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Parteitag der GrünenDie Grünen – ein Wintermärchen

Auf ihrem Parteitag küren die Grünen Robert Habeck mit 96,48 Prozent der Stimmen zum „Kandidaten für die Menschen“ und gehen motiviert in den Wahlkampf.

Mit dir? Nein, mit dir! Ostentative Harmonie zwischen neuen Nummer 1 und der neuen Nummer 1b Foto: Michael Kappeler/dpa

Seinen zweiten Satz nimmt die Partei Robert Habeck nicht ab. Wahrscheinlich glaubt er es ja selber nicht. „Ich kann das nicht so gut, dieses Lobhudeln und die Komplimente annehmen“, sagt er zu Beginn seiner Bewerbungsrede am Sonntagmittag in der Wiesbadener Kongresshalle. Dann muss er auch schon die erste Pause machen, weil ein Lachen durchs Publikum rollt. Ja klar, dem Vizekanzler, der seine Eitelkeit noch nie verbergen konnte, ist das unangenehm: dass er nach all den Jahren endlich am Ziel ist, dass die Partei ihn jetzt feiert und er sie in diesem Wahlkampf anführen darf.

Als Kanzlerkandidat, auch wenn die Grünen das an diesem Wochenende so selten sagen. Mit rund 10 Prozent in den Umfragen wollen sie nicht zu breitbeinig auftreten. Als „Kandidat für die Menschen im Land und wenn sie wollen auch als ihr Kanzler“ hat Annalena Baerbock ihn auf der Bühne etwas verdruckst angekündigt, ähnlich steht es auch in der Beschlussvorlage für die Nominierung.

Aber ob Menschenkandidat oder Kanzlerkandidat: Sei’s drum, er steht jetzt vorne. Und das mit größerem Rückhalt als mitunter gedacht. Annalena Baerbock, zu der er zwischendurch ein gespaltenes Verhältnis hatte, wird ihn im Wahlkampf als Nummer 1b unterstützen. Auf der Parteitagsbühne preist sie ihn: „Wir sind im Team unschlagbar mit unserem Robert an unserer Spitze!“ Und auch die Partei zieht mit, zumindest nach außen. Noch vor wenigen Wochen war die Skepsis unübersehbar, im linken Flügel und in Teilen der Basis. Am Freitag stapften viele Delegierte zum Beginn des Parteitags müde in die Halle. Winterwahlkampf? Oh Gott.

Es ist eine Rede ganz nach Habeck-Art: Selbstkritik mit Handbremse, eine Prise Demut, etwas Pathos und ein Schuss Philosophie

Zwei Tage später lässt sich davon fast niemand mehr etwas anmerken. Die Bundesdelegiertenkonferenz diente den Grünen anderthalb Wochen nach dem Ampelbruch als Motivationsmaschine. Nicht zuletzt, weil von der Bühne verkündet wird, dass die Partei seither 11.000 neue Mitglieder verzeichnet hat. 11.000, in so kurzer Zeit! Die Delegierten sind geflasht und jubeln frenetisch. Das hat es noch nie gegeben.

Feminist against Merz & Scholz

Letzter Baustein des Spektakels ist die Habeck-Rede zum Abschluss am Sonntag. Es ist eine Rede ganz nach Habeck-Art: Selbstkritik mit Handbremse, eine Prise Demut, etwas Pathos und ein Schuss Philosophie. Habeck will die Partei damit hinter sich versammeln. Gleichzeitig ist es eine erste Wahlkampfrede an die Bevölkerung.

Die Kernbotschaften, die sich darin auch nach außen richten: Habeck will das Land „dienend führen“. Arroganz und Überheblichkeit, mit der die Grünen so oft verbunden werden, möchte er in den nächsten drei Monaten abschütteln. Auf persönliche Angriffe auf die politische Konkurrenz verzichtet er. Kanzlerabel und konstruktiv soll das offenbar erscheinen. Attacken überlässt er diesmal anderen.

Sehr wohl kritisiert er aber die Große Koalition, die vor 2021 zu viele Aufgaben liegengelassen habe. Dieses Motiv wird er im Wahlkampf wohl noch oft wiederholen: Am wahrscheinlichsten scheint für die nächste Legislatur derzeit ein Bündnis von Union und SPD. Um bei CDU/CSU einen Fuß in die Tür zu bekommen, brauchen die Grünen eine Anti-Groko-Stimmung im Land.

