: Die Menschen, die für uns schuften
VERANTWORTUNG Weltweite Arbeitsbedingungen: Ein Sammelband plädiert für einen Wandel der Unternehmenskultur und für neue Gesetze
Seit Ende der 90er Jahre haben viele Wirtschaftsunternehmen freiwillige Verhaltenskodizes verabschiedet. Doch an den Arbeitsbedingungen in den Produktionsländern hat sich wenig geändert. Das zeigt ein Sammelband zum Thema; zugleich appelliert er an die Regierungen, für mehr Verbindlichkeit zu sorgen.
„Ökonomie und Gewinn sind kein Selbstzweck, sie können – richtig verstanden – nicht im Widerspruch zu sozialen oder ökologischen Zielen stehen“, schreibt Thomas Jorberg. Der Vorstandsprecher der sozialökologischen GLS Bank plädiert im Vorwort von „Mythos Unternehmensverantwortung und Regulierungslücken“ für einen grundsätzlichen Wandel in der Unternehmenskultur. Mehr soziale Verantwortung sei Pflicht, doch genau damit tun sich viele der Unternehmen schwer, wie in den rund dreißig Beiträgen des von Gisela Burckhardt herausgegeben Sammelbands zu lesen ist.
Burckhardt, langjährige Mitarbeiterin der „Kampagne für Saubere Kleidung“, kennt die Schwierigkeiten im Textilsektor en detail. Doch das Konzept des Sammelbands geht weit über den Textilsektor hinaus. Es wird gefragt, weshalb all die positiven Ansätze von Global Compact bis zu den „OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen“ bis heute keinen durchschlagenden Erfolg gezeitigt haben. Berichte über die Verletzung elementarer Arbeitsrechte im Auftrag internationaler Konzerne sind auch heute alles andere als die Ausnahme. Warum haben die Tausende von Audits keine Wirkung, warum sind Nachhaltigkeitsberichte nur in 2.500 von 42.000 Großunternehmen auf EU-Ebene eine Selbstverständlichkeit, und wie steht es um die Rechte der Betroffenen, der Frauen und Männer, die in den Weltmarktfabriken schuften?
Diesen Fragen gehen die Autoren aus Wissenschaft und Praxis nach, teilweise kommen sie zu ernüchternden Ergebnissen. So wird es kaum jemand überraschen, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen in China, Indien oder Bangladesch, wo das Gros unserer Kleidung, aber auch nahezu sämtliche Computer produziert werden, alles andere als optimal sind. In der Europäischen Union kann aber die Verletzung von Menschen- und Arbeitsrechten durch Zulieferer multinationaler Unternehmen nicht geahndet werden.
Warum nur?, fragt die Juristin Eva Kocher, und verweist auf die USA, wo Anschuldigungen von Mitarbeitern von US-Unternehmen im Ausland sehr wohl nachgegangen wird. In der EU sind Klagen wie jene der Verbraucherzentrale Hamburg vom April 2010 gegen den Lidl-Konzern wegen unlauteren Wettbewerbs jedoch die Ausnahme. Damals warb der Lidl-Konzern damit, dass bei der Produktion Sozialstandards eingehalten würden. Doch die Werbung des Konzerns konnte durch eine Recherche in mehreren Fabriken in Bangladesch widerlegt werden. Ein klarer Fall von Greenwashing.
Davon zeigen die Autoren des Sammelbands eine ganze Reihe auf. Aber auch gut gemeinte Initiativen werden beleuchtet, wie der Kraft-Joghurt von Danone, der einst für unterernährte Kinder produziert wurde und heute vom Mittelstand konsumiert wird, oder Projekte der deutschen Entwicklungspolitik, die einseitig die Unternehmensverbände fördern, oder der „One Dollar Trainer“ von adidas, ein Laufschuh für die Armen.
Doch es gibt sie durchaus, die positiven Beispiele, die Hoffnung machen, dass es langfristig doch noch etwas werden könnte mit den fairen Arbeitsbedingungen. Die Textilproduktionsfirma KTC des Österreichers Gerhard Flatz ist solch ein Beispiel. Sie sitzt in China, bezahlt deutlich mehr als den Mindestlohn, lässt in klimatisierten Hallen arbeiten, und auch eine Gewerkschaft für die 2.200 Angestellten gibt es. Wesentliche Gründe, weshalb Flatz keine Probleme hat, Arbeitskräfte zu bekommen; also hat er gleich den nächsten Schritt gemacht und ist der Fair Wear Foundation (FWF) beigetreten. Die Multi-Stakeholder-Initiative setzt sich weltweit für bessere Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie ein und hat in den letzten Jahren zahlreiche neue Mitglieder gewonnen.
Doch vielversprechender wäre und vor allem schneller ginge es, wenn die Regierungen in den Konsumentenländern ihre Hausaufgaben machen würden. Konkrete Sozialklauseln in Handelsverträgen wären dazu ebenso nötig wie extraterritoriale Schutzpflichten. Die würden wie auch die Einführung von Klagemöglichkeiten von Arbeitern gegen Unternehmen oder von sozialen Kriterien bei der öffentlichen Beschaffung helfen, die Arbeitsbedingungen in den Weltmarktfabriken zu verbessern. Doch ob sie politisch durchsetzbar sind, muss sich erst noch zeigen. KNUT HENKEL
■ Gisela Burckhardt (Hg.): „Mythos Unternehmensverantwortung und Regulierungslücken“. Horlemann Verlag, Berlin 2011, 250 Seiten, 14,90 Euro
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