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Ein neuer Kick für Kirgisien

Der Oppositionspolitiker Bakijew aus dem Süden wird Ministerpräsident. Doch sein Rivale Kulow aus dem Norden strebt bereits das Präsidentenamt an

„Wir haben die Verfassung zu oft gebrochen. Jetzt müssen wir wieder auf den Boden des Gesetzes“

AUS BISCHKEK MARCUS BENSMANN

Wütend beschimpft eine ältere Kirgisin den jungen kirgisischen Abgeordneten Umorbek Bobonow. „Ihr habt uns betrogen, ihr habt kein Recht, in unserem Parlament zu sitzen!“, faucht die Frau und packt den kantigen Leibwächter des Abgeordneten am Kragen. Rund 300 Menschen demonstrieren vor dem im klassizistischen Stil erbauten Parlamentsgebäude gegen die Einsetzung des neuen kirgisischen Parlaments in Bischkek. Die zornigen Menschen fühlen sich um die Früchte der Revolution betrogen, die am Donnerstag den kirgisischen Präsidenten Askar Akajew außer Landes getrieben hat.

Eine der Hauptforderungen der siegreichen kirgisischen Oppositionsbewegung war die Annullierung der gefälschten Parlamentswahlen und die Auflösung des daraus resultierenden Parlaments. Für Doischon Tschotonow, dessen Klanmitglieder an der Erstürmung der weißen Hauses in Bischkek den entscheidenden Anteil hatten, ist die Anerkennung des neuen Parlament nichts anderes als Verrat. „Wenn die so weitermachen, wird das Volk auch noch das Parlament stürmen“ orakelt Tschotonow. Anscheinend gehe es den meisten Oppositionellen nur um die Erlangung von Macht und Mandat, sagt der enttäuschte Revolutionär.

Der Abgeordnete Bobonow bahnt sicht mithilfe seiner Leibwächter den Weg in das Parlament. Zuvor versucht er noch, die Menschen davon zu überzeugen, dass nicht in allen Wahlkreisen gefälscht worden ist. „Ich habe meine Stimmen ehrlich errungen“, sagt der smarte Jungpolitiker. Man solle jeden Wahlkreis überprüfen und dort, wo es Fälschungen gegeben habe, dies mithilfe von Gerichten klären, schlägt Bobonow vor, bevor er im Parlamentsgebäude verschwindet. Der Parlamentarier leitet im Hauptberuf die finanzkräftige Ölhandelsfirma Allianz und gehört zu der Schicht der neuen, jungen kirgisischen Unternehmer. In das neue Parlament wurden vor allem Akajew-hörige Geschäftsleute und 25 Parteigänger des geflohenen kirgisischen Präsidenten hineingedrückt. Auch die Tochter und der Sohn des kirgisischen Präsidenten hatten einen Platz in diesem Parlament bekommen, das jetzt nach dem Willen der neuen Herren in Kirgistan die legislative Macht innehaben soll.

Zuvor hatte sich in dem unübersichtlichen Labyrinth aus Gängen und Treppen des Parlamentsgebäudes drei Tage lang ein Verfassungskrimi abgespielt, in dem es darum ging, welches der Parlamente – das alte oder das neu gewählte – in dem zentralasiatischen Staat nach der Machtumwälzung das Sagen haben soll. Auf der einen Seite stand das aus zwei Kammern bestehende alte Parlament, dessen Legislaturperiode in der Umsturznacht am Donnerstag vom Verfassungsgericht bis zum 14. April verlängert wurde. Die Oberste Kammer ernannte Kurmanbek Bakijew, den Oppositionsführer aus dem Süden, zum Ministerpräsidenten, der zugleich die Vollmachten des geflohenen Präsidenten erhielt. Weiter wurde der unter Akajew inhaftierte frühere Geheimdienstchef Felix Kulow per Parlamentsbeschluss aus dem Gefängnis befreit und zum Koordinator der kirgisischen Sicherheitskräfte ernannt, um den Plünderungen in Bischkek Einhalt zu gebieten.

