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8.000 Zuckerbauern droht bittere Reform

Industriefreundliche EU-Regelung bedroht NRW-Landwirte: Preise für Rohstoffe sollen um rund 40 Prozent gesenkt werden

WESTFALEN-LIPPE taz ■ Die Zuckerrübenbauern in Nordrhein-Westfalen stehen vor massiven Einkommensverlusten. Nach Medienberichten plant die EU-Kommission, die staatlich garantierten Preise für Weißzucker sowie für Zuckerrüben um rund 40 Prozent zu senken.

Anlass für die jetzt bekannt gewordenen Pläne der liberalen dänischen Agrarkommissarin Mariann Fischer-Boels ist der Konflikt mit der Welthandelsorganisation WTO. Die Handelsorganisation wirft der EU vor, den Weltmarkt mit subventioniertem Zucker zu überschwemmen und damit den Freihandel zu behindern. Bisher existiert in der EU eine Produktionsquote für 17,4 Millionen Tonnen Zucker pro Jahr, die auf die einzelnen Mitgliedsländer aufgeteilt wird: Jedes EU-Land kann eine genau festgelegte Menge Zucker produzieren und auf den Markt werfen lassen. Durch so genannte Interventionskäufe stellt die Union sicher, dass der Preis pro Tonne nicht unter 632 Euro fällt. Die Bauern wiederum erhalten von den Zuckerfabriken den garantierten Preis von rund 42 Euro pro Tonne Zuckerrüben. Resultat ist, dass der Zucker in der EU dreimal so viel kostet wie auf dem Weltmarkt, der immer mehr von von Brasilien beherrscht wird. Zudem produzieren die EU-Bauern vier Millionen Tonnen mehr Zucker, als in Europa verbraucht wird.

Geht es nach den Vorschlägen von Fischer-Boels, ist damit jetzt Schluss. Nur wenige Wochen, nachdem die WTO ihr Urteil gegen die EU gefällt hat, prescht die Kommissarin nun mit ihrem eigenen Reformvorschlag vor – sehr zur Verwunderung der Bauern und Politiker, die auf eine einvernehmliche Lösung der Streitfrage gehofft hatten: „Wenn die Reform so umgesetzt wird, dann bedeutet dies das Ende der Zuckerproduktion in NRW“, erklärt Hans-Heinrich Berghorn vom Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverband.

Die Wirtschaftliche Vereinigung Zucker schätzt die Einnahmeausfälle für die deutschen Zuckerproduzenten auf 600 Millionen Euro jährlich – ein Großteil davon würde wohl auf die „Zuckerregion“ NRW entfallen, einem der wichtigsten europäischen Anbaugebiete für Zuckerrüben. 8.000 Landwirte erwirtschaften hier den Hauptteil ihres Einkommens mit Zuckerrüben. 60 Prozent der Einkommenseinbußen der Bauern sollen durch Einkommenshilfen aus dem EU-Haushalt kompensiert werden.

Die geplanten Ausgleichszahlungen für die Zuckerfabriken werden voraussichtlich noch höher ausfallen. „Das ist ein neoliberaler Vorschlag, der freundlich für die Industrie, aber nicht für die Landwirte ist“, sagt der Unnaer Bundestagsabgeordnete und Agrarexperte Friedrich Ostendorff (Grüne). Noch vor wenigen Monaten hatte ein ganz anderer Reformvorschlag der EU-Kommission auf dem Tisch gelegen. „Wir hatten uns darauf verständigt, vor allem die Produktionsquoten zu reduzieren, statt weiter an der Preisschraube zu drehen“, sagt Ostendorff.

Doch Verwunderung herrscht nicht nur wegen der angekündigten dramatischen Preissenkung. Auch die so genannte Handelbarkeit der nationalen Zuckerquoten ist im neuen Vorschlag nicht mehr enthalten. Eigentlich war vorgesehen, dass EU-Staaten ihre nationale Zuckerquote an ein anderes EU-Land verkaufen könnten. Damit sollte die Zuckerrübenproduktion auf wenige wettbewerbsfähige Standorte in Europa konzentriert werden. Diese Idee ist jedoch – völlig unerwartet – im EU-Ministerrat gescheitert.

Auch der Verbraucher kann sich wahrscheinlich wenig Hoffnungen auf niedrigere Zuckerpreise machen. Berghorn: „Die zuckerverarbeitende Industrie wird die geringeren Preise mit Sicherheit nicht an die Konsumenten weitergeben.“ULLA JASPER

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