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Debatte um Waffenlieferungen an IsraelLetzte Warnung aus Washington

Die USA drohen Israel wegen dessen Kriegsführung mit einem Waffenembargo. Jerusalem reagiert mit Angriffen, muss aber womöglich bald einlenken.

Die Munition für das Raketenabwehrsystem Iron Dome kommt aus den USA. Hier zu sehen über Aschkelon am 01. Oktober Foto: Amir Cohen/reuters

Jerusalem und Berlin taz | Es ist die wohl deutlichste Warnung der US-Regierung an Israel seit Kriegsbeginn. In einem geleakten und am Dienstag veröffentlichten Brief an die israelische Führung droht Washington mit einer Einstellung der Waffenlieferungen, ohne die der Verbündete den Krieg nicht mit gleicher Intensität weiterführen könnte. Binnen 30 Tagen soll Israel sein Vorgehen und die humanitäre Situation im Gazastreifen deutlich verändern.

Ungewöhnlich detailliert listet das Schreiben eine umfassende Kritik auf. Die Armee habe 1,7 Millionen Menschen in dem „extrem überfüllten“ Küstengebiet al-Mawasi zusammengedrängt, wo sie tödlichen Infektionskrankheiten ausgesetzt seien. Soldaten hätten fast 90 Prozent der humanitären Missionen zwischen Nord- und Süd-Gaza be- oder verhindert. Das Volumen von Hilfslieferungen sei im September auf den niedrigsten Stand binnen eines Jahres gefallen.

Damit verbunden ist eine Reihe von Forderungen: So soll Israel mindestens 350 Lkw-Ladungen mit Hilfsgütern pro Tag in den Gazastreifen lassen und humanitäre Pausen einhalten, um diese zu verteilen. Die Menschen in al-Mawasi müssten vor dem Einbruch des Winters ins Inland umsiedeln können. Eine Zwangsvertreibung der Bewohner des nördlichen Küstenstreifens soll ausgeschlossen werden. Andernfalls droht eine Prüfung, ob die Militärhilfe noch im Einklang mit US-Gesetzen stehe.

Die israelische Armee ist auf die Waffenlieferungen angewiesen: Die Munition für das Raketenabwehrsystem Iron Dome kommt ebenso aus den USA wie die bunkerbrechenden Bomben, mit denen Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah im September in Beirut getötet wurde. Offizielle Reaktionen gab es am Mittwoch zunächst nicht. Die israelische Behörde Cogat meldete jedoch erstmals seit zwei Wochen, dass mehrere Dutzend Lastwagen mit Hilfsgütern in den Norden des Gazastreifens fahren konnten. Die regierungsnahe israelische Zeitung Israel Hayom schreibt unter Berufung auf Sicherheitskreise, es gebe „kaum eine Wahl, als einzulenken“.

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Angespannte Stimmung

Bereits im April hatten die USA angesichts der humanitären Katastrophe in Gaza indirekt gedroht, den militärischen Nachschub zu unterbrechen. Damals hatte die israelische Regierung schnell reagiert und die Hilfslieferungen nach Gaza deutlich erhöht, bevor sie diese schrittweise wieder zurückfuhr. Auch jetzt gibt es Anzeichen, dass Israel sich seinen Kurs nicht aus Washington diktieren lassen will.

Entgegen ausgesprochenen Warnungen der US-Führung erschütterten am Mittwoch erstmals seit knapp einer Woche neue Luftangriffe den Süden der libanesischen Hauptstadt Beirut. Die Armee teilte mit, ein Waffenlager angegriffen zu haben. Die Beziehungen zwischen beiden Ländern sind an einem politischen Tiefpunkt. US-Präsident Joe Biden soll Netanjahu laut dem US-Journalisten Bob Woodward bereits im Mai als „verdammten Lügner“ bezeichnet haben. Es dürfte daher kein Zufall sein, dass der Brief stattdessen an Verteidigungsminister Joav Galant adressiert war.

Vor der US-Wahl in weniger als einem Monat könnte Netanjahu darauf setzen, dass der republikanische Kandidat Donald Trump gewinnt, von dem er sich mehr Handlungsspielraum erhofft. Die 30-tägige Frist liegt zwar bereits nach dem Wahltag, Trump käme aber selbst im Falle eines Sieges erst im Januar ins Amt. Zum anderen könnte er sich darauf verlassen, dass sich die militärische Unterstützung der USA während des gesamten Krieges als zuverlässig erwiesen hat.