Bakijew erhielt vom Parlament die Vollmacht, eine neue provisorische Regierung zu bilden. Am Samstag setzte das alte Parlament die Präsidentschaftswahlen auf den 26. Juni an. Seine Legislaturperiode wäre damit bis nach den Juniwahlen gesichert gewesen, denn die Verfassung verbietet die Auflösung eines Parlaments, wenn Präsidentschaftswahlen anstehen. Samstagnacht jedoch erklärte überraschend die Zentrale Wahlkommission, dass nun doch das neue Parlament legitim sei.

Am nächsten Morgen versammelten sich die Abgeordneten des neuen Parlaments, ließen sich vereidigen und sangen die Hymne. Felix Kulow hatte sich zuvor in einem bonapartistischen Akt ins Parlament gestellt, die neuen Abgeordneten für rechtmäßig im Amt erklärt und ihnen Sicherheitsgarantieren gegeben. Damit war die Sache des alten Parlaments verloren. „Das alte Parlament muss gehen, es hat seine Zeit gehabt“, sagte der neue starke Mann Bischkeks.

Weiter befürworte Kulow, dass über die strittigen Sitze gerichtlich entschieden wird. Er machte aber klar, dass die Tochter Akajew Bermet ihren Parlamentssitz verwirkt habe, da sie zu lange im Ausland war. Die Zweite Kammer des alten Parlaments gab sofort auf, um nicht weiter Öl ins Feuer der hitzigen Debatte zu gießen. Die Vertreter der Ersten Kammer dagegen sträuben sich bis jetzt gegen das unvermeidliche Ende ihrer Amtszeit und beschwören die Gefahr eines neuen Aufstands.

Derweil wählten die einstmals dem geflohenen Akajew hörigen Abgeordneten des neuen Parlaments den Oppositionspolitiker Tekebajew zum Parlamentspräsidenten. „Wir werden jetzt in Verhandlungen Akajew zum Rücktritt bewegen“, sagte der Oppositionspolitiker aus dem Süden. Erst dann können Präsidentschaftswahlen festgesetzt werden. Akajew sei nach wie vor der Präsident, wenn er aber den Rücktritt verweigern sollte, würde man Präsidentschaftswahlen durchführen. „Wir haben die Verfassung in letzter Zeit zu oft gebrochen, wir müssen jetzt wieder auf den Boden des Gesetzes kommen“, interpretierte Tekebajew dieses Vorgehen.

Danach wurde Kurmanbek Bakijew nun auch von diesem Parlament als neuer Ministerpräsident bestätigt. In seiner Antrittsrede beschwor der zum zweiten Mal Ernannte die Menschen, die Barrikaden zu räumen und den Aufbau der daniederliegenden Wirtschaft endlich anzupacken. Die protestierenden Menschen vor dem Parlament wollen davon nichts hören, unter Schlägen muss Tekebajew, der einstige Oppositionelle, vor der Menge flüchten, als er das Parlament verlässt. Kulow versuche mit der Entscheidung für das neue Parlament die alten Anhänger Akajews in sein Boot zu holen, um seine Machtbasis für die kommenden Präsidentschaftswahlen zu vergrößern, erklärt ein Abgeordneter des alten Parlaments Kulows Husarenstreich.

Wie Akajew kommt Felix Kulow aus dem Norden des Landes, er befiehlt nach dem Umsturz alle Sicherheitsstrukturen, die nach wie vor ausschließlich von Akajews Leuten besetzt sind. Und die ehemaligen Anhänger des geschassten Präsidenten machen deutlich, dass sie Kulow unterstützen, um die durch den Umsturz an den Macht gelangten Politiker aus dem Süden des Landes wieder zurückzudrängen. In Kemin, der Heimatprovinz Akajews, haben sich über 800 Menschen zu einer neuen Bewegung zusammengeschlossen, die den Staatsumsturz nicht hinnehmen will. Aber auch sie unterstützen Kulow, denn Akajew hat durch seine Flucht die Achtung selbst in seiner Heimatprovinz verloren.

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