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Jüdische Feministinnen nach 7. Oktober„Viele Bündnisse sind zerbrochen“

Ina Holev und Miriam Yosef haben 2020 die Initiative Jüdisch & Intersektional gegründet. Ein Gespräch über Solidarität, Bildung und neue Bündnisse.

Miriam Yosef (links) und Ina Holev Foto: Ana Maria Sales Prado
Maria Disman
Interview von Maria Disman

taz: Frau Holev, Frau Yosef, wofür steht Jüdisch & Intersektional?

Ina Holev: Anfang 2020 haben Miriam Yosef und ich die Initiative Jüdisch & Intersektional gegründet, da uns damals aufgefallen ist, dass es selten Angebote gibt, die Bildungsarbeit gegen Antisemitismus mit einer intersektionalen, queerfeministischen Perspektive zu verbinden. Wir möchten diese Lücke durch kritische Bildungsarbeit schließen und jüdischen Menschen, die in diesem Bereich aktiv und durch Mehrfachdiskriminierung betroffen sind, Empowerment- oder Austauschräume bieten.

Im Interview: 

Miriam Yosef ist Doktorandin in politischer Theorie mit Schwerpunkt auf Menschenrechten und Critical Race Theory an der Uni Duis­burg-Essen. Sie ist Bil­dungs­vermittlerin, Künstlerin und Autorin

taz: In Ihrer Bildungsarbeit äußern Sie bereits vor dem 7. Oktober Kritik an feministischen Organisationen. Was genau ist da Ihre Kritik gewesen und an wen richtete sie sich?

Holev: Wie bei sehr vielen Formen von Diskriminierung ging es uns um die strukturelle Dimension. Antisemitismus ist etwas, was sich durch die Gesamtgesellschaft zieht und nicht vor feministischen Kontexten Halt macht. Der selbsternannte Anspruch, progressiv zu sein, ist aber im Fall der Betroffenheit bei Jü­din­nen*­Ju­den nicht passiert und wird oft ignoriert.

taz: Welche Entwicklungen konnten Sie nach dem terroristischen Hamas-Angriff in solchen Räumen beobachten?

Miriam Yosef: Der 7. Oktober war eine Zäsur, da viele Bündnisse und Freun­d:in­nen­schaf­ten zerbrochen sind. Ich würde von einer beunruhigenden Entsolidarisierung in feministischen Organisationen und bei Personen sprechen, die ich zuvor als solche eingeschätzt habe. Das Schweigen über die Geschehnisse, als sei nichts passiert, bis hin zur Verleugnung, Relativierung der sexualisierten Gewalt an dem Tag oder gar Legitimierung von islamistischem Terror als vermeintlicher Widerstand – all das fand statt.

Im Interview: 

Ina Holev ist freie Autorin, Bildungsvermittlerin, Kuratorin und Medienkulturwissenschaftlerin. Sie ist Bildungsreferentin bei der Beratungsstelle Sabra in Düsseldorf.

Der Hashtag #MeToo_Unless_Ur_A_Jew bringt dieses Phänomen auf den Punkt. Es ist dieses plötzliche Schweigen von Menschen, mit denen man vor dem 7. Oktober zum Teil Empowermenträume geteilt hat oder sie als Freun­d:in­nen betrachtete, sie melden sich nicht mal, um zu fragen, wie es einem geht. Die Psychologin Marina Chernivsky hat in einem Interview mal ganz treffend formuliert: es ist die emotionale Kälte, die Jü­din­nen*­Ju­den seit dem 7. Oktober entgegenschlägt.

Holev: Und die emotionale Kälte ist für Jü­din­nen*­Ju­den nichts Neues, aber die Wucht. Durch Social Media und Hashtags wie „Globalize the Intifada“ wurde alles viel schneller und radikaler katalysiert. Viele Menschen haben ihre eigenen feministischen Ansprüche verraten, indem sie zum Beispiel massiv sexualisierte Gewalt an Frauen in Israel, jüdischen Frauen, queeren Personen oder auch Männern verleugnet oder kleingeredet haben. Das hat sie zu Apo­lo­ge­t:in­nen von Is­la­mis­t:in­nen gemacht. Der Handlungs- und Sprechraum, von Jü­din­nen*­Ju­den wurde dadurch eingeschränkt. Die Sicherheit von jüdischen Menschen hier vor Ort bedroht. Dies belegt auch die aktuelle RIAS-Statistik.

taz: Auf Instagram haben Sie nach dem terroristischen Angriff der Hamas sieben Monate lang geschwiegen. Warum?

Yosef: Wir sind keine NGO mit einer Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit, sondern eine Initiative, die aus zwei Personen besteht, die auf unterschiedliche Art und Weise direkt betroffen sind. Uns und anderen jüdischen Menschen wurde nach so einem dramatischen Einschnitt keine Atempause gegönnt, keine Zeit für Trauer, keine Zeit für ein In-sich-Gehen.

