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„In Hannover ist es längst kälter“

Patrick Wendisch, Präses der Handelskammer, warnt: „Es kann nicht sein, dass eine Kommune signalisiert: Alle Sozialfälle zu mir, alles was Wirtschaftskraft schafft, bitte woanders.“ Ein Interview über Bremens Zukunft aus Sicht der Wirtschaft

Bremen taz ■ Patrick Wendisch, derzeit Präses der Handelskammer, ist in der Politik kein Unbekannter. 1995 gehörte er zu den Unternehmern, die für die Wählerinitiative „Arbeit für Bremen“ (AfB) von 1995 bis 1999 in der Bürgerschaft saßen – als Opposition wider Willen, denn der Erfolg der AfB führte damals zur großen Koalition. Als Wirtschaftssenator Hartmut Perschau (CDU) im vergangenen Jahr aus gesundheitlichen Gründen aus dem Senat ausschied, wurde der Name des 47-Jährigen als möglicher Nachfolger gehandelt. Manche sehen in dem parteilosen Unternehmer mit politischen Ambitionen auch einen Kandidaten für das Rathaus. Wir fragten ihn nach seiner Einschätzung der Lage Bremens.

taz: In der großen Koalition wird „Lähmung“ festgestellt. Sehen Sie das auch so? Patrick Wendisch: Die große Koalition ist aus einem wichtigen politischen Grund am Anfang gebildet worden. Ihre Aufgabe ist die Sanierung…

Die ist gescheitert…

Die Zusammenarbeit funktionierte so lange problemlos, wie die Sanierungszahlungen kamen. Wenn die Sonne scheint, ist alles gut. Natürlich geht die Hektik los auf beiden Seiten, wenn plötzlich Sturm aufkommt. Nur: Das Team muss vor allem dann einig sein. Ich hoffe, dass sich alle zusammen ihrer Verantwortung bewusst sind. Die Menschen wachsen mit ihren Aufgaben. Die Frage ist ja auch: Gibt es eine realistische Alternative?

Inzwischen sind sich alle darüber einig, dass die Sanierung gescheitert ist. Müsste der Senat einem anderen Team das Steuer übergeben? Gescheitert würde ich so nicht sagen. Den Eigenbeitrag der Sanierung hat Bremen erfüllt, aber die Einnahmeerwartungen haben sich nicht erfüllt. 20 Prozent des Problems haben wir in der Hand, die anderen 80 Prozent können wir nie ohne eine neue sachgerechte Verteilung der Finanzmittel hinkriegen.

Wir reden gern vom Konzern Bremen. Ich stelle mir die Hauptversammlung des Konzerns Bremen vor, in der die Geschäftsführung erklärt: Wir sind pleite, aber wir sind das nicht Schuld, denn wir haben die Ausgaben im Griff – wir haben leider nur ein Einnahmeproblem. Da würde es schallendes Gelächter geben. Ein Unternehmen kann in den Konkurs gehen, eine öffentliche Gebietskörperschaft nicht. Aber auch ein Unternehmen verkraftet es nicht, wenn bei ihm nur die Kosten gebucht werden und die Erträge woanders. Die Ursachen der Schieflage des Systems spüren ja alle Stadtstaaten, auch Hamburg. Auch diese wirtschaftsstarke Stadt mit einem außergewöhnlich hohen Bruttoinlandsprodukt hat eine enorme Pro-Kopf-Verschuldung. Da muss doch etwas in Bezug auf die Stadtstaaten nicht stimmen.

Wir Bremer überzeugen uns selbst immer wieder mit unseren guten Argumenten, bloß will niemand mit uns darüber reden. Auch der Senat hat keinen Gesprächsfaden mehr nach der Pleite mit dem Kanzlerbrief. Das ist richtig, das ist die große Schwierigkeit. Deswegen müssen wir unseren Sparbeitrag leisten, und dann müssen wir sehen, wie wir über die öffentliche Diskussion viel mehr die Debattenlage bestimmen.

Die Handelskammer hat für die aktuellen Finanzplanungen gefordert, das Investitionsniveau beizubehalten. Ist den Bremer Bürgern das zuzumuten, noch mehr im Schul- und im Sozialbereich zu sparen? Ich vergleiche das mit der Tischlerfamilie. Die muss sparen. Da wird vorgeschlagen: Wir reduzieren nicht die Raumtemperatur von 22 auf 19 Grad im Winter, weil das unangenehm ist, sondern der Tischler verkauft seine Kreissäge, damit wir Heizöl kaufen können. Das machen Sie nur einmal. So simpel ist die Frage bei Investitionen.

Wenn die Menschen merken, so Hans Koschnick, dass es ihnen in Hannover besser gehen würde, werden sie sagen: Wir wollen mit Hannover gehen. Die Leute wissen gar nicht, dass es in Hannover längst kälter ist. Da bin ich mir sehr sicher. Es gibt weite Bereiche, in denen Bremen bei den Ausgaben im Vergleich höher liegt als andere Großstädte. Es kann nicht sein, dass eine Kommune signalisiert: Alle Sozialfälle zu mir, alles was Wirtschaftskraft und Wertschöpfung schafft, bitte woanders. Wenn man die Länder mit weniger Arbeitslosigkeit und mehr Wirtschaftsdynamik als Deutschland anschaut, dann sind das stets die, die ihren Schwerpunkt nicht darauf legen, mit konsumtiven Ausgaben Klientel zu bedienen, sondern mit Anreizen arbeiten. Die sind aber durch den Scheuersack gegangen. 80 Prozent des Problems liegt aber in der wenig sachgerechten Verteilung der Steuern zwischen dem Bund und den Ländern.

Im Bebauungsplan für den Space Park gibt es Quadratmeter- und Sortimentsbeschränkungen, um Walle und die Innenstadt zu schützen. Was, wenn da ein kanadischer Investment-Fonds ein Shopping-Zentrum machen will? Die Kammer muss einerseits das Vermarktungsinteresse des Space Parks und andererseits das Interesse des Einzelhandels im Blick haben. Das würde auch in diesem Hause eine nicht ganz einfache Debattenlage.

Interview: Klaus Wolschner

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