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Sondierungsgespräche in ThüringenStachlige, aber nicht unerreichbare Brombeerkoalitionen

In Thüringen stehen CDU, BSW und SPD vor Koalitionsverhandlungen. In Sachsen dauert es mit dem Ausloten der Optionen etwas länger.

Auf Schnittmengensuche: Tilo Kummer (l-r, BSW), Andreas Bühl (CDU), und Katharina Schenk (SPD) Foto: Martin Schutt/dpa

Erfurt taz Gemessen an der schwierigen Konstellation nach der Thüringen-Wahl vom 1. September erschienen die drei potenziellen Koalitionspartner CDU, BSW und SPD an diesem Freitag relativ locker. Die Parteien hatten nach Erfurt geladen, um die Ergebnisse ihrer Sondierungen vorzustellen. Gegenseitige Profilierungsversuche der parlamentarischen Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer blieben dabei aus. Nicht nur in der Präambel des 19-seitigen Sondierungspapiers dominiert das „Thüringen first“. Unterschiedliche Sichtweisen sieht offenbar man nicht als Hindernis an, sondern als „Treiber für neue politische Kreativität“.

Das funktioniert erst einmal besonders gut durch Aussparen – vor allem bei den außenpolitischen Bedingungen, die BSW-Parteigründerin Sahra Wagenknecht genannt hatte: Klare Positionierung für den Stopp der Waffenlieferungen an die Ukraine, keine Stationierung neuer amerikanischer Raketen und Friedensverhandlungen mit Russland.

Dazu heißt es in dem Sondierungspapier lediglich auf der vorletzten Seite: Man wolle diesem Thema „in den kommenden Verhandlungen Raum verschaffen“ und es in der Präambel eines möglichen Koalitionsvertrages verankern. Auch die sächsische BSW-Landtagsfraktion hatte sich bei ihrer Konstitutierung in der Friedensfrage auffallend zurückgehalten.

Nach Informationen des Stern passt das Wagenknecht gar nicht. Sie setze demnach lieber auf die Tolerierung einer Minderheitsregierung durch das BSW als auf eine Koalition. Wenn am Freitagabend der BSW-Landesvorstand ebenso wie die anderen beiden Parteien über die Aufnahme formaler Koalitionsverhandlungen entscheidet, wird nach Aussage des Parlamentarischen Geschäftsführers Tilo Kummer allerdings „niemand aus Berlin dabei sein“.

Schuldenbremse mit Ausnahmen

Einigkeit herrscht über einen „Richtungswechsel in der Migrationspolitik“: Eine zentrale Ausländerbehörde soll eingerichtet werden, die sowohl Anerkennungen als auch Abschiebungen schneller bewältigt. Abschiebehaftplätze sollen in Thüringen erstmals eingerichtet werden. Die Erstaufnahmeeinrichtungen in Suhl und Eisenberg sollen geschlossen werden.

Unumstritten scheint bislang auch die prinzipielle Beibehaltung der Schuldenbremse zu sein, auch wenn Ausnahmen möglich sein sollen. Der noch von Finanzministerin Heike Taubert (SPD) eingebrachte Haushaltsentwurf müsse alle Rücklagen angreifen. Für Andreas Bühl von der Union ist die überarbeitete Haushaltsaufstellung ein Grund, warum Koalitionsgespräche besonders drängen.

An erster Stelle im Sondierungspapier steht die Bildungspolitik, ein Kernthema der CDU. Schulen sollen beispielsweise mit einem Budget mehr Eigenverantwortung erhalten. Das BSW setzt auf soziale Themen wie Wohnungsbau, gerechte Löhne im Niedriglohnland Thüringen, auf Bürgerbeteiligung und sogar auf ökologische Akzente bei der Energieproduktion. Ähnlich die SPD, der der Einstieg in ein kostenfreies Kindergarten-Mittagessen und eine freie Hortbetreuung wichtig sind. Landeskomponenten wie ein Landespflegegeld und sogar Rentenzuschüsse und steuerliche Entlastung von Senioren stehen ebenfalls auf ihrer Agenda.

Im Thüringer Landtag sitzen in dieser Legislatur nur noch CDU, SPD, BSW, Linke und AfD. Eine eigene Mehrheit erreichen die potentiellen Brombeer-Partner nicht. Andreas Brühl von der CDU verweist auf die 44 Parlamentssitze, auf die die angebahnte Koalition käme – also genau die Hälfte der 88 gewählten Abgeordneten. Das sei eine „De-facto-Mehrheit“, so Bühl – weil auch nichts gegen die Koalition beschlossen werden könne.

Wie wird's mit der Linken?

Mit der AfD will formal niemand gemeinsame Sache machen, jedenfalls keine „aktive Zusammenarbeit“, wie es Bühl für die CDU formuliert. Als Mehrheitsbeschafferin könnte hingegen die Linke auftreten. Der noch amtierende Ministerpräsident Bodo Ramelow hat dafür eine Vereinbarung gefordert wie es ihn in ähnlicher Form schon in der letzten Legislatur gegeben hatte.