Für die Parteiseele steckt noch anderes in der Rede. Habeck möchte die ganze Partei mitnehmen, und dabei helfen die Inhalte, mit denen er in den Wahlkampf gehen will. Gleich im ersten Teil seiner Rede gibt Habeck den Feministen. Wie so oft, wenn linke Männer über Gleichstellung sprechen, wirkt er dabei etwas bemüht – belehrend will er nicht rüberkommen. „Was ich gestern gemerkt habe, euch zuhörend: dass es nicht das Problem der Frauen ist, dass wir immer noch keine Geschlechtergleichheit in Deutschland haben. Es geht die Männer genauso an“, sagt er. Bei den Wählerinnen sehen die Grünen offenbar Potenzial und einen Vorteil gegenüber den Kandidaten Scholz und Merz.

Beifall für soziale Gerechtigkeit

Die Klimapolitik soll auch wieder mehr Raum bekommen als in den letzten Grünen-Wahlkämpfen. Der Klimawandel bedrohe „das Leben jetzt hier auf unserer Erde“. Sozial gerecht soll es aber zugehen, in der Klimapolitik und darüber hinaus – dieser Schwerpunkt ist als Lehre aus den Ampeljahren aus der gesamten Partei zu vernehmen. „Wieso sollten die Gas- und Ölkonzerne, die astronomische Summen in den letzten Jahrzehnten verdient haben, nicht ihren Anteil bezahlen, die Schäden wieder auszugleichen“, fragt Habeck, klingt dabei so gar nicht mehr nach dem Wirtschaftsminister der vergangenen Jahre – und erhält so viel Beifall wie an kaum einer anderen Stelle seiner Rede.

Motiviertheit ist Pflichtbestandteil der großen, grünen Harmonieshow

Knapper und weniger konkret hält er dafür die Passage zur Migrationspolitik. Wenn es nach den Grünen geht, werden Flucht und Asyl diesen Wahlkampf nicht dominieren. Regeln müssten in beide Richtungen gelten: Wer vergewaltige oder morde, verwirke sein Aufenthaltsrecht – die Politik müsse aber auch das Asylrecht achten.

Vor allem in den letzten beiden Punkten spiegeln sich auch die größten inhaltlichen Auseinandersetzungen rund um diesen Parteitag. Es geht in Wiesbaden nicht nur um Personalfragen, sondern auch um inhaltliche Anträge aus der Partei, über die die Mitglieder vorab abstimmen konnten. Die Top 10 kommen auf dem Parteitag zur Abstimmung. Ganz vorne: die soziale Frage.

Um bei CDU/CSU einen Fuß in die Tür zu bekommen, brauchen die Grünen eine Anti-Groko-Stimmung im Land

Mit dabei sind auch der Paragraf 218 und ein AfD-Verbot – und eben die Migrationspolitik. Kaum ein Thema ist bei den Grünen nach drei Jahren Regierungsbeteiligung und etlichen schmerzhaften Kompromissen so umstritten wie dieses. Doch der Crash der Ampel diszipliniert. In drei Monaten ist Bundestagswahl, auf offener Bühne will man sich da nicht streiten.

Schwammig, aber Schwamm drüber

„Zurück zur Vernunft“ heißt der Antrag, den unter anderem der linke Europaabgeordnete Erik Marquardt eingereicht hatte. Eingegangen waren dazu 175 Änderungsanträge, von denen blieb am Ende kaum etwas übrig. Hinter den Kulissen wurden die Details bis kurz vor der Beratung verhandelt, in den meisten Punkten kam es noch rechtzeitig zu Kompromissen.

Der Preis: Viel Klarheit über den künftigen Kurs der Grünen verschafft der Beschluss nicht. „Abschiebungen in Kriegs- und Krisengebiete verbieten sich“, heißt es im Text. Kurz darauf kommt eine Einschränkung: „Doch besonders bei Menschen, die schwere Straftaten begangen haben oder Gefährder sind, muss der Rechtsstaat durchgreifen.“ Das kann man als unabhängige Ergänzung oder als Einschränkung lesen.

