: Gut zurückgekommen
Beim Auftritt des DFB-Teams in Amsterdam gibt es mitunter wilden Offensivfußball und zwei Tore auf beiden Seiten zu bestaunen
Aus Amsterdam Frank Hellmann
Es war ein beschwingter Vortrag von beiden Teams in der Johan-Cruyff-Arena in Amsterdam. Und allseits herrschte große Zufriedenheit nach dem ausgeglichenen Nations-League-Duell (2:2) zwischen den Niederlanden und Deutschland. Viele „Oranje“-Fans feierten in dem Partyareal im Stadtbezirk Zuidoost einfach weiter, denn schließlich war in dem Spaßtempel eine Neufassung von „Voetball total“ aufgeführt worden: mitunter wilder Offensivfußball wie früher in den 70er Jahren, als der Absicherung hinten nicht sonderlich viel Wert zugeschrieben wurde. Die Nationaltrainer wollten daher gar nicht so viel meckern. „Ein großes Kompliment an Deutschland und Holland für dieses Spiel“, bilanzierte erst Bondscoach Ronald Koeman, ehe Bundestrainer Julian Nagelsmann resümierte: „Es war sehr unterhaltsam. Beide Teams haben gezeigt, dass es um etwas geht.“
Der 37-Jährige hatte sein Ensemble in einem intensiven Spiel mit ganz unterschiedlichen Phasen sogar als Punktsieger gesehen – wegen des einfallsreicheren Offensivspiels. Doch das Resultat ging nach Toren von Tijjani Reijnders (2.) und Denzel Dumfries (51.) für die Holländer und Deniz Undav (38.) und Joshua Kimmich (45.+3) für die Deutschen vollkommen in Ordnung. Fuchsteufelswild reagierte Nagelsmann, als der italienische Schiedsrichter Davide Massa den verheißungsvollen letzten Angriff in der Nachspielzeit abpfiff. Aber irgendwann überwog auch bei ihm die Erkenntnis: „Wir sind auf einem sehr guten Weg.“
DFB-Präsident Bernd Neuendorf war von den Comebackqualitäten überaus angetan – früher wäre die Nationalelf doch gewiss nicht so gut zurückgekommen, meinte der Verbandschef. Der unerschütterliche Glaube an eigene Stärken ist Ausdruck einer neuen Haltung. Nagelsmann zeigt, dass von der Heim-EM zumindest bei der Nationalmannschaft ein nachhaltiges Vermächtnis bleibt, denn das Fundament für bessere Zeiten ist gelegt. Vor den nächsten Nations-League-Partien gegen Bosnien und Herzegowina in Zenica (11. Oktober) und dann erneut gegen die Niederlande in München (14. Oktober) liegt die DFB-Auswahl auf Viertelfinalkurs – und wäre 2025 für die WM-Qualifikation gesetzt. Es zeugt vom neuen Selbstbewusstsein, dass bereits häufig über die Endrunde 2026 in den USA, Kanada und Mexiko gesprochen wird, obwohl das Ticket zu diesem Mammutevent noch gar nicht gelöst ist. Vielleicht, weil der vierfache Weltmeister wieder auf dem Weg zurück in die Weltspitze ist.
Sport-Geschäftsführer Andreas Rettig lauschte zu später Stunde genüsslich den Worten von Julian Nagelsamnn. „Es waren sehr gute Tage als gesamte Gruppe. Es ist eine angenehme Mannschaft, die sehr viel Leidenschaft versprüht.“ Nagelsmann weiß mit seinen Erfahrungen als Vereinstrainer nur zu gut: „Im Fußball wird viel zwischen den Ohren entschieden.“
Individuelle Aussetzer wie von Jonathan Tah, zur Pause wegen Rot-Gefahr ausgewechselt, und Nico Schlotterbeck vor dem zweiten Gegentor gegen den nie in den Griff zu bekommenden Mittelstürmer Brian Brobbey machte das Kollektiv durch eine Kraftanstrengung wett. Mentalität und Qualität stimmen wieder, was es zum allerhöchsten Level jetzt noch braucht, sind Stabilität und Konstanz.
„Wir haben schon viel Weltklasse auf dem Feld“, sagte Nagelsmann, auch wenn insbesondere Jamal Musiala mal keinen ganz so guten Tag erwischt hatte und mit einem überflüssigen Ballverlust auch das 2:2 mitverschuldete. „Am Ende geht es über die Konstanz der Ergebnisse. Da fehlt uns noch ein bisschen“, führte der Bundestrainer aus, der den Entwicklungsprozess angeblich nicht alleine gestalten kann. „Wir können hier ein gutes Klima schaffen und ein paar Dinge vermitteln – am Ende sind wir auf die Klubs angewiesen.“
Der gebürtige Bayer sollte allerdings seinen Gestaltungsspielraum mit zwei weiteren Abstellfenstern im Herbst nicht kleinreden. Verbesserungsbedarf gebe es immer, dozierte Nagelsmann, „sonst hätten wir gegen Spanien nicht verloren“. Dass der Bundestrainer mit unnötigen Umstellungen in Stuttgart am 5. Juli auch nicht seinen besten Tag erwischte, sollte nicht unerwähnt bleiben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen