: In mythischen Landschaften
Raum für Raum durch die Motive des Romans: Zwei Ausstellungen setzen sich in Lübeck unkonventionell und originell mit Thomas Manns „Der Zauberberg“ auseinander. Die Vielschichtigkeit des Buches kann auf begrenztem Platz aber nicht abgebildet werden
Von Falk Schreiber
Ein handelsüblicher Heizkörper hängt im Lübecker St.-Annen-Museum an der Wand. Auf einem Schild daneben steht: „Aber diese stumpfsinnigen Machthaber ließen die Heizung ja ausgehen, sobald es zu schneien aufhörte – eine stumpfsinnige Regel, ein Hohn auf alle Vernunft.“
„Thomas Manns ‚Der Zauberberg‘: Fiebertraum und Höhenrausch“ heißt die Ausstellung, die Caren Heuer vom Lübecker Buddenbrookhaus kuratiert hat. Und die Heizung an der Wand macht deutlich: Es geht Heuer nicht um eine traditionelle Literaturausstellung. Sie inszeniert Räume nach Motiven von Manns vor 100 Jahren veröffentlichtem Jahrhundertroman. Und wenn dabei die Mann’sche Ironie in Form eines zum Kunstwerk geadelten Heizkörpers vorkommt, dann passt das schon.
Keine schlechte Idee, sich dem Roman über den Umweg des Humors zu nähern. Mann hatte den „Zauberberg“ ursprünglich als essayistische Antwort auf seinen Décadenceklassiker „Der Tod in Venedig“ (1911) geplant. Erst während des Schreibprozesses reicherte sich der Stoff mit philosophischen und historischen Überlegungen an, ohne seine humoristische Leichtigkeit zu verlieren.
Für die Ausstellung heißt das, dass die harten Fakten gleich im ersten Raum abgehandelt werden: einem Nachbau von Manns Schreibzimmer, der zeigt, unter welch luxuriösen Bedingungen der schon damals weltbekannte Autor seinen Roman verfasste.
„Der Zauberberg“ handelt vom auf Effizienz geeichten angehenden Schiffsbauingenieur Hans Castorp, der seine Heimatstadt Hamburg verlässt, um seinen Vetter im Davoser Sanatorium Berghof zu besuchen. Die Alpen erweisen sich als mythische Landschaft, in der Castorp (auch im Wortsinne) verloren zu gehen droht: Er verliebt sich, debattiert, lässt den Schiffbau hinter sich und bleibt sieben Jahre in Davos, um schließlich in den Gräueln des Ersten Weltkriegs zu verschwinden.
Im Grunde ist es ein Bildungsroman, in dem ein behüteter Mensch in die Welt zieht, um an ihr zu wachsen – nur dass die Welt, in die Castorp zieht, immer weniger Möglichkeiten bereithält, als geschlossener Raum eines Lungensanatoriums zwischen steil aufragenden Bergflanken.
Schallgedämpft durchs Sanatorium
Nach dem konventionellen Einstieg geht’s dorthin. Die Stimmung der Ausstellung ändert sich mit einem Schlag: Der Raum ist in Weiß gehalten, Schalldämpfung sorgt dafür, dass man sich wie in Watte gepackt fühlt (oder wie in die wärmenden Decken, in denen das „Zauberberg“-Personal auf der Terrasse des Berghof vor sich hin hustet). Es sind auch medizinische Gerätschaften ausgestellt, die im Buch beschrieben werden, die Beschreibungen stehen anbei, auch Erklärungen aus heutiger Perspektive, die darauf hinweisen, wie wirkungslos bis gefährlich die damaligen Therapien teils waren.
Das, was Mann da schildert, ist nicht zuletzt eine groteske Komödie, mit Figuren, die schon 1924 als Quacksalber erkennbar waren. Die sparsamen wie wirkungsvollen Interventionen der Ausstellung fügen dem Roman nichts hinzu, sie verdeutlichen, was da steht: Diese Ausstellung will nicht klüger sein als Mann, aber sie hat gut verstanden, um was es geht. So geht es Raum um Raum durch die „Zauberberg“-Motive. Es gibt einen Saal zur Todesmetaphorik, einen zum politischen Diskurs. Der berühmte „Schneetraum“ (Castorp verirrt sich auf einer Skitour, rettet sich in eine Scheune und hat eine Nahtoderfahrung) wird in einem eigenen Raum abgehandelt. Es macht Spaß, so quasi durch den Roman zu wandeln.
Auf lange Sicht aber gerät das Ausstellungskonzept hier an seine Grenzen: Nach und nach tun sich blinde Flecken auf, es wird deutlich, dass die Vielschichtigkeit von Manns Entwurf nicht auf begrenztem Platz abgebildet werden kann. Dass die Liebschaft Castorps mit Clawdia Chauchat einen queeren Aspekt hat (die androgyne Figur erinnert ihn an einen Jugendfreund), bleibt im „Erotik“-Raum auf der Textebene stehen. Dass die philosophisch-politischen Diskussionen zwischen dem Humanisten Settembrini und dem Präfaschisten Naphta antisemitisch gelesen werden können (Naphta ist konvertierter Jude), fällt unter den Tisch. Aber das sind Kleinigkeiten, ein Mäkeln, das einer alles in allem originellen Ausstellung wenig anhaben kann.
Parallel dazu hat die britische Künstlerin Heather Phillipson noch eine umfangreiche Installation in der Kunsthalle realisiert: „Extra Time“, als Kommentar zum Zeitmotiv im „Zauberberg“. Im Erdgeschoss sind Fußballfelder aufgebaut, die die Nachspielzeit im Sport als freie Zeit beschreiben, im ersten Stock gibt es ein Protestcamp, im Dachgeschoss rotiert eine Seilbahn – und wenn man es bis hier oben geschafft hat, dann hat man quasi die Berge über Davos bestiegen.
Bis 2. März, St.-Annen-Museum und Kunsthalle St. Annen, St.-Annen-Straße 13, Lübeck; www.derzauberberg.de
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