Hype um Naturwein: Getrübte Freude

Für manche ist Naturwein längst kein neuer Trend mehr, für manche noch völlig unbekannt. Unserem Kolumnisten schmeckt er jedenfalls ausgezeichnet.

Frisch geerntete Weintrauben, von der Sonne beschienen

Frische Trauben: Naturwein bedeutet bei Anbau und Herstellung wird wenig eingegriffen und auf viele Dinge verzichtet Foto: Sebastian Kahnert/dpa

Die Zukunft ist schon da, sie ist bloß nicht gleichmäßig verteilt – dieses so kluge Zitat des Cyberpunkpioniers William Gibson gilt natürlich auch für Foodtrends. Besonders augenfällig finde ich das aktuell bei Naturwein. In einem sehr kleinen Teil Deutschlands, in dem ich zufällig lebe, wäre ich mir sogar beim Start dieser Kolumne vor drei Jahren komisch vorgekommen, Naturwein noch als neuen Trend zu bezeichnen. Gleichzeitig bin ich mir sicher, dass die meisten Deutschen noch nie davon gehört haben und erst recht keinen getrunken. Dafür spricht auch, dass erst vor Kurzem auf Deutschlandfunk Nova und im Lokalteil der SZ grundlegende Naturwein-Erklärbeiträge erschienen sind.

Dabei gibt es Naturwein im Prinzip seit über hundert Jahren. Bei Anbau und Herstellung wird möglichst auf Dinge verzichtet, also: keine Pestizide, keine Zugabe speziell gezüchteter Hefen, die Trauben vergären spontan, und möglichst auch nicht von Sulfiten, welche die Gärung und Oxidation eines Weines bremsen. Gefiltert wird er auch nicht.

Das Ergebnis ist im Glas meist trübe und hat im Mund oft nur entfernte Ähnlichkeit mit klassischem Wein. Es erinnert eher an vergorene Traubensäfte, mitunter kommt es Cider nahe, generell ist Naturwein saurer, weniger glatt. Und die orangefarbenen Sorten – das sind Weißweine, die wie Rotweine hergestellt werden – können komplette Wundertüten sein.

Ein wenig erinnert das Ganze an den Craft-Beer-Trend von vor 10 bis 15 Jahren. Ein etabliertes alkoholisches Getränk wird von den Gleichförmigkeiten und Gefälligkeiten des Massenmarktes befreit, das Geschmacksspektrum erweitert. Die Flaschen werden mit bunten Etiketten versehen und teuer an ein internationales Großstadtpublikum verkauft.

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Ich muss sagen: So sehr ich auch versuche, kritische Distanz zu bewahren, don’t belive the hype und so, ich kann es nicht. Ich finde Naturwein leider geil, fresh, ein wirkliches Upgrade.

In dem kleinen Teil Deutschlands, in dem ich zufällig lebe, im Norden von Berlin-Neukölln nämlich, hat sich rund um den Naturwein inzwischen auch ein veritabler Ausgehtrend entwickelt. Weinbars sind wieder ein Ding, wobei der Übergang vom Laden, der auch ausschenkt, zum Ausschankort, der auch Flaschen verkauft, fließend ist. Bloß leider kostet dort ein 0,15-Liter-Glas in der Regel ab 8 Euro aufwärts, und das ist mir dann doch zu krass.

Stattdessen habe ich neulich für ein paar Euro meinen ersten Essig auf Naturweinbasis gekauft. Auch ungefiltert, auch lecker, auch geschmacklich total überraschend. In diesem Fall habe ich aber schnell festgestellt, dass das wohl am zerstoßenen Sternanis liegt. Er hatte sich im trüben Bodensatz der Flasche versteckt.

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Jahrgang 1980, lebt in Berlin und ist Redakteur der Wochentaz und dort vor allem für die Genussseite zuständig. Schreibt Kolumnen, Rezensionen und Alltagsbeobachtungen im Feld zwischen Popkultur, Trends, Internet, Berlin, Sport, Essen und Tieren.

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