: „Ich bin ein Schnulzenheini“
Wolf-Dieter Herrmann
Einst stand er bei der Zeitschrift Praline ganz oben: auf der Hitliste der beliebtesten deutschen Männer. Als Pionier des Frühstücksfernsehens überraschte der „Strahlemann mit dem Charme eines Kaffeefahrten-Verkäufers“ mit fundierten Interviews und unabhängigem Geist. Heute, nach 700 Gameshows, zahllosen Nachrichten und über 60 Talkrunden, moderiert der notorisch gut gelaunte Berliner die Abendsendung des Senders „Fernsehen aus Berlin“, kurz FAB. Begonnen hatte der 1950 geborene Wolf-Dieter Herrmann seine Karriere als Schlagersänger. Danach brachte der Arbeiterinnensohn aus dem Wedding zunächst Produktionsanlagen für Wurst, dann Sportereignisse und schließlich Weltnachrichten unters Volk
INTERVIEW ADRIENNE WOLTERSDORF
taz: Herr Hermann, Sie haben für Ihre Sendung „Hallo Berlin“ bei FAB gerade einen Preis für die beste regionale Nachrichtensendung Deutschlands erhalten. Ein Außenseitererfolg?
Wolf-Dieter Herrmann: Das ist eine Bestätigung dafür, dass wir so viel nicht falsch gemacht haben, denn wir sind gerade mal ein Jahr auf Sendung. Wir sind nämlich ein ganz kleines Team. Ein Redaktionsleiter, eine Assistentin, zwei Moderatoren, ansonsten Praktikanten und Azubis.
35 deutsche Privatsender hatten sich beworben. Was machen Sie denn besser?
Anders, nicht besser. Ich habe eine frechere Art, zu moderieren – und ich frage nach.
Als Moderator sind Sie kein unbeschriebenes Blatt. Spiegel, Kicker und das Zeit -Magazin lobten Sie zu Beginn der 90er-Jahre für Ihre fröhlich-fundierte Art. Man feierte Sie, damals Sat.1-Frontmann, als Pionier des deutschen Frühstücksfernsehens. Als einen, der etliche Politiker ins Schwitzen brachte. Wie haben Sie das geschafft?
Die Zuschauer und auch meine Gäste dürfen von mir erwarten, dass ich vorbereitet bin. Ich führe einfach Gespräche und frage nicht nur ab. Mich nervt, wenn man vor Wahlen die Politikerantwort kriegt: „Ich denke nicht darüber nach, was ist, wenn wir verlieren, ich gehe davon aus, dass wir gewinnen.“ Das ist Rumlaberei. Außerdem nehme ich durchaus Gegenmeinungen ein und provoziere. Ich will auch die Zuschauer sensibilisieren: Hey, es gibt nicht nur eine Sichtweise. Zum Beispiel neulich beim Thema Graffiti: Da hatte ich den Vorsitzenden des Vereins nofitti im Studio. Den habe ich dann mit Argumenten konfrontiert, die ich in der taz gelesen hatte, obwohl ich die nicht unbedingt teile.
Sie sind ein echter Selfmademan und bleiben sich als solcher stets treu?
Heute ist die Zeit der Selfmademen vorbei. Ich habe nur einen Hauptschulabschluss.
Ist das ein wunder Punkt?
Nö. Ich war damals einfach nicht clever genug, mich trotz der fehlenden Mittel fürs Gymnasium zu qualifizieren.
Sie sind im Wedding geboren.
Aufgewachsen bin ich in Tegel. Wir waren eine finanziell sehr schwache Familie: drei Söhne, meine Mutter allein erziehend, von früh bis spät arbeitend. Irgendwann hatten wir dann einen Stiefvater, der brachte noch einen Sohn mit. Wir wohnten damals in einer Einzimmerwohnung mit Wohnküche. Also Mutter und Vater in der Wohnküche und wir zu viert in einem Zimmer mit Hochbetten. Aber gut, ich hab’s überstanden.
Wo war Ihr eigener Vater?
Es war ein Franzose. Den habe ich zum letzten Mal gesehen, da stand er bei uns zu Hause in der Tür, ein großer stattlicher Typ. Ich war so ein kleiner Piefke von vielleicht sechs Jahren. Er stand da mit einem Esspaket. Er hat mich nie als seinen Sohn anerkannt. Ich hab mich aber immer gefragt, warum er was zu essen mitbringt, wenn ich nicht sein Sohn bin. Ich hab versucht, ihn zu finden, weil ich einfach mal mit ihm reden wollte, um zu erfahren, was da war. Meine Mutti war in dieser Hinsicht verschlossen. Meine beiden Brüder hatten einen anderen Papa. Ich hätt schon gern mal ein bisschen mehr erfahren, aber war nich. Schade.
