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Fenster und Türen sollen offen bleiben

Um über Russland und die von ihm ausgehende Bedrohung sprechen zu können, müssen wir das Land verstehen. Die taz Panter Stiftung unterstützt deshalb das russische Exilmedium „Meduza“, das sein 10. Jubiläum feiert

Antikriegsprotest im März 2022 in Sankt Petersburg. Demonstranten schreiben „Nein zum Krieg!“ aufs Eis, russische Behörden übermalen es Foto: Fotograf ist der taz, möchte aber anonym bleiben

Von Gemma Terés Arilla

Es sei nicht angenehm als Exilmedium arbeiten zu müssen. „Denn wir haben zwar das Gefühl von Sicherheit, aber sie ist nicht wirklich gegeben: Unser geliebtes Riga, wo sich unsere Redaktion befindet, aber auch Berlin sind Orte, an denen wir nicht vollkommen sicher sind“, erklärt Meduza-Chefredakteur Ivan Kolpakov im Rahmen eines Podiumsgesprächs am 11. November in der taz Kantine. Dabei bezieht er sich auf die Ausspähung der Meduza-Mitgründerin und Geschäftsführerin Galina Timtschenko. Doch das ist nicht das einzige Problem, mit dem sich das Exilmedium konfrontiert sieht: „Die größten Risiken bestehen natürlich für unsere Kol­le­g*in­nen in Russland. Und wenn wir diese Menschen nicht hätten, die weiterhin unermüdlich ihren Beitrag leisten, könnten wir nicht aus Russland berichten“, fügte er hinzu.

Das wichtigste russische Exilmedium Meduza ist im Herbst zehn Jahre alt geworden – und die taz Panter Stiftung hat zu diesem Anlass Kolpakov und Timtschenko nach Berlin eingeladen. Seit bald zwei Jahren unterstützt die Stiftung das 2014 in Lettland gegründete englisch- und russischsprachige Internetportal. Einmal in der Woche erscheint auf taz.de/meduza eine Auswahl von Texten des Exilmediums aus Russland – geschrieben von Medienschaffenden, die für Meduza frei von Kreml-Propaganda und kritisch arbeiten können. Die taz Panter Stiftung unterstützt ihr Wirken, indem sie jede Woche ein Fenster nach Russland öffnet und die Texte des Exilmediums einem breiteren Publikum vorstellt. Mit einer Themenauswahl, die ein größeres Spektrum als das in den meisten deutschen Medien nur mit Staatschef Wladimir Putin in Verbindung gebrachten Landes abdeckt. Die taz Panter Stiftung fasst die Texte des russischen Exilmediums kurz zusammen – ohne zusätzliche redaktionelle Bearbeitung der Inhalte. Denn es geht um ein Fenster nach Russland aus einem anderen Blickwinkel – einen Perspektivenwechsel im Sinne des konstruktiven Journalismus.

Als „Bollwerk“ und „Brandmauer“ präsentierte Timtschenko das Medium Meduza bei der Abendveranstaltung Mitte November in Berlin. „Wir müssen verstehen, was auf der anderen Seite der Mauer passiert, um über die Bedrohung sprechen zu können“, erklärt sie. Die Meduza-Geschäftsführerin hat Russland im Jahr 2014 Richtung Lettland verlassen. Denn ihre journalistische Arbeit stand für sie an erster Stelle – und sie in ihrem Heimatland auszuüben, war nicht mehr möglich. „Die Presse als solche existiert in Russland nicht mehr, alles wurde dem Erdboden gleichgemacht. Was bleibt, sind einzelne Journalist*innen, die im Inneren des Landes weiterkämpfen“.

Genau diese Au­to­r*in­nen werden mit jedem von Meduza veröffentlichen Beitrag unterstützt. Journalist*innen, die unter Pseudonym publizieren und die bei schwierigen Recherchen – wie etwa der Kinderverschleppung aus der Ukraine oder der hohen Totenzahl russischer Soldaten an der Front – nie allein einen ganzen Text ­schreiben, um sich und ihr Leben zu schützen. Der Satz „Gemeinsam sind wir stark“ passt bestens.

Doch nachdem Meduza im Januar 2023 vom Kreml zur „unerwünschte Organisation“ erklärt worden war, musste das Exilmedium seine Finanzierung überdenken und neu aufstellen. Denn über Nacht wurde das Medium damit für Menschen in Russland verboten. „Meduza ist dort illegal. Allein Inhalte von Meduza zu teilen, gilt als eine Straftat. Uns zu liken oder uns zu spenden, ist eine Straftat. Sehr oft werden auch unsere Kolleginnen und Kollegen sehr hart bestraft. Unser Chefredakteur muss jedes Mal abwägen, ob ein Text tatsächlich das Leben oder eine 20-Jahre-Strafe, die er jemandem kosten könnte, wert ist“, erklärt Timtschenko in Berlin.

„Auch innerhalb von Putins System, vielleicht unter den laut Forbes hundert reichsten Personen Russlands, gibt es Menschen, die nicht von Sanktionen getroffen sein wollen, die den Ukrainekrieg nicht unterstützen und erwarten, dass die Beziehungen zum Westen wiederaufgenommen werden. Und die bereit sind, mit uns zu reden“, fügt der Chefredakteur hinzu. Kritische Stimmen sollen ein Gehör bekommen können, Türen geöffnet bleiben, um Brücken zu bauen. Letztere errichtet das Exilmedium ebenfalls: um Putins Blockaden immer wieder zu unterlaufen.

Der taz talk 10 Jahre „Meduza“ fand am 11. November statt. Themen: Pressefreiheit in Russland, Georgien nach der Parlaments- und Belarus vor der Präsidentschaftswahl. Auf Youtube zum anschauen: taz.de/ein-blick-nach-osten

Als Katz-und-Maus-Spiel bezeichnet Timtschenko dieses Kräftemessen: In Russland wurden Youtube, X und Facebook gesperrt, den größten Teils des russischen Publikums hatMeduza aufgrund des Verbots verloren. Mit technischen Möglichkeiten – etwa VPNs und eigens entwickelten Apps – versuchtMeduza, das zu umgehen. Nach eigenen Angaben hat das Exilmedium rund zehn Millionen Besucher im Monat.

„Wir rennen weg, sie holen uns ein. Aber leider muss ich auch sagen: Es ist ein Vernichtungskrieg, der gegen uns geführt wird. Die Ressourcen der russischen Propagandisten sind einfach viel größer, sie haben Millionen Mal mehr Möglichkeiten“, führt die Herausgeberin aus, die sich gerne als Mischung von Pessimistin und Realistin beschreibt.

„Die Presse als solche existiert in Russland nicht mehr“

Galina Timtschenko, Geschäftsführerin von „Meduza“

Die taz Panter Stiftung wird die wöchentliche Meduza-Auswahl auch nächstes Jahr fortsetzen. Und wir wollen dieses „Fenster nach Russland“ noch ein Stück weiter aufmachen, indem wir in den Dialog mit weiteren kritischen russischen Medien- und Kunstschaffenden treten. Wir werden unseren Einsatz für Presse- und Meinungsfreiheit also fortführen – bald mehr auf: taz.de/stiftung/podcasts

Die Autorin ist seit Januar Leiterin und seit Mai 2024 Vorständin der taz Panter Stiftung.

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