: „Ich hatte auf einmal eine Stimme“
Laura Wrobel ist als The Real Lauri ein Star auf Tiktok. Für sie war die Plattform eine Möglichkeit, aus dem Wahrnehmungsschatten herauszukommen. Doch sich dort zu behaupten bedeutet auch Druck
Interview Benno Schirrmeister Fotos Miguel Ferraz
taz: Spreche ich gerade mit Laura Wrobel oder mit The Real Lauri?
Laura Wrobel: Ich bin Laura Wrobel. Und ich bin The Real Lauri. Der Unterschied ist ziemlich klein. So wie ich mich im Internet zeige, so bin ich auch. Das Profil war für mich immer die Möglichkeit, ich selbst zu sein und keine Maske mehr zu tragen.
taz: Wie meinen Sie das?
Wrobel: Ich hatte mich vorher immer für Leute verändert, besonders während ich gemobbt wurde. Ich hatte immer versucht, es denen recht zu machen, die etwas an mir auszusetzen hatten. Irgendwann habe ich dann für mich entschieden, dass es so nicht weitergeht, dass ich nicht ständig so eine Rolle kann. Dann weiß man am Ende gar nicht, wer man selbst ist. Dann verliert man das Ich-Gefühl. Nein, wenn mich Leute nicht mögen, mögen sie mich halt nicht. Und wer mich mag, mag mich als die Person, die ich bin. So habe ich vor vier Jahren bei Tiktok angefangen.
taz: Auch, weil das so niedrigschwellig ist?
Wrobel: Ich habe angefangen mit gar nichts. Ich wusste nicht, was ein Ringlicht ist, und dachte, dass es Stative nur für echte Kameras gibt. Als Kostüm habe ich mir einfach mein Handtuch über den Kopf geworfen.
taz: Comedy im Fernsehen ist professioneller.
Wrobel: Ja, aber es hat eben eine andere Zielgruppe angesprochen. Also die, die halt mehr weg vom Fernsehen gegangen sind und mehr so auf Social Media raus. In der Zeit von Corona wussten viele nichts mit sich anzufangen und haben geschaut, was ist neu, Tiktok, ja, das könnte interessant sein. Und wenn man da einmal drin ist und durchscrollt, hört man nicht so schnell auf damit. Dieses Authentische, also dass ich in meinen Videos versuche, rüberzukommen, wie ich im realen Leben bin, hat dann eine Menge Leute angesprochen.
taz: Mittlerweile sind es 1,7 Millionen Follower. Aber war das wirklich so neu?
Wrobel: Ja. Was man damals sonst mitbekam, waren Videos, wo Influencerinnen sich filmen: „Hey Leute, ich bin gerade auf Bali am Pool mit meinen 100 Freunden und wir trinken Champagner.“ Meine Videos waren dagegen: „Hey Leute, ich hocke gerade in meinem Zimmer, allein, habe meinen ollen Hoodie an, und ups!, da habe ich gerade gekleckert.“
taz: Dazu gehört auch Mut zur Hässlichkeit?
Wrobel: Ja, genau. Das ist halt das Ding, dass man sagt: Boah, ich habe da gerade so Pickel. Oder halt, dass man sich auch mal so zeigt, wie man gerade aufgewacht ist – ohne Make-up, ungekämmt, mit fettigen Haaren.
taz: Das klingt wieder wie eine Entgegnung auf diese Mobbing-Dynamik, von der Sie eben gesprochen hatten. Wann haben Sie erkannt, dass Sie der nicht entkommen, indem Sie Ihr Verhalten ändern?
Wrobel: Nachdem ich mir die Haare abgeschnitten hatte.
taz: Das war so entscheidend?
Wrobel: Ich habe jetzt einen Moment überlegt, vielleicht könnte ich auch sagen, nachdem ich abgenommen hatte oder so, weil ich da so viel Energie reingesteckt hatte. Das war vorher gewesen. Aber ich glaube, der Knackpunkt war genau das: Ich hatte immer lange Haare gehabt, und auf einmal hieß es, die seien zu lang. Ich war da so 13 etwa. Ich mochte meine Haare. Ich fand die nicht zu lang, ich fand die schön. Und sie waren gesund! Aber dann habe ich sie mir abgeschnitten. Ich dachte, vielleicht könnte ich dann dazugehören. Und die Reaktion war: Ich würde ja jetzt aussehen wie ein Junge. Oder dass mir vorgehalten wurde: Guck mal, was für lange schöne Haare ich habe, und wie hässlich kurz du deine hast. Diese F****en! Danach war es dann vorbei für mich. Ich dachte: Ganz ehrlich, ich habe mir sogar meine Haare abgeschnitten, um euch zu gefallen. Das ist nichts, was ich von heute auf morgen wieder dazupacken kann. Und das kommt dabei raus? Das ist mir zu dumm.
taz: Das Mobbing hatte da schon eine Weile gedauert?
