FAQ zu Naturweinen: Das Vollkornbrot unter den Weinen
Naturweine werden immer beliebter. Doch kaum jemand kann genau sagen, was sie ausmacht. Unsere Autorin klärt auf und probiert sich durchs Sortiment.
Früher ging es bei der Weinauswahl um die Frage: Rot oder weiß? Um die Rebsorte, das Land und vielleicht noch den Jahrgang. In den letzten Jahren kam ein neues Kriterium hinzu: Klassisch oder Naturwein? Doch was diesen auszeichnet, das können selbst begeisterte Naturwein-Trinker*innen nur selten erklären. Vielleicht sorgt der Besuch eines Naturweinshops für Klarheit.
1. Seit wann gibt es den Begriff „Naturwein“?
Den Begriff gibt es schon seit Anfang des 20. Jahrhunderts. Sauer geratene Weine wurden damals oft mit Zucker gesüßt. Um sich davon abzugrenzen, gründete sich 1910 der Verband Deutscher Naturweinversteigerer. Sie verkauften ausschließlich Spitzenweine aus Toplagen. Mit der Novellierung des Weingesetzes Anfang der 1970er wurde der Begriff Naturwein durch Prädikatswein ersetzt. Doch der hat mit dem heutigen Naturwein nichts zu tun. Die moderne Naturweinbewegung hat ihre Wurzeln im biodynamischen Weinbau. Im Kern geht es um naturnahes Arbeiten. Natur und Handarbeit statt künstlicher Zusatzstoffe und Technik.
2. Ist Naturwein das Gleiche wie Biowein?
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Der Begriff Naturwein ist nicht geschützt. Laut dem Naturweinverein Naturknall muss der Anbau „ohne synthetische Mittel, biologisch, biodynamisch, mit oder ohne Label“ erfolgen. Manch einem geht diese Definition nicht weit genug. Biodynamische Weine müsse wesentlich strengere Anforderungen erfüllen als jene mit Biosiegel. Einige Winzer verzichten vollständig auf die langwierige Zertifizierung.
Grundsätzlich gilt: Jeder biologisch angebaute Wein ist ein Naturwein, aber nicht jeder Naturwein ist biozertifiziert. Ferdinand Boeselager, Sommelier und Naturwein-Experte, fasst es so zusammen: „Der Winzer macht so wenig wie nötig, die Natur so viel wie möglich.“ Der 36-Jährige arbeitet bei Viniculture, einer der ersten auf Naturwein spezialisierten Fachhandlungen Berlins – und damit auch des Landes.
3. Ist Naturwein ein reines Großstadtphänomen?
Fakt ist: In Berlin schafften es Naturweine als Erstes auf die Karte. Richtig los, sagt Boeselager, ging es mit der RAW – der weltweit führenden Messe für Naturwein, die 2015 erstmals in Berlin stattfand. Dennoch: Begonnen hat es nicht in der Großstadt, sondern weit draußen, in den Weinbergen der Provinz. Mit Winzern wie Peter Bernhard Kühn, die klassische Anbaumethoden hinterfragten und wieder mehr mit der Natur arbeiten wollten.
Als der Rheingauer Winzer vor mehr als 20 Jahren damit anfing, sei er ausgelacht worden, erzählt Boeselagers Kollege Philipp Deutsch. „Heute ist es andersrum: Alle wollen Naturwein machen.“ Unter Weintrinkern aber hat er – abseits der Großstädte – noch immer mit Vorurteilen zu kämpfen: Zu muffig, zu experimentell und trüb wie Apfelsaft aus dem Reformhaus sei der.
4. Ist Naturwein immer funky und trüb?
„Naturwein kann auch klassisch“, sagt Boeselager und schenkt einen Grauburgunder aus biodynamischem Anbau aus. Schaut aus wie ein „normaler“ Wein. Er ist hellgelb und ungetrübt, schmeckt geschmeidig. „Hier zeigt sich, was Naturwein auch kann: Verständlich sein, präzise, klar.“ Dennoch verzichten viele Winzer bewusst auf die Filtration. Nach den Gründen gefragt, schenkt Boeselager ein zweites Glas ein: Selbe Rebsorte, diesmal aber unfiltriert. „Der hat ein ganz anderes Mundgefühl“, schwärmt er, „mehr Viskosität, mehr Aromatik.“ Der Wein riecht deutlich intensiver – nach Sauerteigbrot und Most. Und – im Gegensatz zum Ersten – ist er komplett ungeschwefelt.
5. Welche Rolle spielt Schwefel bei Naturwein?
Der Vermerk „ungeschwefelt“ dient vielen als Orientierung beim Naturweinkauf. Schwefel dient dazu, die Gärung kontrolliert zu stoppen und den Wein zu stabilisieren. Da es bei Naturwein um natürliche Prozesse geht, verzichten viele Winzer auf die Zugabe von Schwefel. Grundsätzlich aber sind geringe Mengen selbst im biodynamischen Weinbau erlaubt. Auch durch die natürliche Vergärung entsteht Schwefel. Da der Stoff ab 11 Milligramm pro Liter deklarierungspflichtig ist, findet sich der Zusatz „enthält Sulfite“ mitunter auch auf Wein, dem keinerlei Schwefel zugesetzt wurde.