2020 hatte die CDU nach dem Eklat bei der Wahl des Kurzzeit-Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich (FDP) durch die AfD einem so genannten Stabilitätsmechanismus zugestimmt: Beim Haushalt und in Sachfragen einigte man sich von Fall zu Fall mit der rot-rot-grünen Minderheitskoalition.

„Es braucht für eine Ministerpräsidentenwahl keine Vereinbarung mit der Linken“, erklärten allerdings sowohl die CDU als auch der Ex-Linke und jetzt BSWler Tilo Kummer. Für dieses Amt wird vermutlich der CDU-Partei- und Fraktionschef Mario Voigt kandidieren.

Stattdessen haben sich die drei Parteien auf ein interessantes neues „prälegislatives Konsultationsverfahren“ zur jeweiligen Mehrheitsbeschaffung verständigt. Bevor ein Gesetzentwurf der Regierung formal dem Landtag zugeht, sollen sich alle Fraktionen unter Einschluss der AfD schon mit Eckpunkten dieses Vorhabens beschäftigten. Die sollen ihnen über den Landtagspräsidenten zugehen.

Sachsen nimmt sich Zeit

Stimmen am Wochenende die drei Landesvorstände zu, könnten in der kommenden Woche die Modalitäten offizieller Koalitionsverhandlungen geklärt werden. „Es verbleiben gar keine großen Differenzen“, übte sich Andreas Bühl für die CDU in Optimismus. „Niemand hat ein Interesse, acht Monate Verhandlungen zu führen“, mahnte für die SPD auch Katharina Schenk zur Eile.

Eile ist in derweil in Sachsen, wo im September ebenfalls gewählt wurde, so nicht zu verspüren. Am vergangenen Mittwochabend haben CDU, BSW und SPD zunächst ihre dreitägigen intensiven „Kennenlerngespräche“ abgeschlossen. Sondierungsgespräche sollen erst noch folgen. Darüber wird ebenfalls bis zum Wochenende in den Landesgremien entschieden.

Der Trend deutet auch hier auf Kompromisse für eine Koalition hin. Wie in Thüringen sind auch in Sachsen die Verschärfung der Asylverfahren und eine Haushaltspolitik, die auch Investitionsspielräume schafft, zentrale Punkte. Anders als offiziell in Thüringen behauptet, will sich BSW-Landesvorsitzende Sabine Zimmermann aber ausführlich mit Sahra Wagenknecht abstimmen.

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3 Kommentare

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  • In meinen Augen ist es absurd eine Brandmauer gegen die AfD zu postulieren und gleichzeitig Verhandlungen mit dem BSW zu führen. Der BSW ist doch keinen Deut besser als die AfD: in Sachen Migrationspolitik will man dort den gleichen Kurs fahren, eine Zusammenarbeit mit der AfD wird nicht ausgeschlossen und in Sachen Außenpolitik ist man genauso anstandslos und würde ohne mit der Wimper zu Zucken Russland alles opfern solange man nur vermeintlich billiges Gas hat. Beide stehen so ziemlich für das Gegenteil einer liberalen Demokratie und trauert jeweils einem Gestern nach, das es so niemals gegeben hat. In schwachen Momenten bin ich geneigt den Osten einfach einer Sowjetunion 2.0 zurückzugeben in der Annahme. Dass dann wirklich alle glücklich sind. Allerdings wäre das extrem ungerecht gegenüber all den aufrechten Demokraten die es auch im Osten gibt. Für Thüringen sollte aber gelten: lasst AfD und BSW gemeinsam eine Regierung stellen und der ganzen Repiblik zeige welche geballte populistische Inkompetenz dort gewählt wurde.

  • Ich bin gespannt, insbesondere darauf wie die CDU ihren WählerInnen erklären will warum eine Koalition mit den Neo-Kommunisten des BSW ok, eine mit der AfD aber Teufelswerk ist. da erwarte ich einiges an semantischer Akrobatik. Ob selbige helfen wird, wage ich allerdings zu bezweifeln. Die CDUler sind da einfach nicht gut genug für, SW wird das für das BSW besser können. An sich ist das alles aber Wahlwerbung für die AfD.

  • Interessant, dass es im vermeintlich komplizierten Thüringen schneller zu gehen scheint als in Sachsen, wo die Verhältnisse an sich klarer sind.



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    Ich denke, dass viele BSW-Wähler wenig Verständnis dafür hätten, wenn eine Koalition an irgendwelchen Präambel-Fragen scheitert. Kenne im Osten recht viele Leute, die bei der Europawahl und in Brandenburg das BSW gewählt haben. Das sind keine Fundamentaloppositionellen, sondern ehemalige Wähler der CDU, der SPD oder der Linken, die Deutschland außen- und wirtschaftspolitisch auf einem unerfreulichen Weg sehen. Die können alle Bundes- und Landespolitik sehr gut voneinander unterscheiden.



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    Würde mich freuen, wenn Katja Wolf sich da freischwimmt und in eine Koalition geht. Dann wäre auch das BSW insgesamt auf einem guten Weg in Richtung Dezentralisierung.