Wrobel: Na ja, dieses Piesacken und so, das kannte ich vorher eher von Lehrerseite, oft in Bezug auf meine Krankheit. Als meine Mama einer Grundschullehrerin erklärt hatte, dass ich unter Depressionen leide, hatte die sie ausgelacht. Die meinte: Nee, die Laura doch nicht, die lacht doch so viel. Als ob eine depressive Person nicht lachen könnte!
taz: Ein Vorurteil.
Wrobel: Ja, aber wie das Mobbing im Gymnasium anfing, das habe ich selbst überhaupt nicht verstanden. Ich glaube, Menschen sind einfach so. Wir wählen uns ein Opfer, um uns selbst besser zu fühlen. Und das Opfer war halt ich. Aber die Intensität, das war neu. Und das war heftig, auch weil die Schule da völlig versagt hat. Meine Eltern waren in der Zeit manchmal fast täglich da und haben gesagt: Unsere Laura wird gemobbt. Wir müssen was dagegen tun. Und die Schule hat sich nicht darum gekümmert. Oder wenn, dann falsch.
taz: Was heißt falsch?
Wrobel: Die haben mich in einen Raum gesteckt mit meinen Mobbern und einem Lehrer. Da war ich dann allein. Und die waren fünf. Und dann hat der Lehrer festgetellt: Tja, du bist im Unrecht, Laura, – weil: Die sind fünf, und du bist allein. Mann! Das waren doch genau die, die mich gemobbt hatten! Kann da wirklich jemand glauben, dass die sich plötzlich hinstellen und sagen, ja, nee, Laura hat recht, wir waren fies? Noch schlechter hätte eine Schule mit Mobbing wirklich nicht umgehen können.
taz: Hatte eine Rolle gespielt, dass du eine polnische Familie hast?
Wrobel: Nein. Das war ja ein Großstadtgymnasium. Also das war hier in Hamburg nicht die Ausnahme, weder auf dem Gymnasium Lohbrügge, wo ich später Abitur gemacht habe, noch auf dem Mobbing-Gymnaisum. Die, die mich auf dem Mobbing Gymnasium gemobbt haben, das waren zwar Türken, aber es ist ehrlich gesagt scheißegal, woher jemand kommt, wenn er mobbt. Und das war eben noch etwas, was die Schule nicht kapiert hat. Mir wurde da nämlich gesagt: „Laura, das ist eine andere Kultur, bei denen geht es anders zur Sache, da bist du zu empfindlich.“ Aber das ist Quatsch. Von mir aus können die Personen grün sein und aus dem All kommen, wenn sie mich mobben, mobben sie mich. Das liegt nicht an ihrer Kultur.
taz: Manche Ihrer Sketche greifen Erfahrungen aus dem Mobbing-Gymnaisum auf: Hatte das Tiktoken auch einen therapeutischen Effekt?
Wrobel: Habe ich noch nie wirklich drüber nachgedacht. Aber wahrscheinlich: Ja. Ich habe da ein Ventil gefunden, meine Wut und meine Verletzungen auszudrücken, indem ich sie in witzige Videos umwandle. Ich hatte auf einmal eine Stimme. Endlich konnte auch ich was sagen. Und ich hatte das Gefühl, mir hören Leute zu und denken eben nicht, so wie damals auf dem Mobbing-Gymnasium, ich erzähle doch nur Schwachsinn. Es war schön, endlich mal gesehen zu werden.
taz: Ihre Familie war es eher erschrocken, als Sie mit Tiktok anfingen?
