: „Die Leute aus ihrer Resignation reißen“
Alexander Künzel will seine Ideen nicht als Vorlage für neoliberale Kürzungsorgien verstanden wissen. Doch fordert er Umdenken: Wir müssen als Konsumenten öffentlicher Leistung sagen, so geht es nicht weiter. Sonst sehe ich keine Perspektive.
Just in der Zeit, als der Kanzlerbrief sich als Flopp entpuppte und der Koalitionsausschuss die Sparschraube drastisch anzog, kam Alexander Künzel mit seiner Forderung nach mehr bürgerlichem Engagement und Generationengerechtigkeit ins Gerede. Zufall? Gutes Timing? Weder noch, sagt der Vorstand der Bremer Heimstiftung.
taz: Hat sich der Senat schon bei Ihnen bedankt?Alexander Künzel: Nein. Und uns als Stiftung geht es um etwas viel weitergehendes als um die aktuellen Bremer Spardebatten: Wir beschäftigen uns mit der Frage, was ist Generationengerechtigkeit? Generationengerechtigkeit kann nicht sein, dass wir heute Schulden machen zu Lasten unserer Kinder. Wenn wir nicht eine Zäsur machen und als Konsumenten öffentlicher Leistung sagen, so geht es nicht weiter, dann sehe ich keine Perspektive. Nicht nur für Bremen, sondern für das ganze System.
Dennoch kommt Ihr Beitrag zu einem Zeitpunkt, an dem er die Sparappelle des Senats wunderbar flankiert.Das sehe ich anders. Wir fragen nicht, wie viel Staatlichkeit wir uns leisten können, sondern, wie wir eine Bürgergesellschaft organisieren können, die nach 40 Jahren traditionellem Verteilungsstaat nicht vom Himmel fällt. Das geht nur, wenn wir investieren: in Köpfe, in Ausbildung, in Profis, die das Wecken und Begleiten ehrenamtlicher Tätigkeiten nicht als lästige Nebentätigkeit betrachten, sondern als Kern professioneller Identität.
All das sagen Sie nicht erst seit gestern. Aber warum, glauben Sie, erweckt Ihr Beitrag gerade jetzt soviel Interesse?Weil er sich zum Missbrauch eignet. Man kann ihn nehmen als Steilvorlage für neoliberale Sparpolitik. Wer das tut, der versteht ihn mit Vorsatz falsch. Uns geht es um etwas völlig anderes: darum, dass das Verhältnis von Staat und Bürger sich grundsätzlich ändern muss – weg vom Konsumgefälle hin zu einer Gleichberechtigung. Ein konkretes Beispiel, bitte.Wenn man durch Sparmaßnahmen zu einem Umbau heutiger Strukturen in Institutionen kommt, dann darf nicht nur die Sparkeule geschwungen werden, dann müsste parallel dazu auch eine Vision, ein Aufbruch stehen. Und der müsste so aussehen: In jeder Schule, jedem Kindergarten, jedem Altenheim ist ein Profi nur damit beschäftigt, das Neue aus der Taufe zu heben. Es gibt in Bremen traumhafte Beispiele: die Volkshochschule oder die Freiwilligenagentur. Profis wie diese müssten flächendeckend alle Beschäftigten im Öffentlichen Dienst auf einen neuen Kurs einstimmen und die Leute aus ihrer Resignation und Verzweiflung rausreißen. Wir können nicht nur den Abbau betreiben, wir brauchen handfeste Programme für eine Neuorientierung, die natürlich auch die Bürger in die Pflicht nimmt – aber das nicht verschämt, sondern indem man den emanzipativen Grundgedanken deutlich macht. Die Leute engagieren sich im Sportverein, warum dann nicht in der Nachbarschaft? Das ist doch ihre Zukunft.
So wie es jetzt aussieht, ist Bremen auf halber Strecke stehen geblieben: Es geht hier nur ums Sparen und nicht darum, etwas anderes auf den Weg zu bringen.Das ist ja erst der Anfang. Ich merke bei ganz vielen ein Interesse für solche Ideen.
Finden Sie die Freiwilligenarbeit in Bremen ausreichend unterstützt?Natürlich nicht. Aber es gibt Mut machende Pflänzchen. Wenn jetzt in den gewachsenen Strukturen gespart wird, was ich übrigens für unvermeidlich halte, dann muss aber zugleich in neue Strukturen investiert werden. Projekte in Süddeutschland oder Holland zeigen: Bürgerbeteiligung fällt nicht vom Himmel, sondern braucht massive öffentliche Unterstützung. Wir brauchen eine Umverteilung weg von den alten Kartellen von Personalräten bis professionellen Verbänden hin zu einer ganz neuen Graswurzel-Landschaft.
Sie beschränken sich in Ihrem Text auf die öffentliche Hand und die Bürger im allgemeinen– dass es in diesem Land aber sehr viel Geld gibt, bei großen Unternehmen wie bei Einzelpersonen, das lassen Sie völlig außen vor. Müssten die nicht mehr in die Pflicht genommen werden?Das ist nicht mein Thema. Die große Verteilungsdiskussion will ich nicht aufmachen, die beherrsche ich nicht. Ich gehe aus von der Heimstiftung, deren Wurzeln bis auf 1499 zurückreichen – seit 506 Jahren sind wir also irgendwie dabei. Der Zeitraum der vergangenen 40 Jahren ist somit eine kleine Periode gewesen, in der sich in den Köpfen festsetzte, dass für Wohl und Wehe andere zuständig sind. Natürlich kann man noch drei weitere Demos gegen die Sparbeschlüsse auf dem Marktplatz veranstalten – aber es wird nichts bringen. Denn es bleibt dabei: Zurzeit verfrühstücken wir das Geld unserer Kinder, in einer verantwortungslosen Art und Weise. Aber für eine notwendige Umsteuerung vermisse ich in Bremen Rückenwind auf allen Ebenen.
Interview: Susanne Gieffers
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