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Zur Abschiebung nach Tegel

Die SPD-Innensenatorin lässt Berlins Abschiebehaftplätze zeitweilig in die JVA Tegel verlegen – eine umstrittene Praxis

Von Marina Mai

Schwarz-Rot dreht auch in Sachen Abschiebehaft eine Rolle rückwärts. Innensenatorin Iris Spranger (SPD) erklärte am Montag im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses, vier Haftplätze in der Sicherheitsverwahrung der JVA Tegel würden für Abschiebehäftlinge zur Verfügung gestellt.

Seit Monaten hat Berlin keinen eigenen Abschiebegewahrsam mehr, weil das dafür geschaffene Gebäude in Lichtenrade zugunsten des stark überbelegten Maßregelvollzugs umgebaut wird. Hier standen seit 2018 zehn Abschiebehaftplätze zur Verfügung, die kaum ausgelastet waren. Zeitweise stand das Gewahrsam völlig leer und wurde über Wochen mangels Insassen geschlossen.

Grund für die geringe Auslastung war die politische Prämisse des vorherigen rot-grün-roten Senats, Abschiebehaft möglichst zu vermeiden. In diese kommen Menschen, die keine Straftaten begangen haben – nur um ihre Abschiebung abzusichern. Seit Rot-Grün-Rot kamen in Berlin lediglich sogenannte Gefährder in Abschiebehaft sowie ehemalige Strafgefangene, die nach ihrer Haftstrafe abgeschoben werden sollten. Seit der Schließung von Lichtenrade wurden zur Abschiebung vorgesehene Gefährder per Amtshilfe in anderen Bundesländern untergebracht.

Weil Abschiebehäftlinge keine Straftäter sind, dürfen sie eigentlich nicht gemeinsam mit diesen untergebracht werden. Ihnen werden mehr Freiheiten zugestanden, etwa ein umfassendes Besuchsrecht und die Nutzung von Handys. Spranger zufolge wird die Unterbringung von vier Abschiebegefangenen in Tegel aber durch ein Urteil des Landgerichts gedeckt.

Berlin bekenne sich „zu einer Rückführungspolitik unter Wahrung humanitärer Grundsätze“, befand die Senatorin. Ab Herbst 2025 sollen laut Spranger 40 Abschiebehaftplätze in Lichtenrade entstehen – also deutlich mehr als die zehn, die es zuletzt gab.

Stephan Weh, der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei GdP, sagt, seine Organisation freue sich über „jegliche Kapazitäten, um Abschiebungen effektiver durchzuführen“. Allerdings sieht er die Notwendigkeit eines „echten Abschiebegewahrsams mit entsprechenden Plätzen, Personal und Logistik“. Durch die Zwischenlösung fehlten in Tegel auch vier Haftplätze für andere Straftäter. „Wir haben ohnehin schon viel zu wenige Zellen, um gefährliche Menschen von der Straße zu holen.“

Der Polizeigewerkschafter will nicht nur Gefährder und ehemalige Strafgefangene in Abschiebehaft bringen, sondern auch andere ausreisepflichtige Flüchtlinge, um zu vermeiden, dass sie abtauchen. Anfang September hatte er ein Abschiebegewahrsam am Flughafen BER gefordert, denn viele Menschen, die abgeschoben werden sollen, würden in ihren Unterkünften nicht angetroffen. Nach seinem Willen sollen sogar Betreiber von Unterkünften verpflichtet werden, bei der Durchführung von Abschiebungen mitzuhelfen.

Ganz anders sieht das der Flüchtlingsrat. „Wir lehnen Abschiebehaft generell ab, weil es keine Grundlage gibt, Menschen mit Freiheitsberaubung zu bestrafen, nur weil sie nicht ausgereist sind“, sagt Sprecherin Emily Barnickel der taz. Das Vorhaben von Iris Spranger, „Menschen willkürlich in eine JVA mit zum Teil schwer kriminellen Menschen zu sperren“, sei „ein Rückschritt der Berliner Politik und ein weiterer trauriger Beweis der populistischen und menschenverachtenden Dynamik der Debatte um Flucht“.

Barnickel verweist darauf, dass nach Recherchen von Anwälten die Hälfte der Abschiebehaftbeschlüsse in Bundesländern mit praktizierter Abschiebehaft juristisch fehlerhaft sei. „Die Abschiebehaft wird entweder zu Unrecht oder viel zu lang verhängt.“ Da Abschiebehaft zudem sehr teuer sei, solle Berlin das dafür vorgesehene Geld lieber in Integrationsmaßnahmen stecken, fordert sie.

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