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Biden in DeutschlandAbschiedsbesuch bei Freunden

Wenige Wochen vor der US-Wahl schafft es Noch-Präsident Biden nach Deutschland. Es wird ein Besuch voller Lobhudelei im Zeichen unlösbarer Kriege.

Hoher Besuch im Kanzleramt: Olaf Scholz mit Keir Starmer, Joe Biden und Emmanuel Macron Foto: John Macdougall/reuters

Berlin taz | Alles sollte nach einem Arbeitsbesuch aussehen. US-Präsident Joe Biden und Bundeskanzler Olaf Scholz krempeln die Ärmel hoch, symbolisch gesprochen natürlich und geben sich als verlässliche Staatenlenker in schwierigen Zeiten. Daher sind bei Bidens Stippvisite außer der Verleihung der Sonderstufe des Großkreuzes des Bundesverdienstordens durch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, nicht viele Extras eingeplant. Kein großer Staatsempfang, kein Gang durchs Brandenburger Tor, kein riesiges Bankett mit illustren Gästen.

Immerhin ein kurzes Gespräch mit der Holocaust-Überlebenden Margot Friedländer im Schloss Bellevue. Das hatte sich Biden gewünscht und Steinmeier ihm erfüllt. Ansonsten Arbeit. Neben Steinmeier und Scholz traf Biden am Freitagnachmittag noch den britischen Premier Keir Starmer und den französischen Präsidenten Emmanuel Macron.

Die Zeit ist knapp, Kriege und Krisen gibt es zuhauf – und das weltweit. Über allen Entscheidungen und Entwicklungen schwebt derzeit ein heikles Datum: am 5. November wird in den USA ein neuer Präsident gewählt. Es wird ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der Demokratin Kamala Harris und dem Republikaner Donald Trump werden. Wer von den beiden ins Weiße Haus zieht, wird den außenpolitischen Kurs der Welt prägen.

Dass es viel zu tun gibt, darüber gibt es keinen Zweifel. Mit der russischen Invasion in der Ukraine ist der Krieg nach Europa zurückgekehrt, sagte Scholz in einem kurzen Statement, bevor er mit Biden unter vier Augen sprechen wollte. Den USA, namentlich Joe Biden, sei es zu verdanken, dass die Ukraine nicht innerhalb kürzester Zeit überrannt wurde. „Wir stehen an der Seite der Ukraine so lange das nötig ist“, so der Kanzler – und schiebt hinterher: Eine gute Zusammenarbeit sei keine Selbstverständlichkeit, lieber Joe.

Wie stabil ist die Ukraine-Solidarität

„Schade, dass wir die Reise letzte Woche absagen mussten“, so beginnt Biden seine Erklärung vor Jour­na­lis­t:in­nen im Kanzleramt. Hurrikan „Milton“ hatte dafür gesorgt, dass der US-Präsident für Krisenmanagement in der Heimat gefragt war. Und eben nicht außenpolitische Themen wie für die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten. Auch das geplante Gipfeltreffen im Ramstein-Format mit Dutzenden Staats- und Regierungschefs wurde abgesagt.

Man bemühte sich allseits – allen voran in den USA und Deutschland – klar zu machen, dass die Absage für das Treffen auf der US-Airbase in Rheinland-Pfalz keinen Zweifel an der Unterstützung für die Ukraine aufkommen lassen sollte. Der Ramstein-Gipfel soll voraussichtlich im November nachgeholt werden. Ob Biden dann nochmals nach Deutschland reist, um daran teilzunehmen, ist derzeit unklar.

„Deutschland gehört zu den engsten und wichtigsten Verbündeten meines Landes“, sagte der US-Präsident. Deutschland und die USA stünden zusammen für die Menschen in der Ukraine. Als der russische Präsident Wladimir Putin seine brutale Invasion in die Ukraine gestartet habe, habe Deutschland alle daran erinnert, warum dieses Bündnis so wichtig sei. Unter der Führung der USA sei Deutschland aufgestanden und habe sich dem Augenblick gestellt.

