: Thüringer Turbulenzen
Nach einer chaotischen ersten Sitzung und einem Verfassungsurteil hat das Thüringer Parlament einen Präsidenten gewählt: den CDU-Politiker Thadäus König. Trotzdem geht die Strategie der AfD auf
Von David Muschenich und Christian Rath
Der Thüringer Landtag hat nach Turbulenzen am Samstag doch noch einen Landtagspräsidenten gewählt: den CDU-Politiker Thadäus König. Die chaotische konstituierende Sitzung dürfte aber einen Vorgeschmack geben auf die kommende Legislaturperiode. Thüringens amtierender Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) warf der AfD nach der Sitzung vor, den Landtag für eine „Schmierenkomödie“ missbraucht zu haben. Noch-Innenminister Georg Maier (SPD) sprach sich für ein AfD-Verbotsverfahren aus und erklärte: „Das wird die nächsten fünf Jahre ohne Pause genauso weitergehen. Die AfD wird sich immer wieder etwas einfallen lassen, um hier zu provozieren.“
Vorausgegangen waren am Donnerstag wilde Wortgefechte im Landtag, eine Entscheidung des Landesverfassungsgerichts und schließlich die Präsidentenwahl am Samstag. Alterspräsident Jürgen Treutler (AfD) hatte den Abgeordneten bei der konstituierenden Sitzung am Donnerstag immer wieder das Wort entzogen und Abstimmungen nicht zugelassen. Hintergrund des Streits: Laut Geschäftsordnung durfte zunächst die AfD als größte Fraktion eine:n Kandidat:in für den Parlamentsvorsitz vorschlagen. Allerdings hatten die anderen Parteien vorab angekündigt, keine:n Kandidat:in der rechtsextremen Fraktion zu wählen. Stattdessen hatten CDU und BSW einen Antrag eingereicht, um die Geschäftsordnung so zu ändern, dass von Beginn an alle Fraktionen Vorschläge machen können.
Doch den ließ Treutler nicht zur Abstimmung kommen. Die Geschäftsordnung ändern dürfe der Landtag erst, nachdem er eine:n Präsident:in gewählt habe. Die anderen Fraktionen hielten dagegen. Nach vier Stunden kündigte die CDU an, vor den Thüringer Verfassungsgerichtshof zu ziehen. Am späten Freitagabend gab dieser der CDU inhaltlich in allen Punkten recht.
Der Gerichtshof stellte fest, dass Alterspräsident Treutler die Rechte der Thüringer Abgeordneten verletzt hatte. Er habe nur eine dienende Rolle und keine Befugnis, Anträge der Abgeordneten einfach als unzulässig abzulehnen. In der Begründung verweisen die Richter:innen auf die Parlamentsautonomie. Der Landtag könne mit Mehrheit selbst entscheiden, wie er seine konstituierende Sitzung gestalte. Er könne dabei auch selbst die Reihenfolge der Verfahrensschritte festlegen. Und er könne das Wahlverfahren für die Landtagspräsident:in ändern, bevor die Wahl stattfindet. Es ergebe sich weder aus der Verfassung noch aus Gewohnheitsrecht, dass die Parlamentspräsident:in der größten Fraktion angehören muss, so die Richter:innen. Die Abgeordneten könnten den bisherigen „Parlamentsbrauch“ einfach ändern. (Az.: VerfGH 36/24).
Was juristisch klar ein Erfolg für die demokratischen Parteien ist, weiß die AfD trotzdem für sich zu nutzen. So hatte der Thüringer AfD-Chef und Rechtsextremist Björn Höcke schon vorab erklärt, ob die Richter:innen unparteiisch urteilen würden, daran zweifle er. Als der Beschluss dann vorlag, erklärte Höcke, die AfD sei „um den Sieg gebracht worden“.
Innerhalb von 45 Minuten beschloss der Landtag am Samstag die neue Wahlordnung, kurz darauf stand die Wahl an. Von den 87 anwesenden Abgeordneten stimmten 54 für den CDUler König und 32 für die AfD-Kandidatin Wiebke Muhsal. In seiner Antrittsrede betonte der frisch gewählte König ein ums andere Mal, er wolle vermitteln, ein Präsident für alle sein, Respekt voreinander fördern. Ein hoher Anspruch – spätestens seit der turbulenten ersten Sitzung zwei Tage zuvor. Dass die AfD wie angekündigt Wiebke Muhsal aufstellte, war indes eine bewusste Provokation in Richtung der anderen Fraktionen: Die 38-Jährige war in ihrer ersten Amtszeit als Abgeordnete wegen Betrugs rechtskräftig zu einer Strafe von 8.000 Euro verurteilt worden.
Auch bei den Vize-Landtagspräsident:innen ging die AfD leer aus. Allerdings schickte sie abermals ausschließlich Muhsal ins Rennen. Dabei hatten die anderen Fraktionen vorab deutlich gemacht, die verurteilte Betrügerin Muhsal sei für sie unwählbar. Andere Kandidat:innen hätten aber sehr wohl eine Chance gehabt. Die AfD hatte die Opferrolle anvisiert und ausgespielt.
Georg Maier, Innenminister von Thüringen
Mit der Konstituierung des Landtags endete auch die reguläre Amtszeit von Ramelow und seiner Regierung. Sie bleibt aber laut Landesverfassung bis zum Antritt ihrer Nachfolger weiter geschäftsführend im Amt. Die Regierungsbildung in Thüringen ist kompliziert. Mit der AfD als stärkster Fraktion will keine andere der im Landtag vertretenen Parteien koalieren. In dieser Woche sollen Sondierungsgespräche zwischen CDU, SPD und BSW beginnen – die drei Fraktionen zusammen haben jedoch keine Mehrheit im Landtag.
Linken-Bundeschef Martin Schirdewan forderte die CDU auf, ihren Unvereinbarkeitsbeschluss mit der Linken „im Mülleimer der Geschichte zu entsorgen“ und eine Zusammenarbeit in Thüringen zuzulassen. Die Linke habe im Landtag mit ihrer Unterstützung für den CDU-Kandidaten König bewiesen, „dass ihr der Schutz der Demokratie wichtiger ist als parteipolitisches Geplänkel“. (mit afp)
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