Ökonomin Weber zu Wirtschaft unter Trump: „Angst ist ein wichtiger Faktor“
Was passiert nun mit der Wirtschaft der USA? Die Ökonomin Isabella M. Weber über Inflation, Preisschocks und antifaschistische Wirtschaftspolitik.
taz: Frau Weber, in den USA war das Wirtschaftswachstum unter Joe Biden sehr gut, die Arbeitslosigkeit niedrig. Wenn der Clinton-Spruch „It’s the economy, stupid“ stimmen würde, hätte Kamala Harris haushoch gewinnen müssen.
Isabella M. Weber: Bei den Sorgen um die Wirtschaft wurden viel zu schnell die Bedenken der Menschen weggewischt und gesagt, die Leute verstehen einfach nicht, was los ist, die Daten sehen doch super aus. Wenn wir uns nur Wachstum und Beschäftigung angucken, übersehen wir aber etwas Wichtiges: die nachhaltige Wirkung der Inflation. Die ist zwar in den vergangenen Monaten gesunken, aber sie war während der Biden-Jahre so hoch wie seit den 70er Jahren nicht mehr. Am stärksten gestiegen sind die Preise von essenziellen Gütern, also Essen, Verkehr, Energie. Ganz wichtig sind auch die Kosten fürs Wohnen, die durch die starken Zinssteigerungen verschärft wurden.
taz: Die US-Zentralbank hatte aber die Zinsen erhöht, um die Inflation zu senken.
Weber: Dadurch konnten sich viele ihre Hypotheken nicht mehr leisten. Gleichzeitig sind die Hauspreise extrem gestiegen. Die Kombination aus beidem hat dazu geführt, dass sie keine Chance mehr hatten, ein Haus zu kaufen. Und dadurch stiegen die Mieten in bestimmten Regionen sehr stark.
Jahrgang 1987, ist Ökonomin und Professorin für Volkswirtschaftslehre an der University of Massachusetts Amherst in den USA. Schwerpunktmäßig beschäftigt sie sich mit der politischen Ökonomie Chinas, internationalem Handel, der Geschichte des wirtschaftlichen Denkens sowie mit Preis- und Geldtheorie.
taz: Wen hat das am härtesten getroffen?
Weber: Es macht einen großen Unterschied, ob man mietet oder nicht, ob man eine Familie hat. Familien geben in der Regel sehr viel mehr Geld für Essen aus als Alleinstehende. Wenn man vor der Inflation systematisch Güter im Angebot gekauft hat und die Rabatte nun verschwunden sind, hatte man auf einmal eine enorm hohe Inflationsrate im Lebensmittelbereich, noch weit über der gemessenen Inflation. Bei der Inflation reden wir immer nur über Durchschnitte, wo einerseits ein durchschnittlicher Preisanstieg und andererseits ein repräsentativer Warenkorb angenommen wird. Aber auf beiden Seiten gibt es große Heterogenität.
taz: In Ihrer Forschung haben Sie herausgefunden, dass in den USA ein großer Teil der Preissteigerung den Profiten der Unternehmen zugutekam.
Weber: Das ist wirklich ein Problem. Die Leute gehen zur Arbeit, erfüllen ihren Teil des Gesellschaftsvertrags und müssen sich dann Sorgen machen, ob sie ihren Einkauf bezahlen können. Und gleichzeitig fahren Unternehmen, insbesondere in den essenziellen Sektoren wie Energie, Lebensmittelrohstoffhandel und Schifffahrt Jahrhundertrekordgewinne ein. Menschen bekommen das Gefühl, dass sich die Regierung in einer Notlage nicht für ihre Grundbedürfnisse eingesetzt hat, und sie dem Gewinnstreben schutzlos ausgesetzt waren. Das löst eine Grundskepsis gegenüber dem System aus.
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taz: Was hätten die Demokraten dagegen tun können?
