Angriff in Solingen: Mutmaßlicher Attentäter verhaftet

Nach der Festnahme eines Tatverdächtigen übernimmt die Bundesanwaltschaft den Fall. Der IS reklamierte die Messerattacke in Solingen für sich.

Nach der Messerattacke: Trauer in Solingen Foto: Thomas Banneyer/dpa

BERLIN taz | Einen ganzen Tag lang dauerte die Suche, dann konnte die Polizei den mutmaßlichen Messerangreifer von Solingen festnehmen: ein 26-jähriger Syrer, Issa al-H. Laut Ermittlungsbehörden stellte er sich selbst einer Polizeistreife und gestand die Tat. Kurz zuvor hatte die Polizei eine Geflüchtetenunterkunft in der Stadt durchsucht. Fast zeitgleich hatte die islamistische Terrorgruppe „Islamischer Staat“ die Messertat für sich reklamiert.

Inzwischen hat die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen zu dem Angriff übernommen, wie eine Sprecherin am Sonntag der taz bestätigte. Geprüft werde, ob der Verdächtige Mitglied des „Islamischen Staats“ war oder anderweitig mit der Gruppe in Kontakt stand. Issa al-H. werden zudem dreifacher Mord und mehrfacher Mordversuch vorgeworfen.

Am Freitagabend hatte ein zunächst Unbekannter in Solingen beim 650-jährigen Stadtjubiläum, das mit einem „Fest für Vielfalt“ begangen wurde, mit einem Messer auf mehrere Menschen eingestochen. Ein 67- und ein 56-Jähriger starben dabei sowie eine 56-jährige Frau. Sechs weitere Menschen wurden zum Teil lebensgefährlich verletzt. Wer der flüchtige Täter war und aus welchem Motiv er handelte, blieb zunächst unklar – bis Samstagnacht.

NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) erklärte noch in der Nacht in der ARD, man habe nach dem Verdächtigen den ganzen Tag gesucht, zu ihm habe es „eine heiße Spur“ gegeben. Er sei der „wirklich Verdächtige“, Beweisstücke seien gefunden worden. Der Festgenommene stamme auch aus der Geflüchtetenunterkunft, so Reul.

Festgenommener fiel bisher nicht extremistisch auf

Laut Medienberichten soll Issa al-H. bei der Festnahme noch blutverschmierte Kleidung getragen haben. Nach taz-Informationen fiel er bisher nicht extremistisch auf. Der 26-jährige war Ende 2022 nach Deutschland gekommen und hatte als Syrer zunächst einen subsidiären Schutzstatus erhalten. Im vergangenen Jahr sollte er allerdings nach Bulgarien abgeschoben werden, wo er zuerst in der EU eingereist sein soll. Am Abschiebetermin konnte er aber nicht angetroffen werden. Zuerst hatte die Welt darüber berichtet.

Reus erklärte, dass das Bekennerschreiben des IS nun geprüft werde. Noch sei unklar, ob es authentisch sei, es spreche aber einiges dafür. Nach taz-Informationen hatten Sicherheitsbehörden zunächst noch keine Erkenntnisse, ob und wie Issa al-H. in direktem Kontakt zum IS stand. Die Terrorgruppe hatte über ihren Medienkanal erklärt, dass der Täter des Angriffs „auf eine Gruppe von Christen“ in Solingen „ein Soldat des Islamischen Staates“ sei. Er habe die Tat „als Rache für die Muslime in Palästina und überall“ ausgeführt.

Das Fest in Solingen war kurz nach der Tat abgebrochen worden, in der Stadt herrschte Entsetzen – und darüber hinaus. Noch Freitagnacht war zunächst NRW-Innenminister Reul nach Solingen gereist, am Samstag folgten dann NRW-Ministerpräsident Henrik Wüst (CDU) und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), die sich allesamt bestürzt zeigten – so wie Po­li­ti­ke­r*in­nen bundesweit.

Kurz vor der Festnahme von Issa al-H. hatte die Polizei mit Spezialeinheiten eine Solinger Flüchtlingsunterkunft durchsucht und einen Zeugen, der mit dem 26-Jährigen in Kontakt stand, mit zur Polizeiwache genommen. Bereits am Samstagvormitag war ein 15-Jähriger vorläufig festgenommen worden, der mit Issa al-H. auf dem Stadtfest über eine mögliche Messerattacke gesprochen haben soll.

Erst im Mai hatte ein Messerangriff eines 25-jährigen Afghanen auf eine Kundgebung des Anti-Islam-Aktivisten Michael Stürzenberger in Mannheim für Bestürzung gesorgt. Ein Polizist wurde dabei getötet. Vor gut einem Jahr hatte zudem ein Islamist in Duisburg einen Mann mit einem Messer getötet und vier weitere verletzte. 2021 hatte ein 27-Jähriger in einem ICE in Bayern auf drei Menschen eingestochen, 2020 ein 20-Jähriger in Dresden einen Mann erstochen und seinen Partner verletzt. Auch diese Taten wurden als islamistisch eingestuft.

Wieder Debatte um Messerverbote

Schon vor dem Angriff von Solingen hatte Innenministerin Faeser eine Verschärfung des Waffenrechts für Messer gefordert. In der Öffentlichkeit erlaubt werden sollen nur noch Messer mit einer Klingenlänge bis zu sechs Zentimeter, derzeit liegt die Grenze bei zwölf Zentimetern. Springmesser sollten komplett verboten werden.

Die Grünen unterstützen den Vorstoß. Verbote verhinderten nicht jede Straftat, erklärte der Grünen-Innenpolitiker Marcel Emmerich. „Aber mit Verboten drücken wir aus, dass es nicht normal ist, immer ein Messer dabei zu haben. Wir dürfen das nicht dulden und müssen Messer ächten, mit klaren Verschärfungen.“

Die FDP lehnte Faesers Vorstoß bisher allerdings als „Symbolpolitik“ ab. Nach Solingen sagte Justizminister Marco Buschmann (FDP) nun der Bild, man werde in der Regierung nochmal beraten, wie mit Messerkriminalität umzugehen sei.

CDU-Mann fordert Kehrtwende der Ampel oder Rücktritt

Die Tat von Solingen beeinflusst auch die Wahlkämpfe zu den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg. Schon kurz nach der Tat forderte Thüringens AfD-Spitzenkandidat Björn Höcke, „den Irrweg der erzwungenen Multikulturalisierung“ zu beenden. CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt erklärte, die Tat von Solingen sei „eine Zäsur“. Es könne so nicht weitergehen. „Die Ampel muss jetzt endlich fundamental etwas ändern oder zurücktreten.“

Solingens Oberbürgermeister Tim Kurzbach (SPD) erklärte nach der Tat, es herrsche in der Stadt „Entsetzen und große Trauer“. „Es zerreißt mir das Herz.“ Er bete für alle, die noch um ihr Leben kämpften, so Kurzbach. Bereits am Samstag hatten sich Menschen in Solingen am Tatort versammelt. Für Sonntagvormittag waren Trauergottesdienste in Solingen geplant.

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