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Herzog August Bibliothek geht onlineVom Kochrezept bis zur Predigtmitschrift

Mit seinem Online-Repositorium bietet Wolfenbüttels Herzog August Bibliothek freien Zugang zu Publikationen. Die Wissenschafts-Community freut sich.

An analogem Stoff mangelt es nicht: Blick in die Augusteerhalle der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel Foto: dpa | Swen Pförtner

Osnabrück taz | Repositorium. Jemand, den dieser altertümliche Amtsstuben-Begriff abschreckt, wird sich schwerlich unter repo.hab.de/home zu Büchern wie Klára Erdeis „Auf dem Wege zu sich selbst: Die Meditation im 16. Jahrhundert. Eine funktionsanalytische Gattungsbeschreibung“ von 1990 durchklicken, geschweige denn 66,78 MB als PDF downloaden.

Schade eigentlich. Denn bevor Erdeis uns mit Namen wie „Girolamo Savonarola“ und „Ignatius von Loyola“ konfrontiert, fängt sie mit einem schönen Wort von Hermann Hesse an: „Ich war ein Suchender und bin es noch, aber ich suche nicht mehr auf den Sternen und in den Büchern, ich beginne die Lehren zu hören, die mein Blut mir rauscht.“

Für alle, die wissen, dass in der 450 Jahre alten Wolfenbütteler Herzog August Bibliothek (HAB), Niedersachsens Ministerium für Wissenschaft und Kultur unterstellt, Besonder­heiten aus Mittelalter und Früher Neuzeit lagern, ist ein Blick in die neue Online-Datenbank Pflicht, so museal ihr Name auch klingt.

Der Zugang ist frei für alle, ist kostenlos, und auch wer sich nicht für Abseitigkeiten wie das Musikalienrepertoire von St. Stephani zu Helmstedt interessiert oder den Braunschweiger Stadtschreiber Gerwin von Hameln, spürt schnell: Das Projekt ist ehrgeizig.

Es geht nicht um die Sicherung von Altem, sondern um Zugangserleichterung und bessere Nutzbarkeit

Noch ist das Angebot des Repositoriums überschaubar: Erst ein paar Dutzend Publikationen stehen zur Verfügung. Ähnlich sieht es mit den Nutzerzahlen aus: „Auf dem Wege zu sich selbst“, ein mittelstark frequentiertes Suchergebnis, ist bisher nur neunmal heruntergeladen worden, bei 26 Seitenaufrufen. Aber das wird wachsen, schließlich existiert das Repositorium erst seit ein paar Monaten.

„Das wirkt schon alles ein bisschen nerdig“, bestätigt Gudrun Schmidt der taz, Leiterin der Abteilung Veröffentlichungen der HAB. „Das ist alles schon ziemlich speziell.“ Das Repositorium richte sich „in erster Linie an die wissenschaftliche Community“. Zwei Jahre Arbeit haben Schmidts MitarbeiterInnen in die Vorbereitung gesteckt.

Auch Forschungsdaten sind abrufbar, etwa zur Durchforstung der HAB-Sammlungen nach NS-Raubgut. „Das Ziel ist, dass sich diese Daten mit den Publikationen verzahnen“, sagt Schmidt. „Das erleichtert die Forschung, zeigt ihre Lebendigkeit.“

Fortlaufend kommt neues Material hinzu. Älteres aus dem hauseigenen Verlag der Wolfenbütteler Bibliothek wird retrodigitalisiert, chronologisch aufsteigend nach Erscheinungsjahr, das fordert dem siebenköpfigen Team viel Geduld fürs Einscannen ab, viel Recherche für die Einholung der Text- und Bildrechte. Neuerscheinungen stehen parallel zur kostenpflichtigen Druck-Ausgabe online als Open-Access-Version zur Verfügung. Allein bis zu 600 Retropublikationen sollen es im Laufe der nächsten Jahre werden, sagt Schmidt.

Im Online-Repositorium der HAB geht es nicht um die Sicherung von Altem auf moderne Speichermedien, es geht um Zugangserleichterung, um bessere Nutzbarkeit, um unmittelbaren Einblick in laufende Forschung. „Das zeigt zugleich, wie lebendig Wissenschaft ist“, sagt Schmidt.

Die Vielfalt der Inhalte reicht vom Kochrezept bis zur Predigtmitschrift. Auf den ersten Blick mag das skurril erscheinen. Aber all das sind Mosaiksteine unserer Geschichte. Und Geschichtsvergessenheit ist der Anfang von Identitätsverlust.

Ein Titel, auf den Schmidt sich besonders freut, ist das „Lexikon zur Geschichte und Gegenwart der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel“ von 1992. Er stößt Anfang 2025 zum Bestand des Repositoriums dazu. „Das habe ich mir schon jetzt in meinen Taschenkalender eingetragen“, sagt sie.

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