Kulturzentrum in Osnabrück: Autonome besetzen kurzzeitig
Das Osnabrücker Soziokultur-Zentrum „Substanz“ steht nun ohne Mietvertrag und ohne Treffpunkt da. AktivistInnen besetzten das alte Gebäude.
Das Substanz war mit seiner „antifaschistischen, (queer-)feministischen, antirassistischen und antikapitalistischen Arbeit hin zu einem guten Leben für alle“, wie es sich selbst beschreibt, eine feste Größe der Subkultur- und Polit-Szene der Stadt. Es gab eine Theke und kleine Bühne, Vorträge und Workshops. Gruppen trafen sich, um etwa Demos vorzubereiten. Es gab die Punk-Kneipe, das vegane Mitbringtreffen, das Antifa-Café.
Über Osnabrücks Grenzen hinaus bekannt wurde das Substanz 2023. Claudia Roth (Grüne), damals Beauftragte der Bundesregierung für Kultur, gab in Hannover die Preisträger des Applaus-Awards bekannt und das Substanz konnte sich über zwei Auszeichnungen freuen: in der Hauptkategorie „Beste kleine Spielstätten und Konzertreihen“ und über den Sonderpreis „Awareness“. Doch schon damals zeichnet sich das Ende ab, die Kündigung liegt bereits auf dem Tisch.
Ein Jahr später greift die Kündigung dann tatsächlich, das Zentrum zieht in ein Übergangsquartier. „Es ist ironisch wie auch vorhersehbar“, kommentiert das Substanz auf seiner Website, „dass die kapitalistische Verwertung des Hauses durch die Vermieter dazu führt, dass wir diesen Ort verlassen mussten“. Sie solidarisieren sich mit den BesetzerInnen. Die hängen Banner mit Schriftzügen wie „Das ist unser Haus“ an die Fassade.
Eskalation vermieden
Die Aktion an der Frankenstraße ist dann allerdings schnell vorbei: Am Sonntag um 18 Uhr räumen die AktivistInnen das Gebäude bereits wieder. „Wir wollten jede Eskalation vermeiden“, sagt eine Sprecherin der Aktion der taz.
Am Samstag hatte es Gespräche zwischen Eigentümern, Stadt Osnabrück, Polizei und BesetzerInnen gegeben. Die Eigentümer duldeten schließlichdie Aktion und stimmten einer Öffnung des Hauses für alle bis Sonntagabend zu.
„Eine Stadtgesellschaft braucht gerade in Zeiten des Rechtsrucks antifaschistische Freiräume“, schreiben die BesetzerInnen in einer Erklärung. „Doch die Stadt Osnabrück zeigt keinerlei Interesse, solche Räume zu schützen.“
Wie nötig solche Schutzräume sind, zeigen aus Substanz-Sicht einige übermalte Graffiti-Schriftzüge im Gebäude in der Frankenstraße. Da werde die „antifeministische Haltung der Menschen deutlich, die das ehemalige Substanz nun kommerziell nutzen wollen “, teilte das Zentrum mit. Beispielsweise wurde aus dem Schriftzug „However I dress, wherever I go, yes means yes und no means no“ ein „no means yes“.
Keine strafrechtlichen Folgen
Die Besetzung verlief bei allem Konfliktpotenzial aber entspannt. „Zwischenfälle gab es nicht“, sagt Kim Junker-Mogalle, Sprecherin der Polizeiinspektion Osnabrück, der taz. „Die Besetzenden haben das Gebäude friedlich verlassen. Das ist alles sehr gut verlaufen.“
Auch strafrechtlich hat die Aktion keine Folgen: „Die Eigentümer haben davon abgesehen, Strafantrag wegen Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung zu stellen“, so die Sprecherin.
Trotz der Kürze der Aktion haben die AktivistInnen und BesucherInnen es geschafft, die Themen wie Kommerzialisierung und Gentrifizierung vor Ort ins Bewusstsein zu rücken. Die Forderung der AktivistInnen, das Haus „an die langjährigen Nutzenden“ zu übergeben, verhallte aber.
„Ich kann den politischen Protest und die Besetzung gut verstehen“, sagt Volker Bajus, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Osnabrücker Stadtrat, der taz. „Die Menschen im Substanz haben jahrelang dazu beigetragen, dass das Quartier beliebter geworden ist. Und dann wird ihnen gekündigt. Das ist bitter.“
Die Ratsmehrheit von Grünen, SPD und Volt unterstütze das Substanz als „wichtigen Treffpunkt“, sagt Bajus. „Leider hat zurzeit auch die Stadt keinen Zugriff auf eine passende Immobilie. Aber die Suche geht ja weiter.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Die Brennelementefabrik und Rosatom
Soll Lingen Außenstelle von Moskaus Atomindustrie werden?