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Autobatterien aus Allier

Neben einem Bergwerk im französischen Zentralmassiv soll Europas größte Lithium­produktion entstehen – und Rohstoff für E-Autos liefern. Vor Ort sind nicht alle erfreut

In diesem Steinbruch im Departement Allier glaubt der Konzern Imerys einen Schatz, nämlich das begehrte Lithium, gefunden zu haben Foto: Hassan Ayadi/afp

Von Rudolf Balmer, Paris

Échassières im Norden des französischen Zentralmassivs ist ein kleines Dorf mit etwa 400 Ein­woh­ne­r:innen. Neben dem Rathaus steht die Schule, es gibt noch eine Bäckerei, ein Restaurant und einen Laden. Ein paar Kilometer östlich davon befindet sich die naturgeschützte Domaine des Co­lettes, die mit 2.000 Hektar als einer der schönsten Buchenwälder Frankreichs gilt. Ein wenig versteckt hinter der idyllischen Landschaft gähnt ein riesiges Loch im Hügel: Hier baut das in 57 Ländern tätige französische Rohstoffunternehmen Imerys seit 2005 Kaolin, weiße Tonerde, für die Keramikproduktion ab. Die Mineralien enthalten aber auch andere zunehmend begehrte Rohstoffe. Zum Beispiel bestehen sie zu einem Prozent aus Lithium – und Imerys glaubt, einen wahren Schatz ausgegraben zu haben.

Ab 2028 soll dieses lithiumhaltige Gestein in einer Tiefe von 75 bis 400 Metern parallel zur Kaolinförderung im Bergwerk bei Échassières abgebaut werden, um bei einer Jahresproduktion von 34.000 Tonnen Lithiumhydroxid Batterien für 700.000 Elektroautos zu liefern. Frankreich könnte so nahezu unabhängig von Lithiumimporten werden; die Autoindustrie verlangt auf ihrem Weg in die E-Mobilität nach immer größeren Mengen dieses Rohstoffs. „Emili“ lautet der Name des Industrieprojekts, eine Abkürzung für „Exploitation du Mica Lithinifère“, auf Deutsch: Verwertung lithiumhaltiger Gesteine. Nach der Förderung des Rohstoffs in Échassières soll das Lithium zunächst per Bahn ins benachbarte Saint-Bonnet-de-Roche­fort transportiert werden. Dort wird es zwischengelagert, und anschließend in Montluçon in einer Fabrikanlage für die Herstellung der Autobatterien raffiniert.

Montluçon nannte man Ende des 19. Jahrhunderts das „Manchester des Zentralmassivs“, die Schwerindustrie hatte der Kleinstadt zu wirtschaftlichem Aufschwung verholfen. Nun verspricht Imerys eine prächtige industrielle Zukunft: Der multinationale Konzern will 1 Milliarde Euro in das gigantische Emili-Projekt investieren, das Europas größte Anlage für die Lithiumproduktion werden soll. 500 bis 600 direkte Arbeitsstellen und rund 1.000 indirekte sieht Imerys im ländlichen Departement Allier vor.

Eine Segen also für die ganze Region? So sehen es die lokalen Behörden und die meisten Politiker. Die Investition passt zur Industriepolitik der aktuellen französischen Staatsführung – und zum Versuch, unabhängig von außereuropäischen Importen, vor allem aus China zu werden. Schließlich soll das Projekt auch dem Klimawandel Rechnung tragen, da es der Produktion von E-Fahrzeugen als Ersatz für klimaschädliche Verbrenner-Pkws dient. Deshalb hat die Regierung das Vorhaben als „Projekt von bedeutsam nationalem Interesse“ ausgezeichnet, das staatlich gefördert werden müsse.

Umweltschützer*in­nen und ein Teil der Einwohner*in­nen der Gegend sehen im geplanten Lithiumabbau hingegen eher einen Fluch. Sie befürchten schwere Schäden für die Natur, eine Verschmutzung und Verknappung des Grundwassers. Lokale Bürgerinitiativen wie „Stop ­Mines 03“ und „Pré­ser­vons la forêt des Co­lettes“ haben eine verwaltungsgerichtliche Beschwerde eingereicht, damit Emili nicht länger als Projekt von vorrangiger nationaler Bedeutung gilt.

Bür­ge­r*in­nen und die Initiativen konnten ihre Meinung im ersten Halbjahr 2024 bei zwölf öffentlichen Debatten äußern. Die nationale Kommission, die diese Mitsprache organisierte, hat Ende September ihren Bericht publiziert. Darin werden auch die Einwände der Geg­ne­r*in­nen aufgeführt. So steht da beispielsweise, dass es keine abgeschlossene Studie zu den Konsequenzen für die Wasserversorgung gebe. Die Meinungen seien geteilt, hält die Kommission fest.

Umweltschützer befürchten schwere Schäden für Natur und Grundwasser

Allerdings hat der Staat noch vor dem Ende der Debatten grünes Licht für die Pläne von Imerys gegeben. Allein das sei der Beweis, dass die Bürgerbeteiligung nur eine Formalität war, und „dass die Meinung der Einwohner nicht zählt“, meint Étienne Philippe vom Verein, der den Wald von Les Colettes vor dem Zugriff der Minenindustrie bewahren will. Den Vertretern von Imerys sagte er: „Sie behaupten, das Lithium werde dem Kampf gegen die Erderwärmung dienen. Doch es dient der Herstellung von Fahrzeugen, wie sie auf dem Markt sind.“ Das seien zu große, zu schwere und oft ineffiziente Autos, die der Energiewende zuwiderlaufen.

Für solche Sorgen sei sein Konzern nicht zuständig, antwortete Imerys-General­direktor Guillaume Delacroix: „Wir sind eine Minenfirma, wir entscheiden nicht über die Weiterverwendung unseres Lithiums.“ Dann aber solle Imerys wenigstens nicht für sich in Anspruch nehmen, mit der gigantischen Industrieanlage „das Klima zu retten“, ärgerte sich Étienne Philippe laut dem Magazin Reporterre. Philippe zufolge fallen allein bei der Förderung im Bergwerk von Échassières pro Jahr 2 Mil­lio­nen Tonnen Abfälle an. Zu denken gebe auch, dass bei der Umwandlung in Lithiumhydroxid in Montluçon enorme Mengen gesundheits- und umweltschädlicher Schwefelsäure verwendet werden müssten. Ist Emili also ein Segen oder ein Fluch? Für die Regierung in Paris scheint das längst entschieden. Im Elsass etwa werden schon zusätzliche Standorte für die Förderung von Lithium, dem „weißen Gold“ der E-Auto-Ära, erforscht.

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