EU-REFERENDUM: ITALIENISCHE GELASSENHEIT IN DER POLITISCHEN KRISE: Nur Katastrophen brauchen keinen Plan B
Letztes Jahr noch herrschte Partystimmung in der EU. Erst die Erweiterung um zehn neue Mitglieder im Frühjahr, dann die feierliche Unterzeichnung der Europäischen Verfassung im Herbst – Europa schien zu neuen Horizonten aufzubrechen. Mit dem Referendum der Franzosen über die EU-Verfassung droht Europa nun ein ausgewachsener Kater. Allen ist klar: Ohne die Franzosen wandert die neue Verfassung in die Tonne. Und schon werden wahre Schreckensgemälde entworfen von der Krise, die der EU da ins Haus stehe, ja von den Gefahren selbst für ihren Bestand. Aber ist die Lage wirklich so dramatisch? Steht „Krise“, wie gerade Deutsche gerne meinen, unweigerlich für Katastrophe?
EU-Kommissar Franco Frattini ist da anderer Meinung. Das Wort vom „Plan B“ – was passieren soll, wenn die Franzosen mit Nein stimmen – nahm er natürlich nicht in den Mund. Aber sein höfliches Reden von „Überlegungen“ der Kommission hat ebendiesen Inhalt: Alternativen sind auch in der Krise möglich. Es ist wohl kein Zufall, dass der Einwurf vom Vertreter des krisenerprobten Italien in der Kommission kam: In Rom, aber auch in Brüssel denkt man aus langjähriger Erfahrung bei Krise nicht gleich an Untergang – sondern an Bewältigung. Das Krisenmanagement mit B-Plänen gehört dort zum täglichen Geschäft, eben weil Plan A so selten aufgeht.
Nordeuropäer, Deutsche zumal, mögen die Krise für einen Ausnahmezustand halten, der Panik weckt. Life goes on, auch für die EU, lautet hingegen Frattinis implizite Botschaft. Die Lage ist womöglich hoffnungslos – für die Verfassung –, aber nicht wirklich ernst – für die Union. Am Tage nach einem Nein Frankreichs wäre die EU genau da, wo sie sich schon oft genug befand, halt „in der Krise“, angeschlagen, mehr aber auch nicht. Verfassungsbefürworter werden sich über Frattinis Andeutungen ärgern. Sie können wie für eine Anstiftung zum – ja in dieser Sicht relativ folgenlosen – Nein wirken. Ehrlich ist das Reden über den Plan B aber allemal, denn es macht deutlich: Nicht ob, sondern wie es in der EU weitergeht, steht in Frankreich zur Abstimmung. MICHAEL BRAUN
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