Oldenburger Edith-Russ-Haus: Bürgermeister will Entnazifizierung
Die Stifterin des Oldenburger Hauses für Medienkunst, Edith Ruß, war Nationalsozialistin, besagt eine neue Studie. Das hatte die Stadt lange ignoriert.
„Oberbürgermeister Jürgen Krogmann plädiert dafür, das Edith-Russ-Haus für Medienkunst umzubenennen.“ Das gab die Stadt Oldenburg am vergangenen Donnerstag bekannt. „Aus meiner Sicht“, zitiert die Mitteilung den Sozialdemokraten, der als Dezernent auch die Kultur mitverantwortet, „ist es für eine städtische Kultureinrichtung nicht mehr tragbar, den Namen Edith Ruß im Titel zu verwenden.“
Das ist keine Lappalie. Das „Edith-Russ-Haus für Medienkunst“ öffnete im Jahr 2000, zu einem Zeitpunkt also, da manche:r Kritiker:in laut darüber nachdachte, ob solche als flüchtig wahrgenommene Kunst noch an einem physisch aufzusuchenden Ort ausgestellt werden darf – und nicht vielmehr ins Netz gehört. Manchmal wird es mit dem international weniger verbreitetem „ß“ geschrieben. International aber ist die Geltung, die es der Stadt als Kunststandort beschert – eine vielleicht etwas spezifische Geltung, aber immerhin. Vielleicht waren das allzu spezielle Sorgen, vielleicht mochte auch einfach niemand einer geschenkten Kunsthalle ins sprichwörtliche Maul schauen?
„Das Haus wurde durch eine Schenkung von Edith Ruß (1919–1993) ermöglicht, die Journalistin, Pädagogin und private Kunstsammlerin war“, so formuliert es das Haus selbst. Demnach wollte die Spenderin ihre Heimatstadt bereichern durch eine Einrichtung, die einen „würdigen Übergang in das Jahr 2000“ symbolisieren sollte, während seine eigene Gestaltung an die Bauhaus-Architektur anknüpfen sollte – an ein Kapitel deutscher Geschichte also, das gern als unschuldig verstanden wird, ehe dann diese Nazis gekommen seien und diese schlimmen zwölf Jahre.
Am 1. Januar 1934 trat das Schriftleitergesetz in Kraft – „das entscheidende Instrument nationalsozialistischer Medienkontrolle“, so die Bundeszentrale für Politische Bildung. Zu diesem Zeitpunkt sei die „Gleichschaltung“ der deutschen Medienlandschaft aber längst im Gange gewesen.
NS-Propagandaminister Joseph Goebbels hatte im April 1933 erklärt, zur Politik des neuen Regimes müsse man sich „mit einem klaren Ja oder einem klaren Nein bekennen“. Und: „Die geistigen Kräfte des deutschen Journalismus, die sich zu einem Ja verpflichten, können der wärmsten ideellen und materiellen Unterstützung der Regierung gewiss sein.“
Das Schriftleitergesetz – „Schriftleiter“ war der systemkonform eingedeutschte „Redakteur“ – regelte unter anderem, wer den Beruf ausüben durfte: Journalist:innen mussten die deutsche Reichsangehörigkeit besitzen (§ 5) und einen „Ariernachweis“ vorlegen (§ 6). Die nun auch vorgeschriebene Mitgliedschaft in der Reichspressekammer (§ 8) wiederum konnte verweigert werden: Wer politisch nicht fügsam war, bekam so keine Arbeit mehr in den noch zugelassenen Medien.
Zur Loyalität gegenüber dem NS-Regime verpflichtete das Gesetz den Berufsstand ganz ausdrücklich: Journalist:innen gingen einer „öffentlichen Aufgabe“ nach (§ 1), die konkret definiert wurde (§ 14): Sie sollten aus der Berichterstattung „fernhalten“, was die „Kraft des deutschen Volkes“ oder den „Gemeinschaftswillen“ schwächte.
