Theaterstück „Hier spricht die Polizei“: Halbnackt eine Polonaise tanzen

ACAB oder Freund und Helfer? Das Dokumentartheaterstück „Hier spricht die Polizei“ feiert am Staatstheater Hannover Premiere.

Schauspielerin als Polizistin verkleidet, bläst einen Ballon auf

Die Schau­­­spiele­r:in­nen versuchen, Perspektive und Haltung von Po­li­zis­t*in­nen einzu­nehmen Foto: Kerstin Schomburg

„Wie müsste die Polizei sein, damit ich sie gut finden würde?“ Es ist die Regisseurin Julia Rösler, die sich diese Frage stellt – und eine Antwort schuldig bleibt. Mehrere Monate, fast ein Jahr lang hat sie sich mit dem Thema beschäftigt, hat gemeinsam mit der Dramaturgin Silke Merzhäuser und der Musikerin Insa Rudolph daran gearbeitet. Hat recherchiert, Gespräche geführt, Po­li­zis­t*in­nen befragt.

Gemeinsam bilden Rösler, Merzhäuser und Rudolph das Kollektiv werkgruppe 2. Jeweils basierend auf einer ausführlichen journalistischen Recherche, erarbeiten sie Umsetzungen, die die Grenzen von Dokumentation und Fiktion in unterschiedlichen Genres ausloten. Im Film, im Hörspiel und auf der Bühne. Ihr jüngstes Projekt „Hier spricht die Polizei“ hatte im Mai während der Ruhrfestspiele in Recklinghausen Premiere. Jetzt ist es im Ballhof Eins am koproduzierenden Schauspiel Hannover zu sehen.

Fünf Schau­spie­le­r*in­nen des Ensembles werden an diesem Abend zu Stell­ver­tre­te­r*in­nen der interviewten Polizist*innen. Mit hoher Präzision haben sie sich deren Texte angeeignet, Versprecher, Sprechduktus und Pausen inklusive. Einen Abend lang nehmen also Fabian Dott, Servan Durmaz, Anja Herden, Alrun Hofert und Sebastian Nakajew die Perspektive und Haltung von Po­li­zis­t*in­nen ein, erzählen aus deren Alltag zwischen 1.-Mai-Demos und Feierabendbier, zwischen Sturmmasken und Angst.

Unter Kol­le­g*in­nen

Es ist ein Abend ganz unter Kolleg*innen, ein Abend auf der Wache. Ein langer dunkelblauer Teppich markiert den Flur. Dort stehen ein grauer Spind, ein Regal mit Aktenordnern und Kaffeemaschine. Ein großes Fenster öffnet den Blick in ein schmuckloses Büro, zwei graue Türen führen nirgendwohin. Neonröhren verbreiten fieses Licht und die in den Boden eingelassenen Lüftungsgitter werden den Live-Musikern (Christian Decker, Dominik Decker, Uli Genenger) auch als Instrumente dienen.

„Es ist ja so, dass wir immer alles richtig machen, weil wir eben alles richtig machen müssen“, heißt es einmal.

Zurückhaltend haben Lea Dietrich und Viva Schudt Bühne und Kostüme (dunkelblaue Arbeitskleidung: vom Helly-Hansen-T-Shirt bis hin zum Overall) gestaltet. Klug verzichten sie auf Wandkalender, Papierstapel oder Urlaubskarten. Der Raum erzählt nicht mehr, als er muss. Er ist reduziert, realitätsnah und doch fiktiv.

Die Hauptrolle an diesem Abend spielt tatsächlich der Text. Er erzählt von extremistischen Netzwerken, Hakenkreuzen in Chatgruppen und Racial Profiling: „Da passiert es schon mal, dass ich die Handschellen bisschen schneller anlege.“ Er erzählt von Kollegen, die „grundsätzlich nach rechts offen“ sind und starke Affinitäten zum Doppel-H haben, von jenen, die bei der Polizei vor allem das Gruppengefühl mögen und solchen, die besser als „Hauptkommissar Warsteiner“ bekannt sind.

Er erzählt genauso von der täglichen Gefahr, von Einsätzen im Milieu, von Provokationen und Stigmatisierungen. Von fliegenden Molotowcocktails, Steinen und Spucke und davon, dass die Uniform quasi eine Rüstung sei. Er erzählt von den gesellschaftlichen Erwartungen, vom Handlungsdruck und von Allmachtsfantasien.

„Alles richtig machen“

„Es ist ja so, dass wir immer alles richtig machen, weil wir eben alles richtig machen müssen“, heißt es einmal. Es sind Innensichten, die mal mehr, meist weniger sympathisch sind. Es sind Geschichten, die von einem Beruf erzählen, der die freiheitliche demokratische Grundordnung per geleistetem Eid schützen soll. Es sind berührende und abstoßende Geschichten. Geschichten, die höchst widersprüchlich sind und doch beständig ineinander greifen, auch weil die fünf Spie­le­r*in­nen sie ganz direkt und nahbar wiedergeben.

Dass sich der eine Kollege mehr Schutz wünscht, die andere Kollegin mehr Entscheidungsfreiheit, ein dritter davon träumt, dass der Wasserwerfer häufiger zum Einsatz kommt, eine vierte die Bilder der Duisburger Loveparade nicht mehr aus dem Kopf bekommt, ein fünfter voller Selbstzweifel ist und sie schließlich alle fünf halbnackt auf der Firmenfeier zwischen Luftschlangen und zu „Bumsfallera“ eine Polizeipolonaise tanzen.

Das alles umfasst dieser Abend, der kompakt ist und ehrlich, der informativ ist und absichtlich monoperspektivisch, der genauso Klischees bedient wie er Sympathien herstellt. Es ist ein Abend, der eigenwillig ist und der nachdenklich macht. Und der eben jene Frage ungemütlich offen lässt: „Wie müsste die Polizei sein, damit ich sie gut finden würde?“

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