6. Was bedeutet „spontanvergoren“?
Noch so ein Wort, das häufig fällt. Für die Vergärung von süßem Saft zu Alkohol braucht es Hefen. Im klassischem Weinbau werden Reinzuchthefen zugesetzt – gezielt gezüchtet, um Geschmack und Vergärung zu kontrollieren. Im Naturweinbau setzt man auf natürliche Hefen, die in der Umgebung vorkommen: „Wir atmen gerade auch Hefen ein“, sagt Boeselager. Wer mit Spontanvergärung, mit der Natur arbeitet, braucht Vertrauen und auch ein wenig Mut. Der Lohn: Weine, die überraschender, kantiger und oft auch etwas wilder seien.
7. Was hat es mit Orangeweinen auf sich?
Kurz gesagt sind es Weißweine, die wie Rotwein gemacht werden. Nach dem Pressen werden die Trauben – gemeinsam mit den farbintensiven Schalen – in der Maische vergoren. Macht man dies mit weißen Trauben, wird der Wein dunkelgelb bis orangefarben. Nicht jeder Orange- ist automatisch ein Naturwein. Entscheidend ist, wie die Trauben angebaut und verarbeitet wurden. Viele Naturweinwinzer aber nutzen Maischevergärung (produzieren also Orangeweine), da sich in der Schale nicht nur Farb- sondern auch viele Mineral- und Aromastoffe befinden.
Dadurch entstehen Weine, bei denen man die Umwelt, das Terroir, erschmecken kann. So wie bei dem bernsteinfarbenen Italiener, den Boeselager eingeschenkt hat. „Da passiert richtig viel. Als hätte man gerade ein Kräuterbeet abgemäht.“ Im Vergleich dazu riecht der erste Wein (biodynamisch, filtriert und geschwefelt) wie ein milder Saft. Ähnlich groß der Unterschied im Geschmack. Der orangefarbene ist würzig und kräftig, fast wie ein alter Rotwein.
8. Kann man Naturwein lagern?
Der Experte antwortet mit einer Gegenfrage: „Was denkst du, welchen Jahrgang wir gerade getrunken haben?“ Auflösung: 2016. Dass man Naturweine nicht lagern könne, sei „absoluter Schwachsinn“. Wenn der Wein jetzt schon voller Geschmack und Komplexität steckt, dann wird das in zehn Jahren noch viel stärker rauskommen, ist er überzeugt.
9. Welche Länder haben die spannendste Naturweinszene?
In Frankreich wie auch in Italien spielt der naturnahe Weinbau seit jeher eine große Rolle. Die interessantesten Weine aber, meint Boeselager, kommen derzeit aus Ländern, „die man gar nicht auf dem Schirm hat“. Griechenland – „leider unterschätzt“. Tschechien – „tolle Sachen, die da entstehen“. Auch Georgien hat den Naturwein (wieder)entdeckt. Das Land gilt als Wiege des Weinbaus. Schon vor rund 8.000 Jahren wurde Traubensaft in Tonamphoren vergoren. Die Methode wird bis heute genutzt und findet nun – im Zuge der Naturweinbewegung – auch international Beachtung.
10. Wie kombiniere ich Naturwein mit Essen?
Weiß zu Fisch, Rot zu Fleisch – die alten Regeln seien „zum Glück überholt“, sagt Boeselager. Das gilt bei Naturwein umso mehr. Ein Orangewein kann es problemlos mit einem deftigen Fleischgericht aufnehmen, ein leicht gekühlter Roter passt wunderbar zu Spargelsalat oder kräftigem Fisch. Gekühlter Rotwein? Auch was die Temperatur betrifft, ist bei Naturwein vieles anders. Fruchtige, leichte Rote könne man mitunter bei 9 bis11 Grad servieren.
11. Wie viel kostet so ein Naturwein?
Ein Winzer, der Naturwein macht, muss viel häufiger in den Weinberg, sagt Boeselager. Die Reben wachsen langsamer, die Erträge sind geringer. Das hat seinen Preis. Wer sich maßgefertigte Stiefel vom Schuster machen lasse, müsse auch mehr Geld hinlegen, sagt Boeselager. Ganz so viel müssen Naturweinliebhaber*innen nicht investieren. Eine gute Flasche sei schon ab 10 Euro zu haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
VW in der Krise
Schlicht nicht wettbewerbsfähig
Grundsatzpapier des FInanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Mögliche Neuwahlen in Deutschland
Nur Trump kann noch helfen
Kritik an Antisemitismus-Resolution
So kann man Antisemitismus nicht bekämpfen
Prognose zu KI und Stromverbrauch
Der Energiefresser
Anschläge auf „Programm-Schänke“
Unter Druck