Komponist über Konzert zum 75 Geburtstag: „Es ist zu laut in der Welt“
Komponist Erwin Koch-Raphael will mit Musik die Welt durchdringen. Die ist kompliziert und in einem schrecklichen Zustand, gegen den anzutönen ist.
taz: Herr Koch-Raphael, viele Leute halten Neue Musik für schwer zugänglich und elitär. Wie arbeiten Sie dagegen an?
Erwin Koch-Raphael: Ach, das ist so ein alter Spruch. Aber inzwischen stimmt das schon lange nicht mehr. Diese Hörgewohnheiten, die immer noch auf Melodie und eine einfache Begleitung fixiert sind, sind ja gar nicht mehr so präsent. Da haben wir durch Punk und andere Strömungen der populären Musik doch ganz andere Sachen erlebt. Gegen das ist vieles in der Neuen Musik sanft und gut hörbar. Und sicher auch meine Musik. Ich gehe einfach davon aus, dass ich mit der Musik das, was ich sagen will, am besten sagen kann. Und etwas anderes kann ich auch gar nicht.
taz: Sie könnten keine Melodie schreiben?
Koch-Raphael: Doch, ich kann Ihnen gerne drei Schlager innerhalb von zwei Stunden komponieren. Aber ich kann damit nicht ausdrücken, worum es mir geht. Das hat mir zu wenig Schichten.
1949 in Kerpen geboren, ab 1968 Elektrotechnik- und Tonmeister-Studium, dann Komposition bei Isang Yun, dem er ab 1975 assistierte. Seit 1982 in Bremen, wo er eine Performancegruppe und ein Zentrum für elektroakustische Musik mitgründete und bis 2016 als Professor für Komposition, Musiktheorie und experimentelles Musiktheater lehrte.
taz: Es wäre also doch die schlechtere Musik?
Koch-Raphael: Nein, ich bin total ein Freund dieser einfachen Musik. Als Schüler wollte ich eine Popgruppe gründen und habe in meiner Jugend als Organist gearbeitet, also improvisierte Liedbegleitung im Gottesdienst. In meiner ersten Studienzeit noch habe ich nur tonal komponiert, richtig romantische Lieder auf romantische Gedichte, Liebeslieder und so ein Zeug.
taz: Aber das ist passé?
Koch-Raphael: Noch nicht mal das. Ich habe gerade erst so alte Klavierstücke von mir wiedergefunden, die wirklich so zum Teil auch sehr populär klingen, und überlege, sie jetzt mal für Orchester zu setzen und dazwischen Stücke zu montieren, die meinem heutigen Stil entsprechen. Ich könnte das jederzeit, aber ich denke selbst eher kompliziert. Schließlich ist auch die Welt komplex. Und ich versuche ja, sie durchs Komponieren zu durchdringen und über die Musik auf einen Punkt zu bringen, den man unmittelbar erfahren kann, ohne dass man genau weiß, was man jetzt eigentlich mitbekommen hat. Das ist ja das Schöne an der Kunst, dass immer wieder etwas unterschwellig passiert, immer etwas wird.
„zu.Flucht“ – Porträtkonzert anlässlich des 75. Geburtstags von Erwin Koch-Raphael, 7. 11., 19.30 Uhr, Kulturkirche St. Stephani, Bremen
Programm Gespielt werden „No, Time! Thee I do defy“, „composition no. 94 (zu.flucht)“, „Schwontkowski“ sowie „composition no. 97 (schwarz)“ sowie zwei Stücke von Isang Yun
taz: Ihre Musik ist schwer zu beschreiben: Also, wenn ich tief in die Partituren einsteigen würde …
Koch-Raphael: Bloß nicht! Das will ich ja gar nicht. Ich bin ein Musiker. Ich will über die Ohren wahrgenommen werden und nicht über Kopf und Augen.
taz: Markant scheint mir, dass diese Musik um sich herum Ruhe schafft: Welche Rolle spielt Stille für Sie?
