzt die Miete! Tut was!“

Ismair begann nun, sich auch um rechtliche Belange der Menschen aus der Unterkunft zu kümmern: Sie verfasste Widersprüche, telefonierte mit Ämtern, beschwerte sich beim Bürgermeister, besorgte Anwälte. Bei den Gesprächen mit den Institutionen scheute sie sich nie, ihre Position im Vermietungsbüro des Pfarramts oder ihre frühere Arbeit bei der Stadt München zu erwähnen, um ihr Ziel zu erreichen. Mit Erfolg: Dank der Beharrlichkeit der Beamtin konnte die Abschiebung einer afghanischen Familie verhindert werden. Eine angolanische erhielt eine Sozialwohnung, obwohl das Asylverfahren noch lief. „Ich weiß nicht, was die gemacht hätten, wenn ich da nicht rausmarschiert wäre“, sagt Ismair mit kräftiger Stimme.

Inzwischen betreut Ismair zwar keine Grundschüler mehr, koordiniert aber die Arbeit der Offenen-Haus-Mütter, organisiert internationale Kochabende und hilft Jugendlichen aus Zuwandererfamilien, Lehrstellen zu finden. „Mein Tag müsste 48 Stunden haben“, sagt sie. „Wenn meine Familie das nicht mittragen würde, wäre entweder mein Engagement schnell vorbei gewesen oder die Beziehung von mir und meinem Mann.“

Baklava und Safrantee

Auch an diesem Tag ist Ismair wieder einmal bei gleich zwei ihrer Schützlingsfamilien zum Essen eingeladen. Sie wird Baklava essen, Tee mit Safran trinken und ein paar Brocken Afghanisch oder Arabisch sprechen – alles Dinge, die sie vorher nicht kannte. „Nicht nur ich habe diesen Menschen etwas beigebracht, auch sie mir“, sagt Ismair. „Ich weiß zu schätzen, was sie aus ihren Kulturen mitbringen, und das würden garantiert noch mehr Leute tun, wenn sie sich nur etwas mit ihnen beschäftigen würden.“

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