Niedrige Wahlbeteiligung: Steiniger Weg zur Demokratie

Der Krieg in Gaza überschattet die Parlamentswahl in Jordanien. Die Islamistische Opposition wird stärkste Kraft im Land.

Zwei Frauen schauen in die Kamera und zeigen ihren Finger, der mit Tinte markiert

Die Wahlbeteiligung in Marokko war niedrig, aber diese beiden Frauen aus Balqua haben mitgemacht Foto: Mohammad Abu Ghosh/imago

Amman taz | Langsam tröpfeln die Wahlwilligen ins Wahllokal im jordanischen Amman. Familien und kleine Gruppen, verschleierte Frauen und Männer in weißem Gewand oder roter Kufija betreten am vergangenen Dienstag die Schule, um ihre Stimme abzugeben. Vor der Schule stehen mehr Polizisten als Wahlhelfer*innen. Die Schule in dem einfacheren, teils palästinensisch geprägten Bezirk ist kein Einzelfall: „Durchwachsen“ sei der Zulauf auch in einem Wahllokal im wohlhabenden Shmeisani in Westamman gewesen, erzählt ein junger Helfer.

Um sieben Uhr morgens haben die Wahllokale für die 20. Parlamentswahl eröffnet. Bis 19 Uhr haben Jor­da­nie­r*in­nen Zeit, um ihre Stimme abzugeben. Es ist eine geschichtsträchtige Wahl: Vor zwei Jahren haben die Behörden einen Reformgang eingeleitet, der das Land zu mehr Demokratie und Volksbeteiligung führen soll.

Es ist ein laufender Prozess, denn noch lässt sich die Mehrheit der Bevölkerung offenbar nicht so richtig dafür begeistern. Die Wahlbeteiligung liegt bei gut 32 Prozent. Damit ist sie etwa 2 Prozentpunkte höher als bei der Wahl im Pandemiejahr 2020, an der so wenig Wäh­le­r*in­nen teilnahmen wie noch nie in den vergangenen 35 Jahren.

Aus dem Urnengang wird zudem klar: Die konservativ-religiöse Partei Islamische Aktionsfront (IAF), der politische Arm der Muslimbrüder, fährt einen historischen Sieg ein. Über 28 Prozent der Wäh­le­r*in­nen haben laut aktuellen Ergebnissen für die nationale Liste der IAF gestimmt. Insgesamt soll die Partei etwa ein Fünftel der Parlamentssitze erhalten, 31 von 138 Plätze, gut dreimal so viele wie bei der vorherigen Legislatur.

Fehlende Repräsentation

Für die geringe Wahlbeteiligung kann es mehrere Gründe geben. Desillusion und Desinteresse. Manche wollen der Führungselite einen Denkzettel verpassen. „Ich fühle mich nicht motiviert, wählen zu gehen. Ich bin nicht daran interessiert“, sagt etwa ein 34 Jahre alter Mann. Andere vertrauen Parteien und Po­li­ti­ke­r*in­nen nicht, sehen keine Veränderungen oder finden keine Programme, die ihnen zusagen.

Hinzu kommt: Das Parlament galt als von Stammesmitgliedern und Loyalisten geprägt, seine Rolle war bislang bescheiden. Der Premierminister wird vom König ernannt, der im politischen Leben eine erhebliche Rolle spielt.

Die niedrige Stimmbeteiligung der vorherigen Wahl liege an der Unzufriedenheit mit den Kan­di­da­t*in­nen und dem Wahlverfahren, meint die jordanische Politik-Analystin Ka­tri­na Sammour. Die negative wirtschaftliche Lage, die sich mit der Coronapandemie und jetzt dem Krieg im Nachbarland verfestigt hat, trage ebenso dazu bei. „Und das Vertrauen in Regierung und Institutionen, vor allem in das Parlament, hat in den letzten Jahren stark abgenommen.“

Ein Lichtblick: Über 43 Prozent der Wäh­le­r*in­nen waren unter 35 Jahren und fast die Hälfte weiblich. „Was ich mit dieser Stimmabgabe erreichen will? Dass meine Stimme als junge Frau gehört wird“, sagt etwa eine 32-jährige Hausfrau, die ihren zwei Töchtern an der Hand aus dem Wahllokal in Jabal Amman spaziert.

Opposition stellt sich gegen Israel

Dass für viele der Krieg in Gaza eine Rolle gespielt hat, gilt als höchstwahrscheinlich. Gut die Hälfte der Jor­da­nie­r*in­nen hat palästinensische Wurzeln. Zudem hat der Krieg Sektoren wie dem Tourismus stark zugesetzt. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 21 Prozent. Bereits vor der Wahl prophezeiten Ex­per­t*in­nen einen klaren Sieg der Islamischen Aktionsfront.

Diese hat seit Beginn des Konflikts zahlreiche Demonstrationen organisiert und sich gegen die Abkommen mit Israel, Friedensvertrag inklusive, und für einen palästinensischen Staat „vom Fluss bis zum Meer“ ausgesprochen. Außerdem galt sie schon zuvor als mitgliedsstarke Kraft.

„Protestwähler haben am meisten gewonnen“, urteilt Sammour. „Sie haben Parteien gewählt, die den Status quo kritisieren.“ Zum guten Wahlergebnis der konservativ-religiösen IAF sagt Sammour: „Die Zahl der Sitze gibt ihnen mehr Spielraum, um ihre Agenda umzusetzen oder parlamentarische Verfahren zu blockieren.“ Noch sei unklar, wie die Po­li­ti­ke­r*in­nen der IAF diese Macht in Zukunft verwenden werden. Ihre Wahlkampagne sei eher auf Werte fokussiert gewesen als auf konkrete politische Maßnahmen.

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