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Mit Eurythmie gegen Sucht

Die Fachklinik Sankt Camillus in Duisburg-Walsum setzt auf anthroposophische Grundsätze bei der Behandlung von Suchtkranken. Auch Bewegung und Tanz sollen dabei helfen, ein anderes Gefühl für sich und seine Situation zu entwickeln

VON LUTZ DEBUS

Ein aus Holz geschnitzter heiliger Camillus grüßt mit betenden Händen Neuankömmlinge. Eine mittelalte Frau mit Reisetasche schiebt sich an ihm vorbei und verabschiedet sich von ihrem bulligen Begleiter. Dann geht sie durch die Pforte und lässt sich zu einem Entzug in die Klinik aufnehmen.

Die Fachklinik St. Camillus ist ein alter Backsteinbau aus der Gründerzeit. 80 Betten hat das Haus. Bis in die 1970er-Jahre war es ein kleines Allgemeinkrankenhaus für die nördlichen Stadtteile von Duisburg. Dann wurde es zur Suchtklinik für die ganze Region. Seit 19 Jahren ist Andreas Brunk dort Chefarzt. Der Psychiater und Psychotherapeut führte ein, dass in Duisburg-Walsum nach anthroposophischen Grundsätzen behandelt wird.

Der Eurythmie-Raum ist in Sonnenlicht getaucht. Therapeut Klaus Westermann sprüht eine Essenz in die Luft. Sofort verbreitet sich das Aroma von Eukalyptus, Zitrone und Lavendel. Eine zierliche junge Frau kommt herein. Ihre Jeans ist voller Strasssteine, ihre Nase gepierct. Westermann begrüßt die Patientin lächelnd. Dann nehmen sich die beiden jeweils ein etwa sechzig Zentimeter langes Kupferrohr und werfen die Stangen rhythmisch von der einen zur anderen Hand. Und plötzlich, ohne Verabredung, fliegen die Rohre durch den Raum, zum Gegenüber. Es sieht aus wie Jonglage. Die junge Frau ist mächtig stolz. Noch vor Wochen gelang ihr dies nicht. Mit einer geschmeidigen Bewegung führt sie das Rohr hinter ihre Schulterblätter, lässt es fallen und fängt es mit nach unten gestreckten Armen wieder auf. „Das scheinbar Unkontrollierbare hinter dem Rücken kann gehalten werden“, gibt Klaus Westermann zu bedenken. Später berichtet er von seiner Patientin. Ihre Alkoholsucht habe sie vor einigen Jahren mithilfe der Klinik in den Griff bekommen. Nun sei sie in einer Lebensphase, in der sie sich labil fühle, erneut aufgenommen worden. Alkohol habe sie noch nicht wieder getrunken. Aber sie traue sich nicht auf die Waage. Vielleicht wiege sie ein bisschen zu wenig. Klaus Westermann vermutet eine beginnende Magersucht, doch zum Wiegen werde die Patient nicht gezwungen.

Werner B. ist zum ersten Mal hier. Auch er habe ein Alkoholproblem, sei aber seit 15 Jahren trocken, sagt er. Der stämmige Mitfünfziger litt an chronischen Rückenschmerzen. Sein Hausarzt verordnete ihm Medikamente. Nur für kurze Zeit. Doch die Schmerzen gingen nicht weg. Werner B. nahm immer stärkere Präparate. Nach der Entgiftung ist er nun in der Tagesklinik von St. Camillus. „Ich will nicht ganz von zu Hause weg sein. Meine Ehe ist noch leidlich in Ordnung.“ Mit Klaus Westermann und drei weiteren Patienten schreitet er einen imaginären fünfzackigen Stern auf dem Teppichboden ab. Das ähnelt der Choreografie eines modernen Balletts. Wie im Straßenverkehr gilt die Regel „rechts vor links“. Der fünfzackige Stern, so Westermann, finde seine Entsprechung in unserem Körper mit dem Kopf und den vier Gliedmaßen. „Mancher Süchtige wisse nicht mehr, wo links und rechts, wo oben und unten ist.“ Ohne diese elementaren Informationen könne keine Rehabilitation stattfinden.

Seit Jahren arbeitet Werner B. bei einem Dienstleister im Gesundheitswesen. Früher verrichteten Krankenpfleger seine Tätigkeiten. Inzwischen delegieren viele Krankenhäuser Arbeitsbereiche an Subunternehmer. Wenn Werner B. nicht krank ist, verteilt er in Krankenhäusern Mahlzeiten und Medikamente. Sagt ihm der anthroposophische Ansatz hier zu? Zunächst sei er wegen des „ganzen Gehampels“ skeptisch gewesen. Aber nach acht Wochen Behandlung verstehe er mehr: „Ist schon spannend, wenn man sich mit Astronomie beschäftigt und erfährt, wie das alles mit uns zusammenhängt.“ Aber an Anthroposophie glauben müsse hier niemand. Therapeut Westermann schaltet sich ein. In der Anthroposophie stehe das „Ich“ an erster Stelle – das verhindere sektenartige Strukturen. Werner B. stimmt zu. Er habe auch schon anderes kennen gelernt. In einer süddeutschen Klinik seien alle mit komischen Medaillons herumgelaufen. „Hier wird man mit dem Kram in Ruhe gelassen, wenn man nicht will. Das ist schon recht human in dieser Einrichtung.“

Anthroposophische Suchtbehandlung: www.anthroposophische-psychotherapie.de

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