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Interimsintendanz für die VolksbühneBeerdigung erster Klasse

Das Künstler-Duo Vegard Vinge und Ida Müller, beliebt und berüchtigt als Theater-Zertrümmerer, soll die Volksbühne in Berlin für drei Jahre leiten.

Die Berliner Volksbühne Foto: Thomas Aurin

Es ist schon zwölf Jahre her, Frank Castorf war noch Intendant an der Volksbühne in Berlin, dass dort das Theatermacher-Duo Vegard Vinge (Regie und Schauspiel) und Ida Müller (Bühnenbild) für Furore sorgte. Ihr Theater hatte etwas von einer Karikatur des Theaters, samt Geniekult. Alles war mit gezeichneten Linien wie in einem Comic überzogen, auch Kostüme und Gesichter der Schauspieler.

Die Zeit aber dehnte sich schrecklich, Stunden, Tage dauerten die Inszenierungen. Das konnte peinsam oder ärgerlich werden für die Besucher. Dies Theater werkelte auch schon mal ohne Zuschauer vor sich hin, dann wieder ließ sich Vinge beim Zerkloppen der liebevoll gemalten Kulissen beobachten. Er gab den Künstler als Terrorist. Das hatte etwas von einer Beerdigung erster Klasse der bürgerlicher Kunstform Theater.

Am Wochenende meldete der Tagesspiegel in Berlin, dass das Künstlerduo Vegard Vinge/Inge Müller für drei Jahre die Interimsleitung der Volksbühne übernehmen soll. Die Verträge lägen zur Unterschrift bereit. Seit René Polleschs unerwartetem Tod im Februar fehlt der großen Bühne eine Leitung.

Anarchismus und Verantwortung

Nun also Vinge/Müller. Das ist überraschend. Zum einen, weil der Anarchismus und die Lust an der Destruktion des Theaters in ihrer Kunst sich bisher noch nicht auf großen Bühnen bewiesen haben. Auch wenn das Duo eine große Fan-Gemeinde hat, ist das doch eher eine Insider-Gruppe. Zum anderen, weil Intendanz ja vor allem auch eine Leitungsfunktion mit vielen anderen als künstlerischen Aufgaben ist. Und man bisher keine Vorstellung hat, wie gut das Duo da aufgestellt ist.

Die Volksbühne ist ein riesiger Apparat, dessen viele Gewerke bereit zum Mitspielen sein müssen. Chris Dercon, Castorfs erster unglücklich gewählter Nachfolger, hat erfahren, wie eisig der Wind aus dieser Richtung blasen kann.

Mit der Interimsintendanz gewinnt der Berliner Kultursenat Zeit für eine neue Besetzung. Die Wahl des Duos spricht dafür, dass Berlin das große Theater als eigene Marke, im Profil deutlich unterschieden von den anderen Häusern sehen will. Und mit Radikalität liebäugelt.

Sicher ist: Leicht ist so eine Interimsintendanz nicht. Laufende Verträge, etwa mit dem Ensemble, müssen eingehalten werden. Der Spielraum ist nicht groß, zumal unter der aktuellen Vorgabe von Einsparungen an allen Berliner Kulturinstitutionen.

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