Ärger mit dem Sozialticket: Armutsnachweise, bitte!

Eine App sollte das Fahren mit Sozialticket erleichtern. Doch nun scheitert sie am Datenschutz. Eine Lösung ist nicht in Sicht.

Die Alternative zur App ist die Rückkehr zum alten Berlin Pass Foto: Britta Pedersen/picture alliance

BERLIN taz | Fast ein Jahr lang schon macht es Ärger – und eine Lösung für das Sozialticket ist weiter nicht in Sicht. Einig ist man sich in der Koalition offenbar nur darüber, dass es mit der geplanten App nichts wird. Sie sollte es den Beziehern von Sozialleistungen einfach machen, mit dem vergünstigten 9-Euro-Monatsticket zu fahren. „Aber das ist datenschutzrechtlich unmöglich, sagen Bundes- und Landesdatenschutzbeauftragte unisono“, erklärt der SPD-Sozialpolitiker Lars Düsterhöft.

Die aktuelle Übergangslösung könnte dauerhaft bleiben: Sozialticket-Nutzer müssen bei BVG-Kontrollen zusätzlich einen Leistungsbescheid ihrer Behörde vorzeigen. Die einzige Alternative wäre die Rückkehr zum alten Berlin Pass. Das will aber laut Düsterhöft der Koalitionspartner CDU nicht. In gewisser Hinsicht sei dies auch verständlich: „Schon so ist das Ziel, dass jeder binnen 14 Tagen einen Termin beim Bürgeramt bekommt, nicht einzuhalten.“

Die Diskussion im Senat sei noch nicht abgeschlossen, so ein Sprecher der Sozialverwaltung zur taz. Die App ist vermutlich datenschutzrechtlich nicht umsetzbar und der Berlin Pass noch nicht vollständig ausgeschlossen, da auch andere Ämter für die Ausstellung in Betracht kämen.

Der Berlin Pass wurde Anfang 2023 eingestellt, um die Bürgerämter zu entlasten und die Verwaltung zu digitalisieren. Stattdessen sollten So­zial­leistungsempfänger automatisch einen Berechtigungsnachweis erhalten, um eine VBB Kundenkarte S zu beantragen. Das Sozialticket ist nur mit dieser Karte gültig, um Betrug vorzubeugen.

Die App ist vermutlich datenschutzrechtlich nicht umsetzbar

Viele Ämter kamen allerdings mit dem Verschicken dieses Berechtigungsnachweises nicht hinterher, Betroffene warteten teils Monate darauf. Andere scheiterten an der zunächst nur digital möglichen Beantragung der Kundenkarte S bei der BVG. So kam es, dass viele Menschen notgedrungen schwarzfuhren.

Das wurde auch nicht besser, als im Oktober 2023 die bis heute geltende Übergangslösung eingeführt wurde, wonach ein Nachweis, dass man Leistungen von einer Sozialbehörde erhält, ausreicht. Insgesamt bekamen bis Jahresende mindestens 10.000 Menschen bei Kontrollen ein „erhöhtes Beförderungsentgelt“ (EBE) von 60 Euro aufgebrummt.

Ende Februar dieses Jahres einigten sich dann BVG und Senat auf die App, die bis Jahresende entwickelt werden sollte. Auch für Menschen, die nicht digital unterwegs sind, werde man eine Lösung finden, verkündeten BVG-Chef Henrik Falk und Sozialstaatssekretär Aziz Bozkurt (SPD) im Sozialausschuss. Das alles ist nun obsolet.

4.890 Strafen im Zusammenhang mit dem Sozialticket dieses Jahr

Wie sich zeigt, hat es wohl auch keine richtige Lösung für die vielen Menschen gegeben, die unverschuldet EBEs kassiert haben. Im Winter hatten Politiker und Initiativen gefordert, dass den Betroffenen die 60 Euro rückwirkend erlassen werden. Nun erfuhr die taz von der im Schillerkiez angesiedelten „Bewegung 9 Euro Ticket“, dass eine Person zwei Rechtstitel bekommen habe – sie hatte drei EBE bekommen, weil ihr der Nachweis zum Sozialticket fehlte, diese dann aber nicht bezahlt. „Schlimmstenfalls droht eine Ersatzfreiheitsstrafe“, so die Initiative.

Wie viele weitere Menschen das betrifft, ist unklar. Die BVG erklärte, vom 1. März bis zum 15. August dieses Jahres seien 4.890 erhöhte Beförderungsentgelte im Zusammenhang mit einem Sozialticket ausgestellt worden. Die Sozialticket-Fälle würden kulant geprüft und, wo möglich, entsprechend gehandelt.

Aber was heißt das? Aus der Sozialverwaltung erfuhr die taz, man habe sich seinerzeit mit der BVG geeinigt, dass Menschen, die nachweislich die 60 Euro nicht zahlen könnten, nur eine „Verwaltungsgebühr“ von 7 Euro zahlen müssten – aber dies sei nicht nach außen kommuniziert worden, damit nicht „tausende ankommen“. Bei der BVG heißt es, bereits eingeleitete EBE-Verfahren „pauschal und ungeprüft einzustellen“, sei tarifrechtlich nicht möglich.

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