Von der Matte in den Wahlkampf: Ringerin geht in die Politik
Indiens Ringerin Vinesh Phogat wagt den Schritt in die Politik: Nach ihrer Olympia-Teilnahme kandidiert sie jetzt bei den Landtagswahlen.
Lange wurde gerätselt, nun steht fest: Die indische Ringerin Vinesh Phogat kandidiert bei den bevorstehenden Landtagswahlen in ihrem Heimatstaat Haryana. Ihre Nominierung wird von der Kongresspartei im Wahlkreis Julana unterstützt, der sie kürzlich beitrat. „So wie ich mich jeder Herausforderung in der Arena gestellt habe, werde ich auch diesen Kampf meistern“, sagte die 30-Jährige bei einer Kundgebung, bei der sie mit Blumengirlanden beglückwünscht wurde. Mit der Liebe, die sie erfahre, werde sie gewinnen, erklärte sie. Mit ihr trat auch ihr Ringerkollege Bajrang Punia der Partei bei. Doch es ist kein geschenkter Sieg. In Julana gewann die Kongresspartei zuletzt 2005. Ihr Rivale ist der amtierende Abgeordnete Amarjeet Dhanda von der lokalen Partei JJP.
Vinesh Phogat ist zwar bekannt, aber in der Politik ist sie neu. Haryana hat zudem den Ruf, ein patriarchalisch geprägter Bundesstaat zu sein, mit einem der am stärksten abweichenden Geschlechtergefälle Indiens. Jährlich werden dort deutlich mehr Jungen als Mädchen geboren. Andererseits gilt Haryana als Hochburg des indischen Sports. Vor allem Ringen hat einen hohen Stellenwert, und viele Familien fördern sportliche Ambitionen ihrer Kinder. Auch Phogat stammt aus einer namhaftesten Ringerfamilie und schaffte es bisher drei Mal zu Olympia.
Bei den Spielen in Paris in diesem Sommer erreichte sie das Finale. Sie wurde aber disqualifiziert. Die Freistilringerin brachte 100 Gramm zu viel auf die Wage, um in der Gewichtsklasse bis 50 Kilogramm um Gold anzutreten. Ein bitterer Rückschlag, der sich erst nach mehreren Kämpfen als problematisch herausstellte. Eine Silbermedaille war ihr bereits sicher, doch wegen des Übergewichts verschwand ihr Name aus den olympischen Ergebnislisten.
Solidarität erfuhr sie in dieser schwierigen Zeit kaum von der indischen Regierung. Dennoch ließ sie sich nicht entmutigen und schlägt nun ein neues Kapitel in ihrer Karriere auf. Die Spekulationen wurden verstärkt, nachdem es zu einem Treffen mit dem Oppositionsführer Rahul Gandhi (Kongresspartei) kam. Abseits von Wettkämpfen machte sie sich im vergangenen Jahr einen Namen, als sie Proteste gegen den hochrangigen Sportfunktionär Brij Bhushan Sharan Singh mit anführte, ein Mitglied der indischen Regierungspartei BJP. Unter dem damaligen Chef des nationalen Ringerverbandes sollen Gelder für junge Talente zurückgehalten worden sein, auch kam es mutmaßlich zu Missbrauch und sexualisierter Gewalt. Phogat gehörte zu den lauten Stimmen, die seine Absetzung forderten. Mit Sit-ins machten Top-Ringer:innen auf die Missstände aufmerksam und sagten damit dem politischen Establishment in Delhi den Kampf an.
Nach ihrer Nominierung ließ der abgesetzte Verbandschef Singh erneut Kritik an Phogat und Punia laut werden. Die beiden würden von der Kongresspartei instrumentalisiert, um ihm und der BJP zu schaden, behauptete er. Auch von ihrer Cousine, der ehemaligen Ringerin Babita Phogat kann Vinesh keine Unterstützung erwarten – sie ist Mitglied in der BJP.
Phogat ist nicht die erste indische Olympiateilnehmerin, die es in der Politik versucht. Das wohl prominentestes Beispiel ist Boxerin Mary Kom, die bis 2022 im Oberhaus des Parlaments saß. Der Kongresspartei werden in Haryana politisch gute Chancen eingeräumt, aber die älteste Partei Indiens kann auch von einer Persönlichkeit wie Vinesh Phogat profitieren. Ob sie einen der 90 Sitze ergattern kann, wird sich zeigen. Gewählt wird am 5. Oktober.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Klimaziele der EU in weiter Ferne
Neue Klimaklage gegen Bundesregierung
BSW in Thüringen
Position zu Krieg und Frieden schärfen