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Der Fluss des Geldes

FINANZKRISE Die Weltwirtschaft kann viel von der traditionellen chinesischen Medizin lernen, sagt der emeritierte Volkswirtschaftsprofessor Bernd Senf

Bernd Senf

Der Wissenschaftler: Bernd Senf, Jahrgang 1944, war von 1973 bis 2009 Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule für Wirtschaft Berlin. Zuvor studierte er Volkswirtschaftslehre an der Freien Universität Berlin und promovierte 1972 mit einer Dissertation über „Wirtschaftliche Rationalität – gesellschaftliche Irrationalität“.

Der Außenseiter: Bernd Senf vertritt Positionen der zinskritischen Freiwirtschaft, die vom Mainstream der Wirtschaftswissenschaftler ignoriert oder abgelehnt werden. Senf setzt sich zudem für die Vermittlung der Thesen des umstrittenen Psychoanalytikers Wilhelm Reich und seiner Lebensenergieforschung ein.

Der Autor: Bernd Senf gilt als hervorragender Didakt, der komplexe wirtschaftliche Sachverhalte allgemeinverständlich erklären kann. Seine Bücher tragen Titel wie „Der Nebel um das Geld“ oder „Die blinden Flecken der Ökonomie“. Seit Ausbruch der Wirtschaftskrise wächst das Interesse an seinen Vorträgen. Eine Aufzeichnung vom Oktober 2008 wurde seitdem im Internet 77.000-mal geklickt. step www.berndsenf.de

INTERVIEW STEPHAN KOSCH

taz: Herr Senf, wenn Sie aus Ihrem Arbeitszimmer blicken, sehen Sie die Havel. Ist das der Grund, warum für Sie die Lösung weltwirtschaftlicher Probleme im Fließen des Geldes liegt?

Bernd Senf: Nein. Die Nähe zum Wasser und zur Natur war natürlich ein gewichtiger Grund, hierherzuziehen. Aber dass die Lösung der Blockierung tatsächlich die Lösung vieler Probleme ermöglicht – und zwar nicht nur in der Wirtschaft –, diese Erkenntnis hatte ich schon vorher gewonnen.

Haben Sie Beispiele?

Bleiben wir beim Wasser. Der unkonventionelle Naturforscher Viktor Schauberger hat beobachtet, dass die Flüsse ihre Fähigkeit zur Selbstregulierung und -reinigung verlieren und leichter aus ihrem Bett ausbrechen, wenn sie begradigt werden und ihr natürliches Schlängeln und Wirbeln verlieren. Werden die Blockierungen gelöst, so findet der Fluss seine Selbstregulierung wieder. Etwas Ähnliches geschieht mit dem Fließen der Lebensenergie im menschlichen Körper. Die traditionelle chinesische Medizin nutzt dieses Prinzip zum Beispiel in der Akupunktur seit mehreren tausend Jahren.

Ich dachte mir schon, dass die kleine Buddhafigur nicht ohne Grund hier steht.

Sie ist für uns eine Erinnerung an Nepal, das wir vor einigen Jahren besucht haben. In den östlichen Traditionen ist die Suche nach dem harmonischen Fluss in der Tat weit verbreitet. Wir könnten aber auch über die Psychoanalyse von Freud oder die Lebensenergieforschung von Reich reden. Überall findet sich die gleiche Erkenntnis: Wird der Energiefluss blockiert, staut sich die Energie. Es kommt zu ungesunden Entwicklungen, zu Krankheitssymptomen auf psychischer und körperlicher Ebene.

Was hat das alles nun mit der Weltfinanzkrise zu tun?

Viel. Hier geht es um den Fluss des Geldes. Dafür soll eigentlich der Zins auf Geldanlagen sorgen, mit dem die Banken Geld anlocken, damit es als Kredit weitergeleitet und damit in Fluss gehalten werden kann. Aber mit sinkender Rendite in der Realwirtschaft wird das immer weniger attraktiv. Deshalb beginnen die Anleger, mit ihrem Geld zu spekulieren, es wird der Realwirtschaft entzogen. Derzeit beobachten wir, dass sogar die Banken das Geld nicht weiterleiten und es zu einer bedrohlichen Kreditklemme kommt.

Der Zins erfüllt seine Aufgabe also nicht.

Zurzeit nicht. Außerdem hat der Zins langfristig zerstörerische Wirkung. Denn Zins und Zinseszins sorgen für ein immer stärker wachsendes Geldvermögen. Bei einem Zins von 5 Prozent bringt das eine Verdoppelung innerhalb von knapp 15 Jahren mit sich. Das Problem dabei ist: Geldvermögen können nur wachsen, wenn anderswo Schuldner entsprechende Zinsen auf Kredite zahlen. So wird das wachsende Geldvermögen der einen zu den Schulden der anderen.

Damit wären wir dann bei den Hypothekenkrediten in den USA, die viel zu sorglos vergeben wurden. Aber das könnte man doch durch eine bessere Kontrolle in den Griff bekommen.

Auf die Dauer eben nicht. Wachsende Zinslasten aufseiten der Schuldner müssen erwirtschaftet werden. Gesamtwirtschaftlich kann das nur funktionieren, wenn das Bruttosozialprodukt entsprechend schnell mitwächst. Es gibt zeitweise solche Phasen, wie zum Beispiel das „Wirtschaftswunder“ zu Beginn der Bundesrepublik. Aber in der Regel wächst unsere Wirtschaft viel zu langsam, um die Forderungen zu bedienen. Es ist wie im Märchen: Der Hase kann rennen, wie er will, der Igel ist immer schon da und hält die Hand auf.

Warum hat es dann so lange gedauert, bis es zum Crash kam?

Weil die längst fälligen Wertberichtigungen mit allen möglichen Schwindeleien und Bilanzfälschungen immer weiter hinausgeschoben wurden. Hinzu kam eine zunehmend ausufernde Geldschöpfung des Bankensystems, die die globalen Finanzmärkte überflutete und neue Spekulationsblasen erzeugte. Einige Vorboten der aktuellen großen Krise gab es ja schon, zum Beispiel die Südostasienkrise 1997 und den Absturz der „New Economy“ einige Jahre später.

„Wenn weltweit die Währungsgrundlagen derart ins Wanken geraten und die ‚Titanic‘ zu sinken droht, dann brauchen wir viele Rettungsboote“

Wird die jetzige Krise etwas Grundlegendes ändern?

Bislang wird nur an den Symptomen herumkuriert, und die verabreichte Medizin hat starke Nebenwirkungen. Die öffentlichen Haushalte verschulden sich immer mehr, um Banken zu retten und die Konjunktur anzukurbeln. Das birgt die Gefahr von Staatsbankrott oder Hyperinflation. Letzteres hatten wir in Deutschland schon mal zu Beginn der 1920er-Jahre. Auf dem Höhepunkt der Inflation im November 1923 kostete ein Brot 1 Billion Mark, und der Staat konnte sich aus seinen Staatsschulden in Höhe von 154 Milliarden Mark für einen Appel und ein Ei herauswinden. Die Folgen waren für große Bevölkerungsteile dramatisch.

Damals gab es schon ein ökonomisches Konzept, das vorsah, dem Zins weniger Macht einzuräumen.

Ja. Der Kaufmann und Sozialreformer Silvio Gesell hat bereits zu Beginn des vorigen Jahrhunderts seine grundlegenden Einsichten veröffentlicht. Ihm ging es unter anderem um die Veränderung der Spielregeln, mit denen das Geld im gesamtwirtschaftlichen Kreislauf in Fluss gehalten werden sollte.

Wie denn, wenn nicht mit dem Zins?

Indem das Geld, das dem realwirtschaftlichen Kreislauf – zum Beispiel durch Horten oder durch Spekulation – entzogen wird, mit einer Gebühr belastet wird. So eine Umlaufsicherungsgebühr würde einen Anreiz erzeugen, das Geld möglichst schnell wieder der Realwirtschaft zuzuführen. Dadurch würde das Zinsniveau aufgrund des steigenden Geldangebots sinken, und die zinsbedingten Krisensymptome würden sich abschwächen.

