: „Wir brauchen eine Schule für alle“
Monika Buttgereit, SPD-Bildungsexpertin, glaubt, dass der Parteitag für Gemeinschaftsschulen stimmen wird: Nur mit einer solchen Vision käme die Partei vor den Wahlen 2006 in die Offensive. Für SPD-Bildungssenator Böger wäre das ein Debakel
INTERVIEW SABINE AM ORDE
taz: Frau Buttgereit, Sie haben den Leitantrag für den SPD-Bildungsparteitag mit formuliert. Was muss sich ändern bei der hiesigen Bildungspolitik?
Monika Buttgereit: Vor allem zwei Dinge: Wir müssen ganz schnell etwas in den sozialen Brennpunkten unternehmen. Dort muss die Situation an den Grundschulen und den Kindertagesstätten verbessert werden. Das spielt im Leitantrag eine große Rolle. Und der zweite Punkt ist die Schulstruktur. Unser gegliedertes Schulsystem ist den Anforderungen der heutigen Wissensgesellschaft offensichtlich nicht gewachsen. Wir schneiden bei allen Untersuchungen sehr schlecht ab: Wir fördern die Schwachen nicht, aber wir fördern auch die leistungsstarken Schüler nicht so, dass sie zu wirklich überragenden Leistungen kommen. Außerdem lassen wir zu, dass die soziale Herkunft eines Kindes entscheidend dafür ist, ob es in der Schule erfolgreich ist. Daran können wir nur etwas ändern, wenn wir zu einer gemeinsamen Schule für alle bis zur zehnten Klasse kommen.
Das ist in der SPD umstritten. Nach vielen Debatten steht die Gemeinschaftsschule jetzt als Ziel im Leitantrag, auch die flächendeckende Ganztagsschule und die kostenlose Kita für alle. Glauben Sie, dafür gibt es eine Mehrheit?
Das längere gemeinsame Unterrichten von allen Kindern stand in allen Fassungen des Antrags, auch wenn es jetzt etwas deutlicher formuliert ist als in der früheren Version. Das haben wir in der Antragskommission im Konsens entschieden. Deshalb gehe ich davon aus, dass es dafür auch auf dem Parteitag eine Mehrheit geben wird.
Die Gemeinschaftsschule wird als langfristiges Ziel formuliert, konkrete Schritte auf dem Weg dahin nicht. Was bringt eine solche Bekundung?
Es setzt auf jeden Fall einen Diskussionsprozess in Gang. Danach wäre es die Aufgabe der Bildungsverwaltung und der Bildungspolitiker und -politikerinnen, sich gemeinsam auch mit Fachleuten der Universitäten Schritte zu überlegen, wie man dieses langfristige Ziel erreicht.
Welche Schritte könnten das sein?
Einen haben wir im Antrag bereits formuliert: Es soll keine weiteren grundständigen Gymnasien geben. Man müsste außerdem die integrativen Elemente, die wir in unserem Schulsystem bereits haben, stärken und alles abbauen, was Kinder auseinander dividiert. Alles weitere müssen wir erarbeiten.
Die SPD in Schleswig-Holstein hat mit der Einführung der Gemeinschaftsschule Wahlkampf gemacht. Wäre so etwas auch in Berlin denkbar?
Ich würde es mir wünschen, wobei wir es in Berlin ja schwerer haben als in einem Flächenstaat wie Schleswig-Holstein. Da sind die zurückgehenden Schülerzahlen ein gewichtiges Argument gegen das dreigliedrige Schulsystem, weil es unglaublich teuer ist. In der Großstadt ist die Demografie nicht ganz so wichtig. Entscheidender ist die Diskussion mit den Eltern, von denen viele ja noch immer glauben, dass die frühe Aufteilung nach Leistung zumindest für leistungsstarke Kinder das Beste ist. Das kann und muss man widerlegen.
Könnten Sie sich 2006 einen Wahlkampf vorstellen, bei dem die SPD plakatiert: Wir wollen die Gemeinschaftsschule?
Nein, auf den Plakaten sollten Forderungen stehen, die auch in der Legislaturperiode zu bewältigen sind. Ich würde mir aber wünschen, dass man das Ziel einer gemeinsamen Schule zum Thema macht. Auf jeden Fall muss Bildung einer der Schwerpunkte im Wahlkampf sein …
… wie schon im letzten Wahlkampf. Da hieß es: Mehr Mäuse in die Schule. Und dann hat die SPD bei der Bildung gekürzt.