Weber: Biden hätte mit Executive Orders gegen Preistreiberei vorgehen können. Tatsächlich hatte Trump genau das während der Pandemie getan. Kamala Harris hat am Anfang ihres Wahlkampfs angekündigt, dass sie ein Gesetz gegen Preistreiberei im Lebensmittelbereich einführen will. Die Reaktionen waren vernichtend, insbesondere von der Ökonomenschaft, sodass sie in ihren Reden das Thema sehr stark zurückgenommen hat. Stattdessen hat sie auf die Wünsche der Wall Street gehört und versucht, ihre Glaubwürdigkeit durch eine Rede zu Wirtschaftsfragen zu steigern, in der sie Ökonominnen und Ökonomen von ihrer Fachkompetenz überzeugen wollte. Das ist ein grundlegendes Missverständnis. Wählerinnen und Wähler, deren größte Sorgen die Inflation und die Wirtschaft sind, wollen nicht jemanden, der so redet wie ein VWL-Professor. Sie wollen das Gefühl haben, dass ihre Probleme verstanden werden.
taz: Warum hat die Harris-Kampagne den Gesetzesvorschlag verschwinden lassen?
Weber: Das war Teil der größeren Strategie, mit der man versucht hat, die „vernünftigen“ Republikaner anzusprechen, die Republikaner, die nicht von einem „Tölpel“ wie Trump regiert werden wollen. Und diese Strategie ist knallhart gescheitert. Man hat die Stimmen der Arbeiter damit komplett verloren, man hat aber auf der republikanischen Seite nichts gewonnen. Man hat die Leute verloren, die man hätte gewinnen können, und die Leute nicht gewonnen, die man gewinnen wollte.
taz: Nach Trumps Wahlsieg haben Sie eine antifaschistische Wirtschaftspolitik gefordert. Was meinen Sie damit?
Weber: Dass Biden in der Pandemie mit viel Geld die Wirtschaft am Laufen gehalten und Industriepolitik betrieben hat, ist gut und richtig und ein großer Schritt in die richtige Richtung gegenüber dem, was man in Deutschland beobachtet. Aber letztlich sind die Investitionsprogramme zu weit weg gewesen von den Bedürfnissen der Leute. Wir brauchen eine Wirtschaftspolitik, die von den Bedürfnissen, von den Sorgen der Leute ausgeht. Die nicht sagt: Ihr habt keinen Abschluss in VWL, ihr versteht nicht, was wir Experten für euch machen.
Wir müssen systematisch zuhören, um zu verstehen, wo die Sorgen der Menschen sind. Und dann diese Sorgen adressieren, anstatt darauf zu hoffen, dass wenn wir zum Beispiel eine Chipindustrie aufbauen, als Nebenprodukt auch ein paar Arbeitsplätze entstehen. Es muss bei der Industriepolitik von Anfang an mitgedacht werden, wie sie nicht nur den Unternehmen und der Wettbewerbsfähigkeit, sondern auch den Interessen der vielen dient.
taz: Was ist daran antifaschistisch?
Weber: Es geht darum, wie wir Wirtschaftspolitik so gestalten, dass die Menschen sich wieder in ihrem Land zu Hause fühlen, und zwar ohne dass sie mit dem Finger auf Migranten zeigen und einer Partei mit menschenverachtenden Auffassungen in die Arme getrieben werden. Wir kommen aus mehreren Jahrzehnten des Neoliberalismus, in denen uns systematisch abgewöhnt wurde, einen gestalterischen Staat zu denken. Wir müssen das wieder wagen und die Leute mit wirklichen Alternativen zurückgewinnen, so dass die Rechten nicht die einzige Option sind, die den Status quo in Frage stellen.
taz: Was bedeutet das für die Politik?
Weber: Es braucht einen wirtschaftspolitischen Katastrophenschutz, also Pläne, damit nach Preisschocks wie nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine oder nach Naturkatastrophen die Preise von essenziellen Gütern nicht explodieren. Die Bedürfnisse der Menschen dürfen nicht als Kollateralschaden freier Preise behandelt werden.
