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DIE AUFSICHTSRÄTE GROSSER KONZERNE BRAUCHEN MEHR – AUFSICHTGefährliches Wohlverhalten

Was haben zwei Ereignisse von gestern, der Sturz des Frankfurter Börsenchefs Seifert und die Anklage gegen 15 ehemalige Gewaltige der Berlin-Hyp beziehungsweise der Berliner Bankgesellschaft wegen Untreue, miteinander zu tun? Bei aller Unterschiedlichkeit des Sachverhalts verweisen sie auf ein gemeinsames Problem: das der Kontrolle der Vorstände von Großunternehmen. Im Fall der Frankfurter Börse hat der Aufsichtsrat eine spektakuläre Kontrollinitiative ergriffen, deren Folgen für die Aktionäre ungewiss sind. Im Fall der Bankgesellschaft sind durch den Mangel jeder Kontrollinitiative des Aufsichtsrats die fatalen Folgen bereits eingetreten – zum Schaden aller Steuerzahler.

Das Aktienrecht fordert den Aufsichtsrat dazu auf, die Geschäftsführung zu überwachen. Und die Rechtsprechung präzisiert darüber hinaus, dass der Aufsichtsrat überall dort Anteil an Leitungsaufgaben hat, „wo er die unternehmerische Tätigkeit des Vorstands im Sinne einer präventiven Kontrolle begleitend mitgestaltet“. Die Erfahrung lehrt, dass von einer solchen vorsorglichen Kontrolle in der Praxis nicht die Rede sein kann. Auch nach der Reform des Aktienrechts sind die Aufsichtsräte in der Regel wohlmeinende Abnicker, die ihren Job dem Vorstand des Unternehmens verdanken, so sie nicht selbst ehemalige Vorständler sind. Selbst die Vertreter der Arbeitnehmerseite in mitbestimmten Gesellschaften widersetzen sich nicht dem konformistischen Wohlverhalten, wie zuletzt die Praxis bei Mannesmann zeigte.

So verbreitet die Unzufriedenheit mit diesem Stand der Dinge ist, so unterschiedlich sind die Vorstellungen der Reform. Die EU-Kommission hat vorgeschlagen, die Aufsichtsräte börsennotierter Unternehmungen mehrheitlich mit unabhängigen Experten zu besetzen, die – im Fall eines Konzerns – der Konzernobergesellschaft nicht angehören dürfen. Das hat den wütenden Widerstand vieler Kapitalvertreter hervorgerufen. Ob nun dieser Vorschlag favorisiert wird oder neue Organe wie unabhängige Prüfungsausschüsse wirkungsvoller sind: die Entwicklung zeigt, dass die öffentliche Debatte in die vormalig geschlossenen Zirkel des Management-Imperiums vordringt.

CHRISTIAN SEMLER

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