Wir als Bildungspolitikerinnen und Bildungspolitiker haben uns das natürlich anders vorgestellt. Aber die Stadt ist in einer katastrophalen finanziellen Situation. Immerhin hat sich die Koalition sehr bemüht, vom Bildungsbereich die Finger zu lassen. Dort ist erheblich weniger gekürzt worden als in allen anderen Bereichen. Von daher kann man schon von einer Schwerpunktsetzung sprechen. Aber in sozialen Brennpunkten reicht das eben nicht.
Da fordern Sie zusätzliche Maßnahmen. SPD-Finanzsenator Sarrazin hat gerade erst wieder kundgetan, dass genau das nicht möglich sei.
Das entscheidet aber nicht Herr Sarrazin. Ich habe den Eindruck, dass sich in weiten Teilen der Partei die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass hier investiert werden muss. Es wird zusätzliche Mittel für diesen Bereich geben müssen. Aufzuzeigen, woher das Geld kommen soll, ist nicht Aufgabe des Landesparteitags.
Beim Thema Werteunterricht scheint klar zu sein, wie sich der Parteitag positionieren wird: für ein gemeinsames Pflichtfach für alle Schüler– ohne Abwahlmöglichkeit zugunsten von Religion. Das hat der SPD-Parteitag aber im Jahr 2001 schon einmal beschlossen. Passiert ist nichts seither. Wird das jetzt anders?
Ja, ich bin der festen Überzeugung: Wenn sich der Parteitag jetzt wieder für die Einführung dieses Faches entscheiden wird, dann wird etwas passieren. Das wird natürlich Schritt für Schritt gehen, es müssen Rahmenpläne entwickelt, Lehrer müssen fortgebildet werden. Aber dann werden wir in zwei, drei Jahren in der 7. Klasse anfangen.
SPD-Bildungssenator Klaus Böger ist gegen dieses Modell. Er will Werteunterricht, aber mit der Möglichkeit, ihn zugunsten von Religion abzuwählen. Dass der Unterricht nach dem letzten Parteitag nicht eingeführt wurde, hatte viel mit ihm zu tun.
Es hatte auch mit finanziellen Belastungen zu tun und damit, dass Klaus Böger dachte, das ist nicht das vordringlichste Problem in der Berliner Schule – womit er sicher Recht hat. Jetzt steht aber sowieso eine Veränderung der Stundentafel in der Sekundarstufe I an, weil ja die Zeit zum Abitur verkürzt wird. In diesem Zusammenhang kann auch der Werteunterricht eingeführt werden.
Klaus Böger hat nicht nur eine andere Position bei Werteunterricht, er ist auch absolut gegen die Schulstrukturdebatte, die Sie– und nach Ihrer Einschätzung die Mehrheit der Partei – so dringend führen wollen. Das dürfte ein Problem werden.
Wir werden uns mit ihm darüber unterhalten müssen. In der Mehrheit sind die SPD-Bildungspolitikerinnen und -politiker anderer Meinung als Klaus Böger. Nach Pisa und all den anderen Studien müssen wir diese Debatte endlich anfangen.
Die SPD ist in Sachen Bildungspolitik derzeit in der Defensive. Es gibt massive Kritik von allen Gruppen, vor dem Landesparteitag sind Proteste angekündigt, Klaus Böger ist einer der unbeliebtesten Politiker der Stadt. Wie wollen Sie da rauskommen?
Dafür ist eine Debatte, die deutlich über die Tagespolitik hinausgeht, sehr wichtig. Eine Debatte, die zeigt, dass wir Sozialdemokraten eine klare Vorstellung von einer menschlichen Schule der Zukunft haben. Im Augenblick kommen wir über tagesaktuelle Probleme wie Unterrichtsausfall oder schmutzige Schulen selten hinaus. Diese Probleme müssen natürlich gelöst werden. Aber damit kann man keine Menschen begeistern.
Sie glauben, mit der Gemeinschaftsschule könnte das gelingen. Klaus Böger ist gegen diese Debatte, das hat er sehr klar gesagt. Im Wahlkampf könnte er diese Idee daher nicht überzeugend vermitteln. Als Senator ist er aber Ihr Aushängeschild in Sachen Bildungspolitik. Ist er dann nicht eine Fehlbesetzung?
Entscheidend für den Wahlkampf ist, was im Wahlprogramm steht. Darüber müssen wir einen Konsens herstellen. Daran sind alle gebunden. Wir, aber auch der Bildungssenator.
Wird Klaus Böger dem nächsten Senat – sofern die SPD daran beteiligt sein wird –noch angehören?
Bevor Posten vergeben werden, müssen wir erst einmal den Wahlkampf führen und gewinnen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen