: Die Antipädagogen
THEATERPROJEKT Das Einfache Theater Hamburg inszeniert die Französische Revolution mit Jugendlichen aus dem sozialen Brennpunkt Allermöhe. Mit einer pädagogischen Maßnahme hat das nichts zu tun
Wenn Evgeni Mestetschkin die Anziehungskraft von Hamburg erklären soll, wo er seit 15 Jahren inszeniert, lacht er und sagt: „Ich hatte nie die Zeit mir diese Frage zu stellen.“ Ende Oktober, wenn seine aktuellen Produktionen vorbei seien, könne er sich mal dazu Gedanken machen. Seine aktuellen Produktionen sind: Ein Stück über hanseatische Erotik nach dem 85. Lebensjahr. Und „Die Französische Revolution“, gespielt mit 32 Jugendlichen im idyllischen Ghetto Neu-Allermöhe.
In zwölf Tagen soll die Französische Revolution inszeniert werden in dem Stadtteil im Osten, den die meisten Hamburger nur durch seine schlechte Presse kennen. Acht Stunden täglich proben die Mädchen und Jungen im Alter zwischen 14 und 25 Jahren. Mit dabei sind Spezialisten für Tanz und Choreographie, Musiker, eine Theaterpädagogin, Lichtgestalter und vier Modedesign-Studentinnen.
Lange war professionelles Laientheater für ihn „unvorstellbar, absurd“, sagt Mestetschkin und lächelt – denn so stolperte er selbst in die Theaterwelt. Es war 1983 in Moskau, der knapp 20-jährige Mestetschkin aus dem ukrainischen Lemberg sprach bei dem berühmten Regisseur Mark Rosowskij vor. Der hatte, nachdem zwei seiner Musicals am New Yorker Broadway aufgeführt worden waren, in der sowjetischen Hauptstadt ein eigenes Theater gegründet – zur Hälfte mit Laien besetzt. Nach dem Vorsprechen war der junge Mestetschkin einer von ihnen.
Ab 1988 studierte Mestetschkin dann an der elitären Staatsakademie für Theaterkunst Theater- und Zirkusregie – bis 1992, dem Jahr, das die Russen in den Westen zog. Die Hamburger Sternschanze bekam so ein kleines Repertoiretheater: Mestetschkins Einfache Bühne Hamburg. Vor allem Russischsprachler in Hamburg werden sich daran erinnern, denn hier trafen sich ab 1994 Intellektuelle, Journalisten, Künstler aus ganz Osteuropa.
Gemeinsam mit dem Schauspieler Stephan M. Fischer betrieb Evgeni Mestetschkin die Bühne unter der Maxime: komplexe Stücke, aber einfach in den Mitteln. So spielten sie, bis das Haus 1997 abgerissen wurde. Und beide traurig und erleichtert zugleich waren. „Vom Klorollenwechsel bis zum Spielplan machten wir alles“, sagt Mestetschkin. Es gab ein Ersatzgebäude von der Stadt, doch die beiden Theaterleute wählten die Freiheit.
Die Einfache Bühne ist seitdem ein freies Projekt, das Mestetschkin mit der Dramaturgin Christiane Hauch betreibt, Absolventin der niedersächsischen Fachhochschule Ottersberg. Theaterpädagogik müsse auf gezielt pädagogisches Arbeiten verzichten, sagt Hauch, das habe sie aus Ottersberg mitgenommen. Die zentrale Idee sei „das Wirken der Kunst im Sozialen“.
Hauch und Mestetschkin haben diese Idee weiterentwickelt, zum Beispiel in die Justizvollzugsanstalt Lübeck, wo beide vor drei Jahren mit zehn Häftlingen Shakespeares Macbeth auf die Gefängnisbühne brachten. Das aus Gründen der Sicherheit nie öffentlich aufgeführte Stück hieß: „Was wollt ihr?“
Was am Ende auf die Bühne komme, sei nicht egal, so Hauch. „Aber das eigentliche künstlerische Werk ist das Schaffen, der Weg dorthin.“ Das Proben. Die Entwicklung der Figuren und der Dramaturgie. Gerade dann, wenn das Ensemble wie jetzt in Allermöhe nicht engagiert wird, sondern zu ihnen kommt.
Er sei, sagt Mestetschkin, auf der Suche nach dem „lebendigen Theater“. In Allermöhe wird die Französische Revolution den Aufführungsort verlassen, sie wird sich ausbreiten, hinein in den grünen Stadtteil mit seinen unzähligen Fleeten. Die Macht des Theaters sollte man nicht unterschätzen. MART-JAN KNOCHE
Sa, 1. 8., 19 Uhr & So, 2. 8., 16 Uhr, KulturA, Otto-Grot-Straße 90
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