DER LITERATURTOURISMUS IN SCHWEDEN WÄCHST UND GEDEIHT: Auf der Spur eines hundertjährigen Romanhelden
VON REINHARD WOLFF
Ja, da ist sie. Die dunkle Gestalt, die aus dem Fenster des Seniorenheims von Malmköping steigt. Allan Karlsson, wie er am 2. Mai 2005 an seinem hundertsten Geburtstag vor Schwester Alice und der Ehrung durch den Bürgermeister flüchtet und sich in Hausschuhen auf die Socken macht.
Mit dem „Spurentourismus“ haben schwedische Orte einen neuen Markt entdeckt. Angefangen es mit den Erzählungen Astrid Lindgrens. Und dann kamen die Krimis. Nun kann man in Ystad auf den Spuren von Henning Mankells Kurt Wallander wandeln und in Stockholm den Spuren von Stieg Larssons Figur Lisbeth Salander folgen.
Jonas Jonassons Geschichte von dem „Hundertjährigen, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ war 2010 in Schweden das meistverkaufte Buch. Jetzt steht es auch auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste. Natürlich will das kleine Malmköping (2.000 EinwohnerInnen) nicht weit von Stockholm von „seinem Helden“ profitieren. Weshalb im vergangenen Jahr auf der roten Holzfassade des örtlichen Gesundheitszentrums eine Silhouette der Romanfigur Allan Karlsson angebracht wurde. Dort, wo seine Geschichte begann.
Doch im Vergleich zu Ystad und Stockholm gibt es in Malmköping keine Führungen, nicht einmal einen „Allan-Karlsson-Stadtplan“. Man muss sich mit dem Roman in der Hand die Stationen selbst suchen. Der Bus nach Strängnas, in den Allan zu Beginn seiner Reise stieg, fährt nur frühmorgens und nachmittags – am Wochenende gar nicht. Und Vorsicht: Es ist nicht der 202, wie im Roman, sondern der 337.
Doch „Byringe Station“, den alten Bahnhof von Byringe, gibt es. Allerdings ist das gelbe Gebäude nicht verlassen, wie Karlsson es vorfand. Den haben Rolf und Kristina Karlsson – nicht mit Allan verwandt – gekauft. Sie hatten zunächst keine Ahnung, dass sie am Schauplatz eines Bestsellers wohnten. Bis ihre Tochter das Buch las und erste Neugierige ums Haus schlichen. Da holten sie das alte Bahnhofsschild wieder aus dem Schuppen und nagelten es an die Fassade.
Im August beginnt die Verfilmung des „Hundertjährigen“. Einige Szenen sollen wohl auf dem Bahnhof gedreht werden. „Die Filmleute müssen sich beeilen“, meint Rolf Karlsson, die Bahn wolle die halb zugewachsenen Schienen herausreißen. Dann käme Allan Karlsson nicht mit der Draisine weiter, und seine Geschichte würde hier enden.
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