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Das Leben danach

Gotteshäuser werden immer seltener im traditionellen Sinne genutzt. Viele Gemeinden in Deutschland geben sie auf. Das Interesse, die Kirchengebäude dann um- oder querzunutzen, ist groß. Dabei geht es auch um Würde

Die 1969 in Aachen erbaute Erlöserkirche wird seit 2016 als überkonfessionelle Begräbnisstätte genutzt Foto: www.columbarium-aachen.de

Von Cordula Rode

Den Möglichkeiten sind so gut wie keine Grenzen gesetzt. In Mönchengladbach etwa ist die Pfarrkirche St. Peter zur „Kletterkirche“ umgewidmet worden, aus der Kirche St. Sebastian in Münster wurde eine Kita, und die Gerhard-Uhlhorn-Kirche in Hannover ist nun ein Studentenwohnheim. Bei solchen Umnutzungen oft alter und ortsprägender Gebäude hat nicht selten der Denkmalschutz ein Wort mitzureden: Dann liegt der Fokus auf dem räumlichen Erhalt des Kirchengebäudes, egal was daraus wird, auch bis hin zur Moschee oder Synagoge. Kirchlichen Organisatoren und Gemeindemitgliedern geht es um mehr: die Würde des Gebäudes, das sie einerseits abgeben, das andererseits ein neues Leben danach antritt.

Die Auseinandersetzung um diesen Wandel steht immer häufiger an. Seit 1990 sind Schätzungen zufolge bereits 1.200 Kirchen aufgegeben und entweiht worden, 278 davon abgerissen, wie aus einem gemeinsamen Positionspapier der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und des katholischen Verbands der Diözesen Deutschlands (VDD) hervorgeht. Die Gründe hierfür: kontinuierlicher Rückgang der kirchlichen Mitgliederzahlen aufgrund fortschreitender Säkularisierung der Gesellschaft, wachsende Unzufriedenheit an den vermittelten Werten und ein genereller Zweifel an der Institution Kirche. So werden immer mehr Kirchengebäude hinsichtlich der traditionellen Nutzung überflüssig und sind für die Gemeinden finanziell nicht mehr tragbar.

Ein Abriss kommt nur selten in Frage – er zerstört nicht nur kulturelle Ressourcen, sondern auch unersetzliche Zeugen der christlichen Geschichte. „Kirchen schaffen durch ihre äußere und innere Architektur die Gegenwelten zu unseren Alltagsräumen und zu unserem Alltagserleben“, so die Stiftung zur Bewahrung kirchlicher Baudenkmäler in Deutschland. Sie seien keine toten Steine oder starre Denkmäler, sondern lebendige Räume der Gemeinschaft, die über Generationen hinweg Verbindungen schaffen. Viele der älteren Gebäude stehen unter Denkmalschutz. Doch auch die Gotteshäuser der Nachkriegszeit sind nicht nur aus ideellen Gründen schützenswert. Das Projekt „Baukultur Nordrhein-Westfalen und Partner“, das sich dem Erhalt von Kirchengebäuden widmet, weist darauf hin, dass auch viele Nachkriegsbauten hohe architektonische Qualitäten aufweisen. Wie also kann die Umnutzung eines Kirchengebäudes aussehen?

Es gibt unter den vielen Wegen der Umnutzung auch weniger radikale wie die oben genannten. Einige ermöglichen auch weiterhin eine Nutzung der Kirchengebäude für Gottesdienste. Die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland rief 2014 in Thüringen gemeinsam mit der Initiative „Aufgabe – Abgabe – Wandel“ ein Projekt ins Leben, dessen Ziel die „Quernutzung“ ist, die die Gleichzeitigkeit von Liturgie und gemeinschaftlichen Bedürfnissen anstrebt. Aus einem offenen Ideenaufruf gingen sieben Modellprojekte mit ganz unterschiedlichen Hintergründen hervor, die seitdem begleitet werden. Das Spektrum reicht von der Bienen-Garten-Kirche in Roldisleben über das soziokulturelle Zentrum in der Martinskirche in Apolda bis hin zu Her(r)bergskirchen, die Gästen Unterkünfte bieten.

Die DFG-Forschungsgruppe „Sakralraumtransformation – Funktion und Nutzung religiö­ser Orte in Deutschland“, widmet sich den sich gegenwärtig beschleunigenden Transformationsprozessen rund um kirchliche Gebäude. Federführend ist die Universität Leipzig, beteiligt sind die Universitäten Köln, Leipzig, Regensburg und Wuppertal. Sie beschäftigt sich mit den Rahmenbedingungen und Hintergründen der Kirchenumnutzung. Ein großes Problem sei, wie die Kunsthistorikerin Manuela Klauser in einem Interview erläuterte, dass die Gemeinden oftmals damit überfordert seien, neue Konzepte zu finden. Sinnvoll sei ein Masterplan nach belgischem Vorbild, wo Kommunen und Kirchen gemeinsam nach neuen Verwendungen für nicht mehr benötigte kirchliche Immobilien suchen.

In Belgien hilft ein Masterplan, neue Konzepte für alte Kirchenbauten zu entwickeln

Einen ganz besonderen Weg hat die katholische Pfarrgemeinde St. Donatus in Aachen-Brand gewählt. Die 1969 erbaute Erlöserkirche, die neben der bereits bestehenden Pfarrkirche „Brander Dom“ aufgrund der damals stetig wachsenden Zahl an Gemeindemitgliedern benötigt wurde, erlebte dasselbe Schicksal wie viele andere Kirchen und wurde Anfang der 2000er Jahre aufgrund der inzwischen stark geschrumpften Gemeinde überflüssig. Da klar war, dass die Gemeinde die Kosten für den Erhalt nicht würde tragen können, beschlossen Gemeinderat und Kirchenvorstand, eine neue und würdevolle Möglichkeit der Nutzung zu finden. Die Überlegungen waren erfolgreich – 2015 begannen die Umbauarbeiten zu einem Columbarium, einer Urnenbegräbnisstätte, die 2016 eingesegnet wurde.

Das ursprünglich eher sachlich gehaltene Ambiente des Nachkriegsgebäudes mit Backstein und Beton wurde durch die Farbgebung in Gold und Schwarz aufgewertet. Obwohl das Gebäude weiterhin der katholischen Gemeinde gehört, sind hier überkonfessionelle Begräbnisse möglich. „Inzwischen trägt sich das Columbarium finanziell ganz allein“, erzählt Leiterin Jutta Borkens, die im Team mit einer weiteren Verwaltungskraft und der Trauerseelsorgerin Nicola Terstappen arbeitet. Sie war von Anfang an dabei und hat die damalige Reaktion der Gemeindemitglieder auf die Umnutzung erlebt: „Am Anfang herrschte große Trauer um den Verlust der Kirche.“ Viele ältere Menschen mussten nun den weiteren Weg zur Pfarrkirche bewältigen. Doch auch die jüngeren Gemeindemitglieder litten darunter, dass ihnen der Ort ihrer Taufe, ihrer Kommunion, ihrer Heirat genommen wurde. Im Laufe der Jahre aber wandelte sich diese Stimmung auf erstaunliche Weise, so Jutta Borkens: „Es entstand bei vielen das Gefühl, dass sich durch die Nutzung der Kirche als Begräbnisort der christliche Lebenskreis schließen kann – sie haben nun die Möglichkeit, an dem Ort, mit dem sie so viele Gefühle verbinden, auch die letzte Ruhe finden zu können.“