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Der gefühlte Kanzlerkandidat

Breaking News: Jeder Dritte wünscht sich Christian Wulff als CDU-Kanzlerkandidaten für die Wahl 2006. Soll er ran?

Christian Wulff muss kandidieren! Denn er ist die Heidi Klum der CDU: natürlich erfolgreich, ein Modell aus und für Deutschland.

Ein freundlich, sympathisches Lächeln – so müssen sie aussehen, die Lichtblicke, die Deutschland so sehr braucht. Keine Depression. Keine Verlebtheit. Frisch und fit, für alles, was kommt. Das Lächeln Marke „Heidi Klum“: Immer artig, fröhlich, locker. Allen Widerständen trotzend, einfach nach oben gelächelt. Vom „Mädchen aus dem Rheinland“ zum body der New Yorker Modeszene. So sieht das neue Deutschland aus. Kein Scheitern an den Herausforderungen des globalen Wettbewerbs. Kein Jammern. Regeln Nummer 1 und 2 des Klum’schen Erfolgskonzepts (zitiert aus Klum, „Natürlich erfolgreich“, S. 6ff.): „Du musst es wollen!“ und „Verkauf’s!“ (Image).

Das Männchen aus Niedersachsen hat diese Regeln von Beginn seiner Karriere an stetig optimiert: Als Bundesvorsitzender der Schüler-Union, als einer, der bei den coolen Jungs in der Raucherecke steht, aber nicht raucht. Der die Schultasche des Lehrers nie tragen würde, aber es selbstverständlich höflich anbietet. Der seine Ämter als Vorsitzender abgibt, um sein Examen top zu absolvieren. Der nicht mal Skandale braucht, um sich nicht interessant zu machen. Der trotz einer ersten Niederlage bei der Kandidatur für das Ministerpräsidentenamt: lächelt. Weil er weiß, dass alles gut wird: „Du musst es wollen!“

Ahnen ließ sich dies alles freilich schon, als er 1991 selbst den Bundesfachausschuss Frauenpolitik locker in die Tasche steckte und nebenbei die „CDU-Grundsatzprogrammkommission“ (siehe www.christian-wulff.de) überlebte. Was freilich aber niemand weiß – egal: Ein Christian Wulff macht eine prima Figur als Kanzlerkandidat. Gefährlich werden könnte dem perfekten CDU-Kanzlerkandidaten-Model eigentlich nur mehr eine: Heidi Klum. SL

Christian Wulff darf nicht kandidieren! Denn hinter der harmlos-farblosen Fassade lauert eine japanische Comic-Figur, vielleicht sogar Godzilla.

Aus repräsentativen Umfragen und überfüllten U-Bahnhöfen kläfft es uns dieser Tage immer häufiger entgegen: Wulff, Wulff, Wulff. Sogar meine Mutter, in politischen Dingen eher unbeleckt, fragte unlängst am Telefon: „Und was ist mit diesem Wolf?“ – „Wulff“, korrigierte ich mild, war damit aber auch fast schon am Ende mit meinem Latein.

Hätte das ZDF statt „Kanzleramt“ eine Serie über eine fiktive „Staatskanzlei“ gedreht, dann wäre Christian Wulff die ideale Besetzung für die Rolle des Ministerpräsidenten gewesen. Aber Kanzlerkandidat? Hm. Schauen wir uns Wulffs Benutzeroberfläche an: sein Gesicht, genauer, sein Große-Koalition-Gesicht.

An Angela Merkel lassen sich mariannengrabentiefe Sorgenfalten beobachten, bei Edmund Stoibers der männliche Makel der sich lichtenden Haare, bei Roland Koch das Rätsel seiner seltsam sinnlichen Lippen – am Gesicht von Christian Wulff aber rutscht der Blick einfach ab. Er findet keinen Halt, weil in diesem Gesicht keine Geschichten wohnen. Bei einem Lafontaine mag der Eifer, bei einem Westerwelle die Geltungssucht sichtbare Spuren hinterlassen haben.

Wulff wirkt insofern fast unschuldig, als wäre er für alle Einflüsse noch offen. Wieso können sich Wählerinnen und Wähler plötzlich mit einem solchen Nichtgesicht identifizieren? Aus genau dem selben Grund, der Kinder zwingend für die Helden japanischer Zeichentrickfilme wie „Heidi“ einnimmt. Denn in diesen Comics sind sogar die unwichtigsten Nebenfiguren liebevoll und detailliert gezeichnet, erkennbar gemacht, charakterisiert. Nur das Gesicht der Hauptfigur bleibt undefiniert, bleibt Punkt, Punkt, Komma, Strich – und ist deshalb die ideale Projektionsfläche. Dahinter lauert das blanke Nichts. Wie übrigens auch bei Heidi Klum. FRA

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