„Edith Russ trat am 1. Januar 1941 der NSDAP bei“: So steht es nun prominent in dem Gutachten, das die Oldenburger Historiker:innen Mareike Witkowski und Joachim Tautz soeben im Auftrag der Stadt fertiggestellt haben – nachdem die taz auf die Systemverstrickungen der früheren Lehrerin und Journalistin hingewiesen hatte. Dass die Parteimitgliedschaft eindeutig feststeht, ist bedeutsam, denn Ruß hatte sie stets verneint, auch im Zuge ihres Entnazifizierungsverfahrens.
„Politische Ämter innerhalb der Partei oder anderer NS-Organisationen übte sie nicht aus“, heißt es in dem Gutachten weiter. „Seit 1939 hat sie für unterschiedliche Zeitungen gearbeitet, darunter auch solche, die von der NSDAP herausgegeben wurden.“ In Ruß’ Artikeln „findet sich Gedankengut, das sich als völkisch und nationalistisch einordnen lässt“, schreiben Witkowski und Tautz. „Antisemitische oder rassistische Aussagen tätigt sie in ihren Beiträgen nicht.“
Unter den Bedingungen des NS war rechtmäßig ausgeübter Journalismus immer auch einer, der das System stützte (siehe Kasten). Die journalistische Tätigkeit der Oldenburger Mäzenin, so die Historiker:innen, „lässt sich als ein Beitrag zur Normalisierung und Stabilisierung des NS-Regimes charakterisieren – wenn auch auf einer untergeordneten Ebene“.
Das ist eine ganz andere Aussage, als sie sich in der Biografie Edith Ruß’ findet, die etwa gleichzeitig mit der Eröffnung des Kunsthauses herausgebracht worden war – verfasst von der heutigen Leiterin des Oldenburger Kulturbüros. Über die Nicht-Mitgliedschaft in der Nazipartei hinaus wird Ruß darin attestiert, sie habe sich ihre Unabhängigkeit bewahrt. Nun heißt es, dafür, das sie je Selbstkritik geübt oder ihre Vergangenheit aufgearbeitet habe, fänden sich „in den Quellen keine Hinweise“.
Oldenburgs OB Krogmann teilte mit: „In Gesprächen mit Künstlerinnen und Künstlern sowie Sponsoren und Kooperationspartnern ist eine spürbare Distanz und der Wunsch nach einer Namensänderung für das Ausstellungshaus deutlich geworden.“ Den Ratsgremien wolle er nun den Verzicht auf die Nennung von Edith Ruß im Titel des Hauses vorschlagen.
Stadtsprecher Stephan Onnen betont gegenüber der taz besonders den „Vertrauensbruch“, weil Ruß bis zuletzt an der Lüge festgehalten hatte, kein NSDAP-Mitglied gewesen zu sein. Aber er erwähnt auch die zunehmende Belastung für die Arbeit des Medienkunst-Hauses selbst durch den Mäzeninnen-Namen.
„Uns ist es sehr wichtig, dass die Zeit von Edith Ruß im Nationalsozialismus jetzt wissenschaftlich aufgearbeitet wurde“, sagte Marcel Schwierin, Co-Leiter des Medienkunsthauses, am Donnerstag zur taz. Man begrüße „nachdrücklich“ den Vorstoß des Oberbürgermeisters, „den Namen von Edith Ruß aus dem Namen der Institution herauszunehmen“.
Vorgestellt wurde das Gutachten zunächst am 17. September im Kulturausschuss, dann erhielten es die Fraktionen und Gruppen im Rat. Stiftungsrechtliche Fragen sollen wiederum in der nächsten Sitzung des Kulturausschusses erörtert werden, und irgendwann ist eine öffentliche Veranstaltung zur Vorstellung und Diskussion des Gutachtens geplant.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Abschiebung von Pflegekräften
Grenzenlose Dummheit
Merz stellt Reform in Aussicht
Zarte Bewegung bei der Schuldenbremse
Menschenrechtsverletzungen durch Israel
„So kann man Terror nicht bekämpfen“