Die breite Öffentlichkeit hat von jüdischen Menschen erwartet, unmittelbar wieder zur Tagesordnung überzugehen, ohne die Zeit und den Raum für das Verarbeiten zu gewähren. Diese Frage spiegelt genau diese Erwartungshaltung wider: dass jüdische Menschen unmittelbar nach traumatischen Ereignissen reagieren sollten.

Holev: Antisemitische Gewalt dient auch dazu, jüdische Menschen sprachlos zu machen und sie in ihrem Selbstausdruck und ihrer Freiheit zu treffen. Während unseres persönlichen Verarbeitungsprozesses haben wir uns umgehört, wo überhaupt der Bedarf in jüdischen Communitys besteht. Schnell wurde deutlich, dass Empowerment- und Austauscharbeit gewünscht ist, um aus dieser Sprachlosigkeit rauszukommen und Solidarität untereinander zu stärken. Eins unserer Projekte heißt „from silence to solidarity“.

taz: Anders als zuvor haben Sie nun Community-Fürsorge in den Hauptfokus Ihrer Arbeit gerückt. Sehen Sie gleichzeitig auch die Notwendigkeit, gerade in feministische und progressive Räume reinzugehen und in den Dialog zu treten?

Yosef: Für uns war Community-Fürsorge nicht nur eine Option, sondern eine Notwendigkeit. Räume zu schaffen, in denen wir füreinander einstehen, zuhören können. Wir geben immer noch antisemitismuskritische Workshops und halten Vorträge, aber das hat mittlerweile eine andere Gewichtung. Die rechtsextremen Anschläge wie 2019 in Halle und 2020 in Hanau haben gezeigt, dass Antifeminismus, Rassismus und Antisemitismus in vielen Fällen zusammengehören.

Wir können nicht ignorieren, dass wir in diesem Kampf aufeinander angewiesen sind. Ich persönlich zumindest gebe meine Hoffnung an Bündnisarbeit nicht auf und habe deswegen zusammen mit Meryem Choukri und Thu Hòai Tran das Projekt Bünd­nis­kom­pli­z*in­nen gegründet, gerade, um feministische Räume zu schaffen, in denen wir als von Rassismus und/oder Antisemitismus betroffene Personen zusammenkommen und uns austauschen können.

Holev: Es ist uns wichtig, Bündnisse aufzubauen, soli­darisch mit anderen Menschen zu sein, die vielleicht nicht unsere Betroffenheit teilen und deren Betroffenheit wir nicht teilen. Doch wenn wir merken, dass diese Räume nicht mehr sicher für uns sind, dann funktioniert auch kein Dialog. Wenn wir uns aber die Wahlergebnisse in Sachsen und Thüringen mit Blick auf die AfD anschauen, ist ein Zusammenstehen von marginalisierten Gruppen wichtig.

taz: Wie müssen feministische Räume neu strukturiert und gedacht werden, damit sich auch jüdische Menschen wohlfühlen? Welche roten Linien ziehen Sie da?

Yosef: Es müssen Gespräche geführt werden, auch wenn sie für Nichtbetroffene unangenehm sind, damit feministische Solidarität und Glaubwürdigkeit wiederhergestellt werden können. Diese Räume müssen klare Grenzen, Strukturen und Werte garantieren. Das bedeutet meiner Meinung nach, dass feministische Räume sowohl physische als auch psychische Sicherheit gewährleisten müssen. Also auch die klare Ablehnung von Antisemitismus und der Schutz vor Übergriffen sowie die Anerkennung von Erfahrungen von Jüdinnen*Juden. Um mich sicher zu fühlen, muss ich mich in solchen Räumen darauf verlassen können, dass Antisemitismus klar benannt wird, gerade von nichtjüdischen Personen.

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1 Kommentar

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  • Ich bin so froh, dass sich jemand dieses Themas annimmt. Ich war so geschockt, dass es nach dem Massaker keine Demonstrationen von Frauen gab und empfand und empfinde die Stille danach als Frau immer noch extrem unheimlich.



    Denn auf diesem Festival wurden Menschen abgeschlachtet und vergewaltigt, die für die Werte eines freien friedlichen Lebens standen, auch in der Sexualität.



    Dass sich Frauen mit den sogenannten "Freiheitkämpfern" der Hamas solidarisieren finde ich allen Frauen gegenüber extrem abstossend.



    Ich bin froh, dass ich mich nicht in universitären Kreisen aufhalte, bin mit meinem Herz aber bei allen, die den Anfeindungen dort ausgesetzt sind.



    Dem beschriebenen Projekt wünsche ich das es weite Kreise ziehen, und viele Menschen erreichen kann.