Sie haben sich später selbst in ein Kinderheim eingewiesen. Wieso?
Ich bin, als ich 14 war, zum Vormund im Bezirksamt gegangen und hab gesagt: Wenn wir jetzt nicht eine größere Wohnung kriegen, will ich ins Heim. Ich war dann ein paar Jahre in Wittenau im Heim. Das war eine Zeit, in der ich eine Menge gelernt habe: etwa Selbstständigkeit und mich durchzusetzen. Ich wurde dann sogar Heimsprecher.
Das mit dem Sprechen, das war schon immer Ihre Stärke?
Wenn die Kollegen Probleme haben, kommen sie zu mir. Vielleicht weil ich offen bin, zuhöre und dann aber meine Meinung sage. Das halte ich auch für wichtig. Ich bin ein Aufrechtgeher. Als wir Heimjungen mal wegen irgendeiner Kleinigkeit einen Sitzstreik gemacht haben, drohten die Leiter gleich mit der Polizei. Ich dachte mir seitdem: Okay, mach deinen Mund auf, wenn was ist. Mich hat dieses Kleingeistige, das Primitiv-Doofe, immer geärgert.
Aber Berührungsängste mit simplen Dingen haben Sie nicht. Sie waren zum Beispiel mal Ted Herrmann, der Schlagersänger.
Nach der Hauptschule habe ich im Berliner Hotel Kempinski Kellner gelernt. Das hieß abends und am Wochenende arbeiten. Mit 19 war das einfach nur doof. Ich wollte ein bisschen die Sau rauslassen, Disko und so. Da ich schon immer gerne sang, habe ich 1969 bei einem Nachwuchswettbewerb mitgemacht – und gewonnen. Die Berliner „Hansa-Musikproduktion“ gab mir gleich einen Fünfjahresvertrag, das war sensationell.
Ihre erste Platte hieß „Ich will die Welt, wie sie ist“. Wurde das zu Ihrem Lebensmotto?
Ich bin entweder für Klassik – Schubert-Lieder sind meine Lieblingsmusik – oder eben ein Schnulzenheini. Ich bekam von der Hansa richtig guten Gesangunterricht bezahlt. Weil ich aber zu gut wurde und zu sehr in Richtung Oper abdriftete, kündigten sie meinen Gesangunterricht. Ich sollte keine Opern, sondern was Zackiges singen.
Ihr größter Hit?
Ich bin ein großer Roy-Black-Fan. Ihn habe ich in Coverversionen nachgesungen. Meinen größten Hit aber hatte ich 2003: Da habe ich eine CD mit Titeln für alte Leute eingesungen und selbst produziert – weil ich diese ganze Diskussion um die werberelevante Zielgruppe von 14 bis 49 Jahren schrecklich finde. Mit „Silberfäden“ konnte ich sogar in einer ZDF-Sendung bei Caroline Reiber landen, zum Muttertag. Mir macht das Freude, wenn ich sehe, dass eine alte Frau selig zuhört, Tränchen im Auge. Wenn ich 80 bin, findet sich hoffentlich auch ein junger Mensch, der sich mit mir mal unterhält.
Ralph Siegel, der bekannteste deutsche Schlagerkomponist, hat sogar ein Lied für Sie geschrieben.
„Mit dir möcht ich gern Bingo spielen“ hieß das. Das war für die 500. Sat.1-“Bingo-Show“, die ich damals moderierte. In den Drehpausen habe ich immer fürs Publikum gesungen, weil wir niemanden fürs Warm-up hatten und ich die Zuschauer nicht einfach so sitzen lassen wollte. Dann sagte der Sender: So, jetzt musst du auch mal in der Sendung singen. Das hat sich ganz gut verkauft, aber echte Hits hatte ich nie.
Ihr großer Erfolg wurde dann der Job als „Deutschlands Frühaufsteher Nr. 1“ bei Sat.1. Wie sind Sie denn dahin gekommen?
Auf Schlagersingen hatte ich bald keine Lust mehr. Und da ich sehr früh geheiratet habe, mit 22, hieß es dann jetzt was Vernünftiges machen. Ich habe mich als Unternehmer selbstständig gemacht und verkaufte als Vertreter einer US-Firma Produktionsanlagen an die Fleisch verarbeitende Industrie. Obwohl ich ganz erfolgreich war, dachte ich 1978, ich möchte gern mal Sportreporter werden, denn Sport hat mich immer begeistert. Ich fuhr also zum Rias und habe einfach mal gefragt, ob ich das machen kann. Ich kriegte vom damaligen Sportchef Udo Hartwig eine sensationell schöne Reaktion: Okay, mach mal, sagte er nur.
Wie? Ohne Praktikum und Referenzen?
Hertha BSC gegen VfB Stuttgart, das war meine Feuerprobe, in einen Kassettenrekorder gesprochen. Ein paar Tage später hatte ich meinen ersten Einsatz. Wacker 04 gegen Reinickendorfer Füchse. Ich habe bei der US-Firma gekündigt und dann als freier Sportreporter gearbeitet – irgendwann hat mich dann Radio Bremen angesprochen, die mich von den Fußball-Konferenzschaltungen her kannten. Dort landete ich später beim Bremer Fernsehen, bei „Buten und Binnen“, einer wirklich klasse Sendung, und moderierte jahrelang das Hafenkonzert. Ich bin aufgefallen, weil ich Fernsehansagen völlig anders machte. Damals las jemand den Text vom Zettel ab, guckte hoch, lächelte. Das war’s. Ich bin schon mal mit einem Motorrad ins Studio gefahren, um die Fernsehserie „Engel auf Rädern“ anzusagen. Lauter so durchgeknallte Sachen. Die waren innerhalb der ARD schnell legendär.
1985 begrüßten Sie dann die allerersten Zuschauer des ersten deutschen Privatsenders Sat.1.
Ja, das war am 1. Januar. Ich habe anschließend unheimlich viel moderiert: Quizsendungen, Programme, politische Sendungen, alles, quer durch den Garten. Dazu Werbung. Ich habe auch selbst Konzepte für Sendungen geschrieben. Ich war 250 Tage im Jahr auf Sendung. Der Sender wollte schließlich, dass ich das „Glücksrad“ moderiere. Aber ich wollte keine Gameshows machen, sondern Infotainment. Zunächst ließen die mich nicht. Dann hieß es plötzlich: Können Sie bitte morgen früh unser neues Frühstücksfernsehen machen?
Das hieß dann „Guten Morgen mit Sat.1“. Lockere Information am Morgen – das war 1987 noch ein völlig unbekanntes Format.
Ich wusste gar nicht, was das sein soll, kannte weder die Philosophie noch das Konzept. Na, ich hab’s dann drei Jahre lang gemacht. Eine schöne Zeit, die Zeit der Wende. Nur Kohl und Genscher saßen nie bei mir auf dem Sofa, weil wir keine Schaltungen nach Bonn gemacht haben. Alle mussten nach Hamburg ins Studio kommen. Die Öffentlich-Rechtlichen haben erst fünf Jahre später damit angefangen. Leider, leider, leider hab ich es dann aufgegeben.
Warum?
Sat.1 wollte im November 1990 nach Berlin umziehen. Meine Frau und ich hatten uns in Bremen ein Haus gekauft, unser Sohn ging dort noch zur Schule. Es war eine glatte Fehlentscheidung. Das war mein Sturkopf, und ich ärgere mich bis heute darüber. Denn das war meine Welt: informieren und unterhalten. Ich hab dann „Bingo“ moderiert und andere Gameshows. Nach einigem Hin und Her kam das Deutsche-Welle-TV und wollte mich für eine politische Sendung haben. Ich habe Ja gesagt, denn das war hochspannend, richtig politisch.
Seit 2003 sind Sie für den kleinen Sender FAB tätig, der früher in der Branche als „Videoabspielstation“ verspottet wurde. Das gilt in der Branche als ziemlicher Karriereknick. Wie empfinden Sie das?
Ich stehe dazu. Für mich gibt es keine unterschiedlichen Kategorien von Zuschauern. Ich sehe oder fühle doch nicht, ob es 40.000 oder 400.000 Zuschauer sind, die meine Sendung sehen. Vielmehr bemühe ich mich, für jeden Einzelnen eine gute und interessante Sendung zu machen. Man muss dem FAB und seinen Machern zudem großen Respekt entgegenbringen. Diesen Sender gibt es seit 14 Jahren, er ist heute der größte Regionalsender Deutschlands – in dieser Zeit ist der Sender, der heute TV B heißt, dreimal in die Insolvenz gegangen.
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