Schwammig ist auch der Beschluss zur Vermögensteuer. Das Wort schafft es zwar in den Beschluss, aber nicht als konkrete Forderung, nur als eine von mehreren Möglichkeiten, wie man zu einer gerechteren Verteilung kommen kann. Und die Forderung zum Klimageld bleibt, 2025 als Zeitpunkt der Einführung findet sich am Ende aber nicht im Beschluss.

Auf diesem Parteitag ist Harmonie angesagt, dem Aufbruchsgefühl mit Blick auf die Wahl will kaum jemand im Weg stehen. Einen der wenigen Störmomente gibt es am Samstag vor der Halle, wo der Hessische Flüchtlingsrat eine Kundgebung aufgebaut hat. „Die Grünen sind schon noch die Partei, von der wir ein bisschen was erwarten“, sagt der Aktivist Timmo Scherenberg. Falls die Partei wieder Koalitionsverhandlungen führt, müssten „rote Linien rote Linien bleiben“. Wie viel Hoffnung er da habe? Scherenberg verzieht erst mal das Gesicht. „Wenn wir gar keine Hoffnung hätten, wären wir nicht hier“, sagt er dann.

Jetzt kann es losgehen

In der Halle selbst veranstaltet am Sonntagvormittag eine Gruppe der Grünen Jugend ein Sit-In vor dem Stand des Energiekonzerns RWE, der den Parteitag sponsert. „Lützi bleibt“ und „Keine Hinterzimmer-Deals mit RWE“ steht auf ihren Schildern. Eines der Mitglieder, das auf dem Boden sitzt, ist die Berliner Studentin Elina Schumacher.

Später, nach der Habeck-Rede, wird sie sagen: Manches ist in die richtige Richtung gegangen. Jetzt komme es darauf an, was im Wahlprogramm steht und in künftigen Koalitionsverhandlungen passiert. „In der Vergangenheit haben wir schlechte Erfahrungen gemacht“, sagt sie.

Bei der Mehrheit der Delegierten ist die Stimmung am Ende des Parteitags aber eine andere. „Er hat mir aus der Seele gesprochen“, sagt Anja Eggert, Grünen-Mitglied aus Rostock, nachdem Habeck seine Rede beendet hat. „Der Parteitag ist extrem motivierend.“ Zwar sei ein Winterwahlkampf nicht schön und im Dunkeln das Plakateaufhängen zu Hause noch gefährlicher, stimmt ihr Carolin Roth zu, die ebenfalls aus Rostock kommt und neben Eggert am Hallenrand steht. Aber jetzt könne es losgehen.

Basteln für eine neue Ära: delegierte Handarbeit Foto: Michael Kappeler/dpa

Am Sonntagnachmittag ebbt in der Halle auch irgendwann der große Applaus für Habeck ab. 96,48 Prozent der Delegierten küren ihn zum „Kandidaten für die Menschen in Deutschland“. An anderen Tagen hätten die Grünen so ein Traumergebnis kritisch beäugt. Aber jetzt passt die Zahl perfekt in die Show.

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5 Kommentare

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  • " Zu Medienberichten, wonach er die Partei nach seinen Vorstellungen umgestalten wollte, sagt Habeck in einer Diskussion mit Mitgliedern: „Ich hasse das wie die Pest. Wenn ihr glaubt, dass ich so wäre, dann wählt mich bitte nicht bei der Wahl!“ " (noz.de)

  • Das ist kein "Kandidat für die Menschen". Er hat Lützerath zerstören lassen, also ist er auch nicht für die Menschen.

  • Auf allen Kanälen nur noch positive Meldungen über Habeck vom Grünen-Parteitag. Das Problem für Habeck und die Grünen ist das in Gegensatz zu 2021 wo man mit Markigen Sprüchen und Wahlplakate (wie z.B. erlebe das grüne Wirtschaftswunder) nun alle am eigenen Leib miterleben konnte wie die Wirtschaft abschmiert. Und dass die Grünen SPD und AfD stimmenmäßig überflügeln glaube ich nicht. Wenn’s ganz schlecht läuft und es ein FDP-Revival gibt, dann fünfter.

  • RWE als Sponsor, da steht einer glaubhaften grünen Umwelt- und Energiepolitik nichts mehr im Wege.

  • Eines muss man den Grünen lassen, Humor haben sie, als 10 bis 12 Prozent Partei einen Kanzlerkandidaten zu stellen.