Wrobel: Oh ja. Das war heftig. Meine Mama dachte, ich drehe Pornos.
taz: Tiktok kannten 2020 noch nicht so viele …
Wrobel: Vor allem meine Mama nicht. Also sie ist halt über 60 und sie hatte ein Handy zum Telefonieren und so ein bisschen Facebook, um mit Freundinnen und Schwestern in Polen in Kontakt zu bleiben. Und dann kam ich aus Berlin zurück nach Hamburg, hatte das Jura-Studium geschmissen und sitze auf einmal allein in meinem Zimmer, und sie hört nur, wie ich da vor mich hin rede und komische Laute von mir gebe. Und als sie reinkommt, stehe ich da mit dem Handy. Sie also: „Ja, was machst du da den ganzen Tag?“ Ich: „Ich drehe Videos.“ „Wie Videos?!“ „Na, ich stell die dann ins Internet.“ Oh Gott! Videos im Internet! Das Erste, was sie denkt, ist Porno. Das muss ein totaler Schock für sie gewesen sein. Sie ist ja katholisch, aus Polen und schon eher konservativ, na und dann ist die Tochter plötzlich Pornodarstellerin. Sie also zu meinem Vater, für den war das auch nicht gerade die tolle Nachricht. Die beiden wollten schon einen Priester einladen, um eine Intervention zu starten.
taz: Wie hat sich das aufgeklärt?
Wrobel: Meine große Schwester wusste, was Tiktok war. Als meine Mama zu ihr kam, total verweint, hat sie sich mit ihr die Videos angeschaut. Meiner Mama ist so eine Last von den Schultern gefallen. Seitdem ist sie mein Nummer-eins-Fan. Also wenn ich irgendwas poste, der erste Like ist immer meine Mama.
taz: Sie taucht auch in Ihren Videos immer mal wieder auf. Findet sie das auch so lustig?
Laura Wrobel, 24, in Berlin geboren, in Hamburg-Bergedorf aufgewachsen, ist Influencerin: Als The.Real.Lauri spielt sie, oft begleitet von ihrem Huhn André, Sketche, die Unterrichtsszenen in beknackten Schulen mit plump sexistischen Lehrern, frustrierende Arztbesuche und familiäre Situationen aufgreifen.
Unter dem Titel „TheRealLauri“ hat sie im Sommer eine Autobiografie im Brainbook-Verlag veröffentlicht. Diese schildert sehr eindringlich Mobbingerfahrungen und das Leben mit multiplen psychischen Erkrankungen, einschließlich Suizidversuchen und stationären Aufenthalten in der Psychiatrie, die sie „meine Stammklapse“ nennt. 198 Seiten, 16,99 Euro
Wrobel: Meistens. Manchmal ist sie auch etwas sauer. Es ist ja auch nie irgendwas völlig erfunden. Ich habe zum Beispiel irgendwann diese Hühner-Puppe aufgetrieben, das Huhn André, und mit der ziehe ich immer durch die Gegend. Und meine Mutter hasst dieses Huhn, seit ich es habe. Das ist so ein Konflikt, der kommt auch in den Videos vor, der ist genauso, wie er halt auch zu Hause ist. Manchmal beschwert sie sich auch und meint, ich sollte mich doch bitte mal über Papa lustig machen. Da hat sie ja auch recht. Aber meine Mama ist halt einfach lustig. Von ihr habe ich den Humor. Und wenn ich ein Video über sie gemacht habe, ist sie schon immer neugierig, wie viele Aufrufe das jetzt hat und ob sie gut rüberkommt.
taz: Mögen Sie Tiktok noch immer?
Wrobel: Ich mag die Idee hinter Tiktok, bin aber mittlerweile aktiver auf Instagram und Youtube Shorts. Bei Tiktok habe ich so ein bisschen das Gefühl, unterzugehen. Wenn man da auf der Page ist, wirst du gesehen, aber den „Folge ich“-Feed nutzen nur wenige, das ist bei Insta anders. Aber ich mag es, Videos zu drehen. Ich mag es, eine Community zu haben. Ich liebe das.
taz: Das fordert Ihnen auch was ab, oder?
Wrobel: Ja. Am Anfang habe ich teilweise fünf Videos täglich gepostet. Das würde ich heute gar nicht mehr schaffen. Ich habe natürlich höhere Ansprüche an die Qualität als früher, und auch die Follower erwarten da mehr. Es ist wirklich Arbeit. Du brauchst viel Ausdauer. Du musst auch Dinge erst mal investieren. Selbst die dümmsten Influencer, die … Ich meine, es gibt ja wirklich einige, bei denen denkst du: Um Gottes willen, wie habt ihr das geschafft, ein paar Hunderttausend Follower zu bekommen?! Aber selbst die haben sich irgendwann den Arsch aufgerissen, um dorthin zu kommen. Außerdem ist es auch ein ständiger Konkurrenzkampf. Man schaut ständig:Was macht dieser Influencer? Was jene? Wer bekommt mehr Views? Wenn du in einem Raum voller Influencern bist, und die haben 3 Millionen und du bist die mit 1,7 Millionen, dann bist du ein Niemand. Es ist eine echte Sucht nach Views und Followerzahlen. Ich wünschte, ich könnte sagen, ich bin dagegen immun. Bin ich aber nicht.
taz: Wie wirkt sich das auf Ihre Arbeit aus?
