: Schön spielen und singen
BERLINER ENSEMBLES (7) Die Staatskapelle Berlin ist eines der ältesten Orchester der Welt. Die Musiker des Orchesters der Staatsoper Unter den Linden freuen sich besonders über den Wechsel zwischen Oper und Konzert
VON TIM CASPAR BOEHME
Ein Orchester mit einer Geschichte von fast 440 Jahren ist zu Traditionssinn verpflichtet. Besonders so es, wie die Staatskapelle Berlin, das bürgerliche Musikleben der Stadt geprägt und mitgestaltet hat. Felix Mendelssohn-Bartholdy, Richard Wagner, Herbert von Karajan – die Zahl der legendären Dirigenten des Hausorchesters der Staatsoper Unter den Linden, seit 1991 unter Leitung von Daniel Barenboim, ist lang. Wie es sich für eines der ältesten Orchester der Welt gehört.
Im Jahr 1570 vom Kurfürsten Joachim II. von Brandenburg als kurbrandenburgische Hofkapelle gegründet, wurde die Staatskapelle 1742 von Friedrich dem Großen zum Opernorchester gemacht. Nach wie vor wird die traditionelle deutsche Sitzordnung gepflegt, bei der die zweiten Violinen nicht links hinter den ersten Geigen, sondern vorn gegenüber Platz nehmen.
Mit der Oper aufgewachsen
Manche Musiker spielen dort schon in zweiter Generation. „Ich bin sozusagen mit der Staatsoper aufgewachsen“, erinnert sich die Violinistin Susanne Schergaut. „Mein Vater hat direkt nach dem Studium ganz jung hier angefangen, und er hat 1955 die Staatsoper miteröffnet.“ Als Schergaut im Jahr 1983, ebenfalls frisch vom Studium, zur Staatskapelle ging, tat sie diesen Schritt bewusst. Das Repertoire der Opernmusik gehörte für sie selbstverständlich dazu. „Wenn man in einem reinen Konzertorchester spielt, entgeht einem viel Musik.“ Schergaut hat nun selbst Orchestergeschichte geschrieben: Im Juni wurde sie als erste Frau in den Orchestervorstand gewählt.
Opernorchester wie die Staatskapelle haben eine Doppelrolle zu erfüllen, die den Spielern einige Beweglichkeit abverlangt. Beim Wechsel zwischen Orchestergraben und Konzertsaal müssen die Musiker sich immer wieder umstellen: „In der Oper lernt man, auf die Sänger zu hören“, so der Klarinettist Matthias Glander, der im selben Jahr wie Schergaut zur Staatskapelle kam. „Man weiß ganz genau: Wenn ein Sänger mit seiner Koloratur noch nicht fertig ist, muss man warten.“ Das helfe im Konzert während freierer Solostellen anderer Musiker. Im Konzertsaal stehen dagegen Brillanz und Exaktheit im Vordergrund. „Die Präzision, die man im Konzert lernt, hilft einem beim Spielen von Opern.“
Ähnlich sieht es der Cellist Claudius Popp. „Der Sinfoniekonzertbetrieb ist immer wieder ein Test und wie eine Art Mahnung. Im Sinfoniekonzert hört man viel genauer.“ Dass er 2003 mit nur 21 Jahren zu Barenboim an die Staatsoper gegangen ist, bereut der junge Musiker keinesfalls: „Ich finde es gut, dass wir beides machen, das bringt Farbe in den Alltag.“
Kammermusik hat im Orchester eine lange Tradition, die große Mehrheit der Musiker spielt untereinander in Ensembles. Schergaut etwa spielt im Kammerorchester Carl Philipp Emanuel Bach, das noch zu DDR-Zeiten von Musikern der Staatskapelle gegründet wurde. Ihre Erinnerungen an die späte DDR sind alles andere als verklärt. „Ende der Achtziger wurde es eine ganz schwierige Zeit“, sagt Schergaut.
„Viele Sänger haben fast nur noch im Westen gesungen. Wir hatten ein Wahnsinns-Sängerensemble, doch die waren zu selten bei uns auf der Bühne.“ Und auch mit der musikalischen Perspektive sah es in der Vorwendezeit nicht gut aus. Das Orchester dirigierte seit 1964 Otmar Suitner, dessen Gesundheit sich in den 1980ern verschlechterte. „Der nächste Chef der Lindenoper sollte deshalb ein Dirigent aus der DDR sein. Es war aber keiner auf dem Niveau da.“
Für die Staatsoper kamen die Wende und Barenboim daher im richtigen Moment. Bis heute ist die Identifikation des Orchesters mit seinem Chefdirigenten auf Lebenszeit sehr stark, ebenso die Bereitschaft zum Einsatz über Dienst nach Vorschrift hinaus. Am allerwichtigsten ist den Musikern der künstlerische Erfolg auf hohem Niveau. Dass sich sein hohes Engagement lohnt, konnte das Orchester mit dem „deutschen Klang“ unter anderem im Mai während einer gefeierten New-York-Reise mit einem Programm aus Mahler-Symphonien unter Beweis stellen.
Freund des Orchesters
Da Barenboim ein ziemlich viel beschäftigter Mann ist, gibt es verschiedene Gastdirigenten, die seinen Platz am Pult übernehmen, wenn er gerade an der Mailänder Scala arbeitet oder sich um das von ihm gegründete West-Eastern Divan Orchestra mit arabischen und israelischen Musikern kümmert. Oder als Solist mit der Staatskapelle auftrifft, wie bei der exzellenten deutschen Erstaufführung von „Interventions für Klavier und Orchester“, einem Stück des US-amerikanischen Komponisten Elliott Carter, zu dem Barenboim eine starke Verbindung hat. Dirigiert wurde das Werk, ebenso wie die Hälfte des New Yorker Mahler-Zyklus, von einem weiteren legendären Komponisten der Gegenwart, Pierre Boulez. Auch er ist längst ein guter Freund des Orchesters geworden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen