Nachruf auf Fotograf Henning Scholz: Abschied vom Knipser
Der frühere taz-Fotograf Henning Scholz ist gestorben. Er hielt fast ein Vierteljahrhundert Hamburger Zeitgeschichte fest.
„Ich hing an jedem Foto. Manche sind fast schon ikonisch“, sagt seine Ex-Frau Mia Matzen, die damals anlässlich des 50. Geburtstags ihres Mannes die Ausstellung unter dem Titel „Pressefotografie aus 20 Jahren taz-hamburg“ konzipiert hatte.
Eindrücklich sei zum Beispiel ein Bild von 1990, bei dem die Kamera auf den damaligen SPD-Bausenator Eugen Wagner durch eine riesige Röhre blickt. Oder ein Foto im starken Schwarz-Weiß-Kontrast, auf dem 1997 SPD-Bürgermeister Ortwin Runde zur Amtseinführung die Hand zum Schwur erhebt. Oder ein Bild von orthodoxen Juden, die 1992 auf dem Boden knieend gegen die Bebauung eines alten Friedhofs protestieren.
Die Bezeichnung Knipser sei bei Henning eher Understatement und eine „ironische Selbstrücknahme“ gegenüber einer stets hektischen und oft wichtigtuerischen Reporter-Szene, schrieb Hajo Schiff. Er hebe sich davon wohltuend ab und lasse sich besonders für seine Porträts viel Zeit. Er nutze seine Blickschulung, um aus alltäglichen Zeitungsterminen ein anschaubares Bild zu ziehen.
Die Arbeit in der Fotoredaktion umfasste viel Handwerk. Die Bilder mussten damals entwickelt, auf Papier abgezogen und dann noch für die Druckvorlage gerastert werden. „Henning Scholz war eine Konstante in der taz“, sagt der frühere Chef vom Dienst, Michael Berger. „Er war immer da, immer ruhig, sehr fleißig und ein angenehmer Kollege.“ Wurde eilig eine Pressekonferenz anberaumt, nahm Henning die Schreiberlinge im Auto mit zum Rathaus und fand immer einen Parkplatz. In der Redaktion sah man ihn eigentlich stets mit einer Foto-Entwicklerdose in der Hand.
Bei Terminen hätten die Kollegen der großen Konkurrenz-Blätter locker drei Filme mit hundert Bildern verschossen, erinnert sich Dirk Wildt, der in den 1980ern Hennings Kollege war. „Wir konnten uns das nicht leisten. Ein Film mit 36 Bildern kostete sieben Mark.“ Deswegen habe man nur zehn Fotos gemacht, diese in der Dunkelkammer abgeschnitten und den restlichen Film weiter benutzt. Das habe aber zur Qualität beigetragen, sagt Wildt. „Wir mussten uns genau überlegen, wann wir abdrücken.“
Henning war das zweite von vier Kindern eines Norwegers und einer Deutschen und wuchs in der Fischbeker Heide nahe Hamburg auf. Nach der Schule lernte er Werbegrafik und studierte anschließend an der Fachhochschule für Gestaltung Kommunikationsdesign. Noch vor seinem Abschluss als Diplom-Designer begann er bei der damals frisch gegründeten taz Hamburg.
„Er war ein guter Beobachter, ein guter Fotograf und sehr zurückhaltend“, sagt seine Schwester Karin Scholz. „Er machte nicht nur politische Fotografie, das sieht man auf seiner Website.“ Und er sei sehr ordentlich gewesen. An die 20 Aktenordner mit chronologisch archivierten Negativen Hamburger Zeitgeschichte hat er hinterlassen.
Das Arbeitsverhältnis zwischen Henning und der taz ging 2006 zu Ende, als der Verlag die Hamburger Fotoredaktion auflöste. „Nach dem Austritt aus der taz fiel er in ein tiefes Loch. Das nahm Henning sehr mit“, sagt seine damalige Lebensgefährtin Barbara Cordt. Zwar gab es eine Transfergesellschaft, in der sich die ehemaligen taz-Kollegen für neue Arbeitsbereiche spezialisieren konnten. „Aber damit konnte er nicht viel anfangen“, sagt Cordt.
Henning arbeitete als freier Fotograf. 2010 erkrankte er an Krebs. „Danach war sein Fokus, sich um seine Gesundheit zu kümmern“, berichtet Cordt. Er lebte zuletzt recht zurückgezogen von einer kleinen Rente und Hartz IV. Einmal im Jahr veranstaltete er eine Ausstellung im Altonaer „Via Cafélier“ mit einer Künstlergruppe, zu der auch sein Bruder gehörte. In diesem Mai kam er nach einem Sturz ins Krankenhaus, wo man entdeckte, dass der Krebs zurück war.
Henning habe immer mal wieder Anfragen von Geschichtswerkstätten gehabt, die sich für seine Bilder interessieren, auch jüngst noch habe ein Interessent bei seiner Schwester nachgefragt. Karin Scholz sucht nun nach einer Möglichkeit, das Werk zu erhalten, wofür die zahlreichen Negative aber digitalisiert werden müssen. Ein Archiv in Ungarn würde das übernehmen, sagt sie. „Aber nur bis 1990. Henning hat bis 2000 Schwarz-Weiß-Fotos gemacht.“ Auch wäre es doch schön, wenn die Bilder in Hamburg blieben.
Henning starb am 2. Oktober im Krankenhaus und wurde 72 Jahre alt. Am 22. November findet eine Trauerfeier im kleinen Kreis statt, bevor am Folgetag seine Urne beigesetzt wird, im Friedwald Buxtehude.
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