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US-PräsidentschaftswahlEin paar Tausend Stimmen im richtigen Bundesstaat

Bei jeder US-Präsidentschaftswahl entscheiden wenige Bundesstaaten darüber, wer ins Weiße Haus einzieht. 2024 sind es sieben Swing States.

Wer in den Umfragen in welchem Bundesstaat vorn liegt

An der US-Präsidentschaftswahl 2020 beteiligten sich über 158 Millionen US-Ame­ri­kaner*innen. Das war eine Wahlbeteiligung von rund 65 Prozent – so hoch wie noch nie. Rund 74 Millionen Menschen stimmten für Donald Trump, 81 Millionen für Joe Biden. Aber nur 300.000 der 7 Millionen Stimmen Vorsprung brachten Biden ins Weiße Haus: 20.600 in Wisconsin, 154.000 in Michigan, 80.500 in Pennsylvania, 11.800 in Georgia, 10.500 in Arizona, 33.500 in Nevada. Ohne die rund 100.000 Stimmen Vorsprung aus Pennsylvania, Georgia und Arizona etwa wäre Trump Präsident geblieben. Das ist die brutale Logik der Swing States.

Swing States werden jene US-Bundesstaaten genannt, die bei Präsidentschaftswahlen mal dem republikanischen, mal dem demokratischen Lager ihre Wahlleute zusprechen. Sie machen den Unterschied, um sie lohnt es sich zu kämpfen, nur dort investieren die Wahlkampagnen Zeit und Geld.

Welche Staaten dazugehören, kann sich ändern. Bis zur Trump-Ära etwa zählten Florida und Ohio dazu. Beides sind bevölkerungsreiche Staaten mit vielen zu vergebenden Stimmen für das 538 Wahlleute umfassende sogenannte Electoral College. Mindestens 270 Stimmen braucht, wer Präsident werden will. In Florida gewann Bill Clinton genau wie lang vor ihm Ronald Reagan und lang nach ihm Barack Obama – aber seit Trump scheint der Bundesstaat für die Demokraten unerreichbar. esgleichen in Ohio: Noch von Obama und Clinton gewonnen, aber seit Trump mit hohen Margen republikanisch.

Andersherum ging der Weg für North Carolina: Der bis 1968 demokratisch geprägte Staat stimmte seither nur zweimal nicht für den republikanischen Präsidentschaftskandidaten, in der Wahl Jimmy Carters 1976 und der ersten Wahl Barack Obamas 2008. Inzwischen aber sind die Margen so eng, die Demographie so verändert, dass der Staat mit seinen 16 Wahlleuten zu den umkämpften gehört.

Aufmerksamkeit liegt auf Pennsylvania

Sieben Staaten sind es also diesmal, die darüber entscheiden, ob Kamala Harris oder Donald Trump am 20. Januar ins Weiße Haus einziehen.

Beide Seiten haben in Pennsylvania Rekordsummen im Wahlkampf ausgegeben

Die größte Aufmerksamkeit liegt klar auf Pennsylvania – und das nicht nur, weil der Bundesstaat mit 19 Wahlleuten die größte Beute darstellt. Die Anzahl der Wahlleute pro Bundesstaat wird im übrigen je nach Bevölkerungsentwicklung alle vier Jahre neu zugeteilt – 2020 hatte Pennsylvania noch 20, in den 1920er Jahren waren es sogar 38. Aber Pennsylvania ist auch so bedeutsam, weil es einer der heutigen Swing States ist, die der früheren sogenannten Blue Wall angehören – Staaten im alten Industriegürtel, die traditionell recht zuverlässig demokratisch wählten, 2016 aber Donald Trump den Sieg über Hillary Clinton bescherten.

Schafft es Kamala Harris, alle drei Blue-Wall-Staaten zu gewinnen, also Wisconsin, Michigan und eben Pennsylvania, dann braucht sie – vorausgesetzt, sie verliert nicht plötzlich Minnesota oder New Hampshire, die einige Umfrage-Analysten derzeit plötzlich wieder als umkämpft ansehen – nur noch einen Wahlbezirk in Nebraska zu gewinnen, um auf genau 270 Wahlleute zu kommen und damit Präsidentin zu werden. Selbst wenn Trump die anderen vier Swing States, also Georgia, North Carolina, Arizona und Nevada, für sich entscheidet.