Interessante Theorie. Aber übersteht sie tatsächlich den Praxistest?

Den gab es ja schon, zum Beispiel als 1932 die österreichische Gemeinde Wörgl parallel zum österreichischen Schilling eine Regionalwährung mit Umlaufsicherung einführte. Während sich ringsum die Krise immer weiter verschärfte, gab es in Wörgl eine regionale Wirtschaftsblüte, und die Arbeitslosenquote sank in einem Jahr um 25 Prozent. Dieser erfolgreiche Versuch musste nach einem Jahr beendet werden, weil die Österreichische Nationalbank ihr Recht auf exklusive Geldausgabe einklagte.

Wir haben vor gut zehn Jahren in Europa die nationalen Währungen abgeschafft, die Finanzplätze der Welt sind miteinander Realtime-vernetzt. Wie kann die Geldpolitik einer Tiroler Gemeinde vor rund achtzig Jahren ein Modell für die globalisierte Gegenwart sein?

Niemand fordert, dass es nur noch Regionalgeld geben soll. Aber es geht um komplementäre Währungen, die mit Wechselkursen an die internationalen Währungen angebunden werden können. Wenn weltweit die Währungsgrundlagen derart ins Wanken geraten und die „Titanic“ zu sinken droht, dann brauchen wir viele Rettungsboote. Es wäre fahrlässig, sich nicht mal mit möglichen Alternativen zum bestehenden System und zu historischen Vorbildern zu beschäftigen.

„Es ist wie im Märchen: Der Hase kann rennen, wir er will, der Igel ist immer schon da und hält die Hand auf“

Silvio Gesell ist für viele Ökonomen aber ein schlechtes Vorbild, weil sie in seiner Zinskritik einen strukturellen Antisemitismus sehen. Es waren ja aus historischen Gründen vor allem Juden, die mit Bankgeschäften Geld verdienten. Und Silvio Gesell hat da nicht immer sauber getrennt.

Sie vereinfachen zu sehr. Gesell hat in der Tat gesagt, dass es in dem Moment, wo sich die Spannungen zwischen Gläubigern und Schuldnern entladen, zu Unruhen kommen kann, bei denen die Gläubiger sich ihres Lebens nicht mehr sicher sein können. Damit hat er eine reale Gefahr beschrieben, aber keineswegs zur Gewalt gegen die Gläubiger aufgerufen. Anders übrigens als Luther, der forderte, dass man die Zinsnehmer rädern und foltern solle. So etwas findet man nicht bei Silvio Gesell. Ich kenne überhaupt keine Stellen, an denen er zu Antisemitismus aufruft.

Herr Senf, wir müssen derzeit nicht nur eine Wirtschaftskrise in den Griff bekommen, sondern auch gleichzeitig den Klimawandel aufhalten, den Ressourcenverbrauch verringern und dafür sorgen, dass die Länder des Südens endlich aus ihrer Armut kommen. Hilft die Zinskritik auch hier?

Die Hauptursachen des Klimawandels oder des Hungers im Süden der Welt liegen jeweils woanders. Allerdings verstärkt der Zins diese Krisen. Denn er fordert ja ein möglichst hohes Wirtschaftswachstum, und das ohne Rücksicht auf Schadstoffbelastungen, CO2-Ausstoß oder den Ressourcenverbrauch. Die Grünen haben in ihren Anfängen als einen Lösungsansatz das Ende des Wachstums in den Industriegesellschaften vertreten. Doch davon ist nichts übrig geblieben, weil es im bestehenden Zinssystem nicht zu verwirklichen ist.

Was sollten wir also stattdessen tun?

Ein wichtiger Schritt wäre die Überwindung des Zinssystems durch eine umlaufgesicherte Währung, in welcher Form auch immer. Außerdem müsste das Geld dem Staat zinsfrei zur Verfügung gestellt werden. Geld- und Zinssystem sind in unheilvoller Weise miteinander verwickelt. Das müssen wir ent-wickeln und so wieder für einen harmonischen Fluss des Geldes sorgen.

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