Du hast nur ein Leben

Plausch mit der Nachbarin statt Global Pop. Manu Chao bricht nach 17 Jahren überraschend sein Schweigen und kehrt mit dem Album „Viva Tu“ auf die große Bühne zurück

Er war nie weg, nur lange außerhalb Barcelonas nicht zu sehen: Manu Chao Foto: Moises Saman/Magnum Photos

Von Hannah Möller

So ganz weg war er nie, er blieb musikalisch aktiv – nur eben tat er das nicht für alle sichtbar, sondern als Lokalheld. Für viele machte es dennoch den Anschein, als sei Manu Chao gänzlich von der Bildfläche verschwunden. Dabei hat der „Desparecido“, der Vermisste, nicht aufgehört, Musik zu machen. Jetzt endlich, 17 Jahre nach seinem letzten Album „La Radiolina“ aus dem Jahr 2007, erscheint ein neues Werk unter dem Titel „Viva Tu“. In der Zwischenzeit war der rebellische Troubadour, der um die Jahrtausendwende als Stimme des Globalen Südens galt, wie ein ruheloser Nomade um die Welt gereist. Südamerika, Afrika, Europa und immer wieder zurück nach Barcelona, wo der 63-Jährige seine eigene Bar Mariatchi betreibt.

Manu Chao, der Baske, der vor allem auf Spanisch, Französisch, Englisch und Portugiesisch singt, der Weltstar des Mestizo-Stils, des von ihm mitgeprägten Kauderwelschs aus Reggae, Ska, Rock und folkloristischen lateinamerikanischen Elementen, gab keine Konzerte mehr außerhalb von Barcelona. Stattdessen trat er mit befreundeten Mu­si­ke­r*in­nen in Theatern, Zirkuszelten, städtischen Parks und in seiner Taverne auf. Weiterhin bereit, die Stimme zu erheben, für jene, die sich für „Pacha Mama“, die von den Quechua und Aymara als allmächtige Göttin verehrt wird, und für die Gerechtigkeit einsetzen.

Fast ein Jahrzehnt blieb der King of Bongo – der mit der Neuversion „Bongo Bong“ im Jahr 2000 seinen internationalen Durchbruch schaffte – dem Medienrummel fern, er gab keine Interviews mehr.

Jetzt also plötzlich „Viva Tu“, 13 neue Songs. Manu Chaos Gitarre schlägt zu Beginn seines neuen Albums nachdenkliche, fast zarte Töne an. Für einen kurzen Augenblick kommt Sorge auf, dass dem Weltstar im jahrzehntelangen Kampf gegen Ungerechtigkeit seine Leichtigkeit abhanden gekommen sein könnte. Wer genau hinhört, merkt aber schnell, „Viva Tu“ ist nach gewohnter Manu-Chao-Manier choreografiert und stellt seine glaubwürdige und emotionale Reaktion auf das Weltgeschehen dar. Dem Aufmarsch des Rechtspopulismus begegnet Manu Chao mit mehr Melancholie und weniger Rock, das ist mehr als nur eine Geste.

Die Musik oszilliert wie in seinen vorherigen Alben zwischen punkiger Aufrichtigkeit, die benennt, wie verkehrt unsere Welt doch tickt, und karibisch anmutenden Melodien, die fröhlich antreiben.

Schon im Titelsong, „Viva Tu“, zelebriert der Künstler mit seinen typisch minimalistischen Gitarrenriffs die kleinen Gesten der Hel­d:In­nen des Alltags. Er feiert seine Nachbarinnen, deren Lächeln im Vorbeigehen einen kurzen Moment von Zusammenhalt stiftet. Vielleicht ist dies das Geheimnis, dass Manu Chaos Musik dabei überhaupt nicht revolutionär klingt – weder technisch noch in ihrer Botschaft. Aber hier poppt auf, was den Kern dieser Musik ausmacht: Es ist die alltägliche Rebellion gegen die Schwerfälligkeit, eine Feier der schlichten Existenz.

Das gesamte Album stellt eine Hommage an das Banale dar – an die Nachbarn, die man auf dem Weg zur Bäckerei trifft, die Leute von der Straßenreinigung und alle anderen, die das städtische Miteinander überhaupt ermöglichen und lebenswert gestalten. Der Reggae-lastige Track „São Paulo Motoboy“ ist den Motorradkurieren in der brasilianischen Metropole gewidmet, die unter prekären Arbeitsbedingungen tagtäglich wie unsichtbare Superhelden durch den dichten Verkehr sausen. Musikalisch bringt der Song die hektische, chaotische Atmosphäre der Stadt zum Ausdruck: treibende Rhythmen und ein roher Sound spiegeln die Rastlosigkeit, den Stress des urbanen Lebens wider.

Trotz der harten Themen lässt Manu Chao froh wie ein Kind Hoffnung in seinen Liedern aufglimmen

Um dem Banalen seinen Glanz zu verleihen, packt Chao seinen Zaubertrank aus: Er verliebt sich immer wieder neu – ins Leben. Noch einmal müssen wir zum Titeltrack „Viva Tu“ zurückspulen. Darin fordert er seine Mitmenschen auf zu leben. Viva Tu! Lebe! Eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Manu Chaos Gitarre, melancholisch, verträumt, fegt den Albdruck der Existenz weg und lässt die Zuhörenden wieder im altbekannten Klanguniversum des Global-Pop-Meisters ankommen.

Zärtliche Chansons, belebende, fröhliche Rumba und federnder Dub stehen dabei im Kontrast zu seinen teils düsteren Songtextzeilen. Chao lässt es sich nicht nehmen, von einer Geschichte der Verrückten zu erzählen, einer Welt, in der alle blind im Stehen träumen: „C’est une histoire de fous/ Aveuglés de partout/ Qui rêvent debout.“ In „La Couleur du Temps“ warnt der Baske vor einem kollektiven Suizid. Gut getarnt im Mantel des Neoliberalismus soll dieser nicht mit Erfolg oder gar Fortschritt verwechselt werden.

Trotz der harten Themen gelingt ihm der Kniff, mit seiner fast kindlichen Freude glimmende Hoffnung in seinen Liedern durchscheinen zu lassen. Es ist nicht das große politische Statement, das die Fans vielleicht von ihm erwartet haben. Stattdessen ist „Viva Tu“ ein Album der kleinen Mosaiksteine, Facetten der alltäglichen Konflikte. Eine Erinnerung daran, dass es den Mühlstein des Seins jeden Tag aufs Neue ins Rollen zu bringen gilt. In einer Zeit, in der große gesellschaftliche Themen und politischen Krisen die Nachrichten dominieren, lässt sich mit Manu Chaos Musik einen Moment durchatmen.

Manu Chao: „Viva Tu“ (Because Music/Warner)