Erst Anfang der Woche traf in Israel das US-Raketenabwehrsystem Thaad ein. Der New-York-Times-Kolumnist Nicholas Kristof spottete bei X, Bidens „Spezialität sind Warnungen, die (Netanjahu) ignoriert – und anschließend weitere Waffenlieferungen“.

Olaf Scholz verspricht Unterstützung

Angesichts der zuletzt maßgeblich von Israel vorangetriebenen Eskalation wächst die Kritik an Israels Kriegsführung. Frankreich, Italien und Großbritannien haben zum Teil Waffenlieferungen an Israel ausgesetzt, allerdings fällt deren Volumen neben den US-Lieferungen kaum ins Gewicht.

In Berlin bemüht man sich derzeit, jeglichen Zweifel an der Unterstützung der Bundesregierung an Israel auszuräumen. Bundeskanzler Olaf Scholz sicherte am Mittwoch Israel weitere Waffenlieferungen für den Kampf gegen die Terrormilizen Hamas und Hisbollah zu. „Es gibt Lieferungen und wird auch immer weitere Lieferungen geben. Darauf kann sich Israel verlassen“, sagte Scholz in einer Regierungserklärung zum EU-Gipfel.

„Israel kann sich auf unsere Solidarität verlassen – jetzt und in aller Zukunft.“ Scholz betonte aber auch: Es müsse weiterhin Hilfe für die Menschen in Gaza geben und die Regeln des Völkerrechts müssten eingehalten werden. Die Versicherung im Parlament kommt nicht von ungefähr.

In den vergangenen Tagen hatten Medienberichte für Furore gesorgt, in denen Außenministerin Annalena Baerbock und Vizekanzler Robert Habeck vorgeworfen wird, Waffenlieferungen an Israel blockiert zu haben. Nach Scholz’ Ankündigung ist nun klar, dass weiter geliefert wird – von einem Waffenembargo kann jedenfalls keine Rede sein.

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2 Kommentare

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  • Nun es wird an der Zeit Israels Regierung die Stirn zu bieten.

    Die jetzigen Vorgänge in Gaza wurden schon im September vom ehemaligen Sicherheitsberater Giora Eiland in einem you tube video grob skizziert, indem er erklärte die Bevölkerung aus dem Norden des Gazastreifens zu vertreiben, indem die Hilfslieferungen eingestellt würden. In einem Interview mit der Zeitung Haaretz führte er weiter aus "Es ist zulässig und sogar empfehlenswert, einen Feind verhungern zu lassen, vorausgesetzt, man hat den Zivilisten vorher Fluchtwege eröffnet. Und das ist genau das, was ich vorschlage. Die Einzigen, die in diesem Gebiet zurückbleiben werden, werden Terroristen sein, die sich ergeben oder verhungern werden." (Quelle Die Zeit)

    Das angesichts von Attacken auf Blauhelmsoldaten und den Zuständen in Gaza vom Bundeskanzler Waffenlieferungen zugesagt werden ist ein Armutszeugnis und zielt symbolisch in die falsche Richtung. Die deutsche Staatsräson sollte der israelischen Bevölkerung gegenüber gelten und nicht den Verbrechern in der Regierung.

    • @Sam Spade:

      Ja!



      Zur Zeit bestimmen hier in D die Generation der Kinder und die Generation der Enkel derer, die den Holocaust betrieben / toleriert / zu wenig dagegen unternommen / unter ihm gelitten haben, politisches Handeln.



      Reflexhafte Beschönigung israelischer Politik ist da verständlich, hilft aber an sich nicht, die Schuld der Tätergeneration zu tilgen. Sondern riskiert im konkreten Fall, sich hinter aktuelles Unrecht zu stellen und daran praktische politisch - moralische Mitverantwortung zu übernehmen. Gut, dass mit Baerbock und Habeck Grüne in Regierungsverantwortung da anscheinend umsichtiger sind, und sich entsprechend gegen den "Scholzomat" positionieren.