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Flächendeckender Zirkus

Gegen die Arbeit als Maß aller Dinge, her mit dem schönen Leben für alle: „Prekarisierung“ lautet das Zauberwort der Euro-Mayday-Parade, die morgen zum ersten Mal durch Hamburg zieht

Von Carsten Hansen

Der Duden beschreibt „prekär“ als „widerruflich, unsicher, heikel“. Und genauso sehen die Organisatoren des Euro Maydays die soziale Realität eines Großteils der Bevölkerung. Initiativen wie kein mensch ist illegal, hamburg umsonst und Kanak Attak wollen der „Arbeit als Maß aller Dinge“ den Kampf ansagen: Unter dem programmatischen Stichwort „Prekarisierung“ soll die „Entsicherung aller Lebensbereiche“ entlarvt werden, die sich in unverbindlichen Arbeitsverhältnissen und -bedingungen, Rücknahmen von Aufenthaltsrechten und gekürzten Sozialleistungen niederschlägt.

Der Euro Mayday, der morgen zum ersten Mal durch Hamburg zieht, versteht sich dabei zwar als Alternative zu den alljährlichen DGB-Demonstrationen, nicht jedoch als Ersatz. „Wir legen Wert darauf, über die verschiedenen Lager hinweg Perspektiven zu eröffnen“, sagt Frank John vom Organisationskomitee der Parade. „Es gibt ein Recht auf ein schönes Leben für alle. Und an vielen Punkten stehen wir vor ähnlichen Fragen wie der DGB“, ergänzt ein Aktivist von hamburg umsonst. Und auch der Hamburger ver.di-Fachbereichsleiter für besondere Dienstleistungen, Peter Bremme, konstatiert, die „Biertrink-Mai-Feierlichkeit“ sei an ihr historisches Ende gekommen.

Graduelle Unterschiede allerdings gibt es in der Vehemenz der Forderungen. So kursieren im Umfeld der Parade ganz praxisnahe Tipps für den prekären Alltag: Die Initiative „Mega Infarkt“ etwa informiert in einer Broschüre über Strategien der kostenfreien Aneignung allzu teurer Waren und Dienstleistungen.

Seinen Anfang nahm der Euro Mayday 2001 in Italien, als zum Tag der Arbeit in Mailand 5.000 Menschen den Begriff der Prekarisierung auf die Straße trugen. Im vergangenen Jahr zelebrierten allein in Mailand 70.000 Menschen den Euro Mayday. Dieses Jahr soll die durch Soli-Veranstaltungen und Spenden finanzierte Parade unter anderem durch Paris, London, Wien, Amsterdam und Stockholm ziehen. In Deutschland ist Hamburg der einzige Veranstaltungsort.

In der langen Tradition des 1. Mais als Arbeiterkampftag sieht sich der Euro Mayday – aber auch als Forum sozialer und politischer Organisationen, die als undogmatische Linke ihren Forderungen in neuer Gemeinsamkeit Ausdruck verleihen. „Es geht uns nicht um eine Rückkehr in die Sozialromantik der 70er Jahre“, bekräftigt Frank John. Vielmehr solle ein Perspektivenwechsel herbeigeführt werden, der etwa Migranten aus ihrer Opferrolle befreie und als handelnde Individuen mit einbeziehe. Um dies zu unterstreichen, führten im vergangenen Jahr 500 „Papierlose“ die Parade in Barcelona an.

Bunt, laut und ausgelassen soll es morgen in Hamburg zugehen: neben DJ‘s, Musikgruppen, Soundsystems und Festwagen werden etwa die „Radical Cheerleaders“ ihre Choreographien zum Besten geben. Und eine „Rebel Clown Army“ kündigte an, im Rahmen der „Operation HaHaHa“ Hamburg zum „flächendeckenden Zirkus“ zu machen. Daneben klären Redebeiträge über prekäre Aspekte der Arbeitsbedingungen auf: auf der Reeperbahn etwa über Sexarbeit, vor einer Lidl-Filiale über fragwürdige Aspekte der Konzernführung.

Also: Heraus zum ersten Euro Mayday in Hamburg. Start der Parade ist um 13 Uhr beim Michel. Für Daheimgebliebene überträgt Radio FSK von 13 bis 17 Uhr das Spektakel live auf UKW 93,0. An den letzten Vorbereitungen können sich Interessierte heute ab 14 Uhr im Buttclub, Hafenstraße 126, beteiligen.

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