„Ich weiß, dass der Preis sehr hoch ist“, betonte der US-Präsident. Aber er sei verschwindend gering im Vergleich dazu, wenn der russischen Aggression nicht Einhalt geboten werde. Topthema des Treffens ist die weitere Unterstützung für das Land im Krieg, sicherlich auch der sogenannte „Siegesplan“ des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj – und vor allem weitere Waffenlieferungen und der Einsatz weitreichender Waffensysteme.

Selenskyj fordert seit langem die Freigabe der USA, solche Raketen auch auf russischem Territorium einsetzen zu können. Mit derselben Forderung trat er auch in London und in Paris an. Bisher erntete er nur Zurückhaltung. Auch in den USA wird es vermutlich in dieser Frage wenig Bewegung geben.

Sanfte Absage an derzeitigen Nato-Beitritt der Ukraine

Teils des „Siegesplans“ ist auch eine Einladung zum Nato-Beitritt an die Ukraine. Konkret sprach Scholz weder den Plan noch den Beitritt an. Aber: Der Kanzler machte erneut deutlich, dass es militärische Hilfe gebe, aber es völlig klar sei, dass die Nato nicht in einen Krieg hineingezogen werden soll. Eine Absage an Selenskyj also. Diese Haltung dürfte für ihn keine Überraschung sein. Hatte er sich doch am Donnerstag sowohl beim EU-Gipfel als auch beim Treffen der Nato-Verteidigungsminister Nüchternheit statt Euphorie für seinen „Siegesplan“ abgeholt.

Beim Thema Finanzierung dürfte sich Selenskyj allerdings freuen. Kanzler Scholz bekräftigte erneut, dass bis Ende des Jahres rund 50 Milliarden US-Dollar zusammenkommen sollen. Das Geld kommt aus den Zinsen eingefrorener russischer Vermögen, darauf hatten sich die G7-Staaten bereits im Sommer geeinigt. Details darüber, wie die Mittel der Ukraine zur Verfügung gestellt werden sollen, sind aber noch nicht klar.

Auch zur aktuellen Lage im Nahen Osten äußerten sich Scholz und Biden. „Wir stehen an der Seite Israels“, sagte Scholz. Mehr denn je müsse man nun eine Eskalation verhindern. Mit dem Tod des Hamas-Chefs Sinwar öffne sich die konkrete Aussicht auf einen Waffenstillstand und die Befreiung der Geiseln. Gemeinsam mit den USA arbeite man weiterhin an einer Zwei-Staaten-Lösung. Biden sprach von einem Zeichen der Gerechtigkeit. Der US-Präsident betonte, dass man sich weiterhin für die regionale Sicherheit im Nahen Osten einsetzen werde.

Biden, der Transatlantiker alter Schule

In einer gemeinsamen Erklärung formulierten US-Außenminister Antony Blinken und die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock ebenfalls ihre Hoffnung auf ein Ende des Kriegs. „Sinwar stand einem Waffenstillstand im Gazastreifen im Weg“, heißt es darin. Alle Geiseln müssten freigelassen werden. Gleichzeitig müsse mehr humanitäre Hilfe zur notleidenden Zivilbevölkerung in Gaza gelangen. Auch Blinken und Baerbock kamen in Berlin zu einem Gespräch zusammen.

Biden gilt als Transatlantiker alter Schule. Und so würdigten ihn sowohl Bundespräsident Steinmeier als auch Kanzler Scholz überschwänglich. Mehrfach fiel der Satz: „Thank you Mr. President!“, genauso wie der Appell, die Freundschaft und Verbundenheit mit Europa nicht zu vergessen. Auch dies zeigt die große Sorge vor einem neuen US-Präsidenten Trump. Dieser hatte in seiner Amtszeit die Nato als „obsolet“ bezeichnet. Beim Thema Ukraine-Krieg propagierte er wiederholt sein Ansinnen, mit einem Telefonat mit Putin könne der Konflikt sofort beendet werden.

Der Besuch Bidens in Berlin fand unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen statt. Sobald der US-Präsident sich bewegt, also vom Schloss Bellevue nach dem Treffen mit Steinmeier und dann ins Kanzleramt, geht auf den Straßen oder in den S- und U-Bahnen nichts mehr. Am Freitagabend, im Anschluss an das Treffen mit Starmer, Macron und Scholz wollte sich Biden dann wieder auf den Heimweg machen.

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