Wrobel: Also teilweise sitze ich abends wach und überlege mir: Was kann ich jetzt als Nächstes posten? Und wenn man dann mal ein kreatives Loch hat, was dann? Man muss etwas posten können, sonst wirst du irrelevant. Es gibt keinen Urlaub. Postest du eine Woche nicht, gerätst du in Vergessenheit. Dann nimmt jemand anders deinen Platz ein. Und alle Brands stürzen sich dann auf die Neuen, und du rutschst runter und musst dich erst wieder hochkämpfen.
taz: Sie machen aber weiter?
Wrobel: Was tröstlich sein kann, ist, wenn du siehst, okay, ich habe jetzt nicht die Views, aber dafür kommentieren Leute, hey, ich liebe deine Videos oder so. Schlimm ist manchmal dieser Hate, den es ja auch gibt, wenn die Leute schreiben, du bist scheiße. Wegen eines Videos – das war wirklich ein harmloses Video! – habe ich Morddrohungen bekommen und endlos Beleidigungen. Bei so was denke ich dann auch, vielleicht sollte ich aufhören mit Social Media.
taz: Trotzdem thematisieren Sie Ihre bipolare Störung offensiv. Ich meine, Sie machen Werbung, davon leben Sie.
Wrobel: Darüber habe ich vorher lange nachgedacht. Also einmal, wie wird die Community darauf reagieren, und dann: Was werden die Kunden sagen? Die hätten ja auch sagen können: So jemanden wollen wir nicht, das schadet unserer Marke, oder vielleicht ist sie jetzt unzuverlässig.
taz: Das haben sie nicht?
Wrobel: Nein, aber das konnte ich ja nicht vorher wissen. Also, davor hatte ich wirklich Angst. Trotzdem war es für mich wichtiger, ein Zeichen zu setzen. Ich kämpfe seit meiner Kindheit mit psychischen Krankheiten. Was ich erfahren habe, diese Stigmatisierung, das Verharmlosen von diesen Sachen, das musste ich einfach ansprechen.
taz: Warum?
Wrobel: Ich hatte immer die Unterstützung meiner Familie. Aber ich hatte als Kind niemanden, zu dem ich hätte aufsehen können und sagen: Okay, diese Person hat es geschafft. Sie war krank, wurde gemobbt und hat psychische Probleme. Und guck mal, sie ist jetzt Influencerin. Sie hat ein Buch geschrieben. So jemand, das hätte mir geholfen. Und ich möchte jemand sein, der Mut geben kann. Mir ist es wichtig, solchen kleinen Lauris zu helfen und darauf aufmerksam zu machen, dass es nichts Verwerfliches ist, eine bipolare Störung zu haben.
taz: Und wie waren die Reaktionen der Follower?
Wrobel:Die meisten waren supertoll. Ich habe viel Zuspruch bekommen, auch viel von Leuten, die selbst krank sind und denen wichtig war, dass jemand das Thema anspricht. Ein paar kommen auch um die Ecke, die sagen, na, so eine Modekrankheit, das hatten wir früher nicht. Am schrecklichsten sind aber die Leute, die mit Jesus kommen. Also ich bin ja streng katholisch. Ich gehe jeden Sonntag in die Kirche, ich gehe zur Beichte und alles. Aber wirklich, ich habe massenhaft Nachrichten bekommen nach dem Motto „Gib dein Leben in die Hand von Jesus, komm zum Bibelworkshop, zahle 1.000 Euro pro Woche – und du wirst geheilt von deiner bipolaren Störung.“ Die finde ich richtig schlimm. Als Christ sollst du Menschen zu dir ziehen. Du sollst mit deiner Offenheit strahlen. Aber diese Leute machen genau das Gegenteil. Die zwingen dir das auf.
taz: Das ist unangenehm.
Wrobel: Ja, das ist das, was mich tatsächlich am meisten gestört hat, weil es auch einfach ein persönliches Thema ist. Als könnte Jesus wirklich … Also Jesus kann. Aber Jesus ist ja nicht der Weihnachtsmann, der dir alle Wünsche erfüllt.
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