Es braucht in essenziellen Sektoren strategische Redundanzen, um Angebotsschocks abfedern zu können. Es braucht gezielte Maßnahmen wie eine Mietpreisbremse. Es braucht aber auch eine grüne Reindustrialisierung, die auf die Bedürfnisse der Leute zugeschnitten ist. Einen Solarpark zum Beispiel kann man so bauen, dass alle Leute sich darüber ärgern, weil er dort ist, wo man spazieren geht. Oder man baut Solarpaneele auf Parkhäuser und Supermärkte und entlang der Autobahnen, vielleicht sogar so, dass dabei noch Schallschutz entsteht. So baut man die Bedürfnisse der Leute systematisch in den Ausbau einer grünen Infrastruktur ein.
taz: Ein Umbau zu einer klimaneutralen Wirtschaft spielt sich vor allem bei Verkehr, Strom und Heizen ab, also dort, wo es um Grundbedürfnisse geht. Dass die Leute das aufregt, hat man in Deutschland beim Heizungsgesetz gesehen.
Weber: Wenn man den Leuten die Idee vermittelt, dass man ihnen die Heizung aus den Wänden reißt, dann entsteht natürlich Angst. Angst ist ein ganz wichtiger Faktor beim Aufstieg der Rechten. Wenn man aber sagt, jeder Mieter hat das Recht, von seinem Vermieter zu fordern, dass eine Wärmepumpe eingebaut wird, und der Vermieter kann sich das vom Staat erstatten lassen und man muss im Sommer nicht mehr in einer überhitzen Wohnung sitzen, dann würden alle sagen, wunderbar.
Auf einmal hat man einen positiven Bezug zur Energiewende. Das sind alles kleine Beispiele, letztlich braucht man einen größeren Plan. Aber diese Art zu denken, die Bedürfnisse der Menschen mit der notwendigen grünen Reindustrialisierung zusammenzubringen, ist ganz zentral.
taz: Was befürchten Sie, wenn das nicht passiert?
Weber: Dieses Wahlergebnis in den USA – trotz Bidens viel erfolgreicherer Wirtschaftspolitik und obwohl Trump schon mal an der Macht war –, das sollte eine Warnung sein für Deutschland. In den USA ist jetzt die Frage, wie man überhaupt mit dieser Trump-Regierung umgeht.
Was kann man tun, um die Demokratie zu verteidigen, die Rechte der betroffenen Gruppen, die die ersten Zielscheiben dieser Politik werden? In Deutschland ist es noch nicht so weit. Ja, unsere Regierung fällt auseinander, aber die AfD ist noch nicht an der Macht. Es ist fünf vor zwölf. Es ist die Verantwortung aller, die sich als Demokratinnen und Demokraten verstehen, endlich eine Wirtschaftspolitik zu betreiben, die den weiteren Aufstieg der extremen Rechten systematisch verhindert.
taz: Katastrophenschutz, eine Reindustrialisierung, das ist alles teuer. Woher kommt das Geld dafür?
Weber: Anders als viele andere Länder hat Deutschland eine öffentliche Bank, die KfW. Man könnte sie viel strategischer mobilisieren. Der Zusammenhang zwischen Sparpolitik und Faschismus ist historisch extrem gut belegt. Ich halte es für absolut unverantwortlich, in der gegenwärtigen Krise im Wissen dieses Zusammenhangs und in Anbetracht der sehr niedrigen Staatsschuldenquote die Schuldenbremse nicht auszusetzen.
Wir sind an dem Punkt, an dem auch die CDU entscheiden muss, ob sie eine demokratische Partei ist, die bereit ist, die überfällige Reform der Schuldenbremse mit voranzubringen. Oder ob sie eine Partei ist, die bereit ist, die Demokratie aus parteitaktischen Gründen in ernsthafte Gefahr zu bringen.
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