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Blauäugig chatten im Internet

Kinderpornoaffäre: CDU-Abgeordneter Nieting weist alle Vorwürfe zurück. Sein Mandat legte er gestern offiziell nieder, Bürgerschaft und Fraktion tilgten ihn sofort von ihren Homepages. Krisensitzung des Parteivorstandes ohne Ergebnis

Von Sven-Michael Veit

„Pädophile Neigungen habe ich nicht“, beteuert Clemens Nieting: „Sie sind mir fremd.“ Mit einer ausführlichen Stellungnahme ist der Hamburger CDU-Politiker gestern den Vorwürfen entgegengetreten, er habe sich des Besitzes und der Verbreitung von kinderpornografischem Material schuldig gemacht. Am Donnerstag hatte Nieting noch erklärt, er werde sich ausschließlich gegenüber der Staatsanwaltschaft äußern. Diese bestätigte inzwischen, auf den am Mittwoch in Nietings Wohnung beschlagnahmten Disketten einschlägige „Darstellungen“ entdeckt zu haben.

Gestern Vormittag hatte Nieting dem Präsidium der Bürgerschaft offiziell mitgeteilt, dass er sein Abgeordneten-Mandat mit sofortiger Wirkung niederlege. Von der Homepage des Parlaments wurde sein Name umgehend getilgt, bei der CDU-Fraktion wurden sämtliche Angaben zu seiner Person durch den Hinweis auf sein Ausscheiden ersetzt, auf der Website des Landesvorstandes jedoch firmierte er noch am Abend weiterhin als Landesorganisationsleiter.

Diesen Posten in der Parteizentrale am Leinpfad in Winterhude bekleidet Nieting seit 16 Jahren, seit vorgestern ist er zunächst „beurlaubt“. Auf einer Krisensitzung unter Leitung von Parteichef Dirk Fischer beriet der CDU-Landesvorstand seit dem Nachmittag mehrere Stunden lang über mögliche „arbeitsrechtliche Konsequenzen“. Bei Redaktionsschluss dauerte die Sitzung noch an. „Wir stehen alle unter Schock“, sagte Fraktionschef Bernd Reinert, „die Stimmung ist absolut im Keller.“

In seiner eineinhalbseitigen Mitteilung bestreitet der 40-Jährige den Vorwurf der Ermittlungsbehörden, „unter meiner E-Mail-Adresse eine Bilddatei mit kinderpornografischem Inhalt“ an einen Person in Süddeutschland übersandt zu haben: „Der Empfänger der E-Mail ist mir auch nicht bekannt“, beteuert Nieting, dessen Name bei Ermittlungen gegen andere Verdächtige in Baden-Württemberg auftauchte.

„Vor mehreren Jahren“ habe er bei Internet-Recherchen für eine parlamentarische Initiative als Abgeordneter der Bezirksversammlung Nord einen einschlägigen Chatroom aufgesucht, binnen kurzem sei seine Mailbox „übervoll mit entsprechenden Mails“ gewesen. Nieting will diese gelöscht haben, allerdings habe er „Dateianhänge, deren Inhalt erst nach dem Herunterladen erkennbar ist, auf Disketten gespeichert“, die Dateien hätten sich aber nicht öffnen lassen. Da er „einen Diskettenfehler, einen Computervirus oder ähnliches vermutete“, habe er diese Disketten „beiseite“ gelegt: „Dort lagen sie ungenutzt seit Jahren.“ Bei der Überprüfung durch Experten der Polizei werde sich ergeben, glaubt Nieting, „dass die Disketten ggf. beschädigt, auf jeden Fall aber seit vielen Jahren nicht genutzt worden sind“.

Wenn er sich „etwas vorwerfen lassen muss“, so Nieting, „dann einen zu sorglosen Umgang mit dem Internet und eine gewisse Blauäugigkeit“. Mögliche Konsequenzen daraus „habe ich zu tragen“.

Vor der Krisensitzung des Landesvorstandes hatte Parteichef Fischer im Bemühen um eine ausnahmsweise positive Nachricht noch rasch einer weiteren tragischen Figur der CDU gedacht: „Ganz persönlich sehr herzlich“ gratulierte er „Herrn Bundeskanzler a.D. Dr. Helmut Kohl“ zu dessen 75. Geburtstag am Sonntag.

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