Harris braucht Philadelphia, Pittsburgh und Harrisburg

Es ist also nicht verwunderlich, dass beide Kandidatenteams in Pennsylvania Rekordsummen im Wahlkampf ausgegeben haben. Bis Ende Oktober investierten die De­mo­kra­t*in­nen allein dort rund 295 Millionen US-Dollar, Trumps Re­pu­bli­ka­ne­r*in­nen rund 243 Millionen. Das sind insgesamt 185 Millionen mehr als im zweitumkämpftesten Staat Michigan.

Trump, Harris (zuvor Biden) und ihre Vizekandidaten J.D. Vance und Tim Walz besuchten Pennsylvania seit Januar über 90 Mal zu Wahlkampfauftritten. Aber nicht einmal innerhalb des Bundesstaates verteilt sich die Aufmerksamkeit gleichermaßen. Entscheidend für einen Wahlsieg von Kamala Harris wäre es, den bestehenden Vorsprung in der bevölkerungsreichen Metropolgegend um Philadelphia weiter auszubauen – und in der Gegend zwischen Pittsburgh und Harrisburg nicht allzu deutlich zu verlieren.

Ob es dabei dann wirklich, wie viele De­mo­kra­t*in­nen gehofft haben, eine Rolle spielt, dass ein konservativer Comedian bei einer Trump-Veranstaltung im New Yorker Madison Square Garden über Puerto Rico als „schwimmende Müllinsel“ herzog, wird sich zeigen – aber immerhin: Bei fast einer halben Million potenzieller Wäh­le­r*in­nen mit puertoricanischem Background in Pennsylvania ist alles möglich.

Zehntausend Stimmen entscheiden die Wahl

In Michigan könnte für Kamala Harris entscheidend werden, ob die arabischstämmige Bevölkerung tatsächlich zum überwiegenden Teil gegen oder zumindest nicht für sie stimmt. Schon bei den demokratischen Vorwahlen im Januar bekam der damalige Kandidat Joe Biden einen Denkzettel: 20 Prozent der demokratischen Wäh­le­r*in­nen stimmten aus Protest gegen die US-Unterstützung für Israel im Gazakrieg mit „unentschlossen“. Harris hat seitdem nichts unternommen, um die Menschen zurückzugewinnen.

Sieben Swing States, ein paar Hunderttausend, vielleicht nur einige Zehntausend Stimmen, die über den Ausgang der Wahl entscheiden. Die Millionen anderer US-Amerikaner*innen schauen zu, genau wie der Rest der Welt.

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2 Kommentare

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  • Gewiss ist die Wahlentscheidung in den USA morgen wichtig. Die mediale Anspannung und Berichterstattung in den letzten Wochen bei uns hat mich allerdings an die Aufregung von Kindern vor Weihnachten erinnert, wenn sie ihre Wunschlisten schreiben und Wünsche äußern sollten, was das Christkind bringen möge. Auch an die Schnüffeleien in Schränken, ob da nicht irgendwo ein Katzenklo, eine Hundeleine oder ein Müllauto versteckt wurde, weil man diese Ungewissheit in der Wartezeit nicht ertragen konnte.



    Ob die Spekulationen, Befürchtungen und Hoffnungen bei uns über den Wahlausgang irgendetwas an den Wahlentscheidungen der US-Bürger:innen geändert haben, wage ich zu bezweifeln.

  • Verwundert schauen die Deutschen alle paar Jahre auf die USA, wo ein paar zehntausend Stimmen und eine Handvoll Wahlmänner darüber entscheiden, wer die Präsidentschaftswahlen gewinnt. Sie fragen sich, ob dieses Mehrheitswahlrecht wirklich demokratisch sei und beglückwünschen sich ob ihres Verhältniswahlrecht. In Deutschland entscheidet eine Handvoll Abgeordneter darüber, wer die nächste Regierung stellt.

    In beiden Fällen gewinnt eine kleine Gruppe Gewählter das Recht auf eine befristete Herrschaft. Mit der Demokratie im ursprünglichen Sinn hat beides nichts zu tun. Demokratien gehen nicht wählen, sie lassen das Los entscheiden, so dass im Ende jedeR die gleiche Chance hat, einmal mitzuregieren.