Koch-Raphael: Ja, Stille – das ist eine gute Frage. Es ist ein Innehalten, ein Sichbesinnen, aber eben auch ein Warten auf Antworten – wo auch immer die herkommen mögen. Ich will ja auch niemanden vollquatschen. Mir ist wichtig, einem Gedanken durch die Stille anschließend einen Raum zu geben. So kann jeder ihn auch für sich erst mal zu Ende führen oder bewusst wahrnehmen. Es ist zu laut in der Welt. Man hört ständig 1.000 Sachen übereinander gleichzeitig an jedem Ort. Man kommt gar nicht dazu, sie zu verarbeiten. Mit Stille gebe ich die Möglichkeit, dem Klang selber nachzugehen.
taz: Viele Ihrer Stücktitel, auch die auf dem Programm des Porträtkonzerts zu Ihrem 75. Geburtstag, beziehen sich auf andere Künste, auf Malerei und Literatur. Sind das Bearbeitungen?
Koch-Raphael: Nein, keine Bearbeitungen, das nicht. Das Verhältnis ist jedes Mal anders. Mal beziehe ich mich inhaltlich auf eine Vorlage aus Malerei oder Literatur, mal übernehme ich etwas Strukturelles oder ich fühle bloß eine Verwandtschaft der Ideen. Manchmal möchte ich einen Raum aufspannen, indem mehrere Künste etwas zu sagen versuchen, was sie nur im Zusammenspiel sagen können.
taz: Zum Beispiel?
Koch-Raphael: Das Konzert am Donnerstag heißt ja „Zu.Flucht“, so wie mein Stück für Flöte und Orgel, das in diesem Rahmen uraufgeführt wird. Als ich angefangen habe, das zu komponieren, habe ich bemerkt, dass es sich auf Wolfgang Borcherts „Draußen vor der Tür“ bezieht. Dadurch wurde mir klar, dass es sehr viel mit Migration zu tun hat, also damit, dass man die Menschen abweist, sie einpfercht, sie nicht zu sich kommen lässt und ihnen jahrelang alles verweigert, was jeder Mensch haben darf. Ich finde in dieser gesellschaftlichen Wirklichkeit gerade so viel Negatives, dass ich manchmal denke, da müssten jetzt alle Künste mal gemeinsam versuchen ranzugehen, weil: Wie erreichen wir die Menschen denn sonst? Ja doch sicher nicht durch immer mehr Radio- und Zeitungskommentare. Wir müssen tiefer gehen. Wir müssen die Menschen bewegen. Dafür suche ich die anderen Künste – als eine Art Verbündete. Das ist vielleicht die knappste Antwort, die ich hätte geben können.
taz: Die Elektronik, die früher wichtig für Sie war, ist als mögliche Verbündete aber aus Ihrer Musik ausgeschieden?
Koch-Raphael: Die elektronische Klangwelt ist faszinierend. Sie ist auch sehr neu. Ich höre das sehr gerne. Aber in der Elektronik muss man immer dranbleiben, nachrüsten, nachkaufen. Das führt zu einer großen Abhängigkeit von Industrie und einer Wirtschaft, wie ich sie nicht mag, die immer schneller, immer weiter geht, die immer auf Wachstum setzt in einem Wahnsinnstempo, bei dem kein Mensch mehr mitkommt. Und wenn man da nicht mitmacht, ist man irgendwie unten. Also wenn ich schon unten sein soll, dann lieber aus freien Stücken, und nicht, weil mich der Kapitalismus dort hin getrieben hat. Ich habe ja früher ein bisschen elektronische Sachen gemacht …
taz: Das ist jetzt Understatement: Sie haben Elektrotechnik studiert, waren auch am Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe und haben 1990 in Bremen das Zentrum für elektroakustische Musik mitgegründet. Das war mehr als nur ein bisschen.
Koch-Raphael: Trotzdem ist Elektronik aus diesen gesellschaftlichen Gründen kein Thema mehr für mich. Ich habe auch kein Auto und kein Smartphone. Und eben nicht, weil ich technikfeindlich wäre. Das bin ich nicht. Ich bin Ingenieur. Aber ich akzeptiere das System nicht, dass uns zwingt, Sachen zu kaufen und zu nutzen, die wir nicht wirklich brauchen.
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