Ankerverbot in Berlin: Solidarität auf dem Wasser

Seit drei Monaten gilt auf Berliner Gewässern ein Ankerverbot. Das rüttelt an der Vision vom freien Leben auf dem Wasser. Ein Hausboot-Besuch.

Der Klassenkampf um die Spree ist noch nicht entschieden Foto: Kai Liesegang

BERLIN taz | Jan Ebel schaut aufs Wasser und sucht in der Ferne nach bekannten Bootsgesichtern. Er kennt viele hier in der Rummelsburger Bucht, die wie er auf Booten leben. Nur wenige sind schon so lange auf dem Wasser wie Ebel und seine Familie. Vor 13 Jahren hat der als Kindergärtner arbeitende Erzieher seinen Lebensmittelpunkt auf den schwankenden Untergrund verlegt. Neun davon lebt er nun schon ganzjährig auf seinem Hausboot.

Jan Ebel, Hausbootbewohner

„Die Bedrohung, die mit der Verordnung einhergeht, ist existenziell“

Doch es sind unruhige Zeiten angebrochen. Das seit Juni dieses Jahres geltende Ankerverbot rüttelt heftig an der Vision vom Leben auf dem Wasser. „Noch haben wir diesen Freiraum. Aber wir erleben gerade live, wie dieser immer weiter eingeschränkt wird“, sagt Ebel. „Die Bedrohung, die mit der Verordnung einhergeht, ist existenziell.“

Sein Boot und Zuhause ankern etwa hundert Meter vom Ufer entfernt, mitten auf dem Wasser in der Rummelsburger Bucht, die an die Bezirke Friedrichshain-Kreuzberg und Lichtenberg grenzt. Unter der Woche paddeln Ebel und sein Sohn jeden Morgen mit einem Boot zum Ufer, um dann mit dem Lastenrad in die Kita zu fahren.

Da wird es mit der neuen Regelung schon kompliziert. Denn die Bundesverordnung „zur vorübergehenden Abweichung von der Binnenschifffahrtsstraßen-Ordnung“ verbietet das Stillliegen von Booten außerhalb genehmigter Liegeplätze entlang der innerstädtischen Spree. Das macht das unbemannte Ankern in der Bucht faktisch unmöglich.

Boote schließen sich zu Ankerverbänden zusammen

Ankern ist damit nur noch in Nebengewässern möglich. Die Verordnung sieht auch vor, dass immer eine Person an Bord sein muss, um in einer Gefahrensituation handeln zu können. Personen, die ihren Lebensmittelpunkt auf dem Wasser haben, bereitet das große Sorgen. Denn natürlich ist es auch für Haus­boot­be­sit­ze­r*in­nen notwendig, gelegentlich ans Ufer zu fahren, um Einkäufe zu tätigen, der Lohnarbeit nachzugehen, einen Arzttermin wahrzunehmen oder Freun­d*in­nen zu treffen. Doch die neue Verordnung verhindert genau das und bedroht damit die Existenz der Wasserbewohner*innen.

Um dem entgegenzuwirken, haben sich viele der Boote zu sogenannten Ankerverbänden zusammengeschlossen. Damit soll gewährleistet werden, dass immer eine Person an Bord und ansprechbar ist. Auch Jan Ebel hat sich mit anderen Hausbooten verbunden und kann somit das neue Gebot einigermaßen einhalten. Bei allen negativen Folgen hat das Gesetz also auch einen positiven Effekt: „Alle hier in der Bucht sind viel enger zusammengerückt, um sich gegenseitig zu unterstützen.“

Jan Ebel lebt auf seinem Hausboot seinen Traum Foto: Kai Liesegang

Für alleinstehende Boote ohne Ankerverband bedeutet das Gesetz jedoch ein Vollzeitjob. Für Ebel ist unverständlich, warum auf dem Hauptstrom der Spree wegen erhöhten Verkehrsaufkommens ein komplettes Ankerverbot gilt, obwohl auf beiden Uferseiten genug Raum zum Anlegen und Ankern wäre. Auch an anderen Stellen in Berliner Gewässern sei ausreichend Platz vorhanden. Er fragt sich, wer davon eigentlich profitiert. „Über die Personen und Institutionen, die das Gesetz auf den Weg gebracht haben, lässt sich nur mutmaßen“, sagt Ebel.

Die Lichtenberger CDU-Fraktion frohlockt auf ihrer Facebook-Seite, dass mit der neuen Verordnung endlich ein Mittel gefunden worden sei, „um verantwortungslose Stilllieger in den Griff zu bekommen und gleichzeitig den geregelten Wassersport und Wassertourismus weiter zu ermöglichen“. Stillliegende Boote, die zum Wohnen oder für Partys „zweckentfremdet“ würden und damit bei An­woh­ne­r*in­nen durch Müll und Lärm für Unmut sorgten, sind der CDU schon lange ein Dorn im Auge. Ebenso wie unbeaufsichtigte Boote, die auf dem Wasser treiben und sinken.

Schätzungsweise 80 Fluss­be­woh­ne­r:in­nen in der Bucht

Wie viele Boote sich genau auf dem Wasser befinden, ist nicht bekannt. Laut Schätzungen sind es in der Bucht aktuell rund 200, auf denen um die 80 Personen temporär oder dauerhaft leben. Zuständig für die Wasserstraßen Berlins ist das Bundesverkehrsministerium (BMDV). Auch hier wird die neue Regelung mit dem Problem von schrottreifen, verkehrsuntüchtigen, nicht ordnungsgemäß gekennzeichneten oder besitzlosen Booten begründet.

Jan Ebel sitzt auf einem Hocker, über ihm baumeln ein rostiges Beil und ein alter Anker – Fundstücke vom Grund der Bucht. Er zeigt auf einen schräg stehenden Kahn im Wasser, nicht weit von seinem Boot entfernt. „Natürlich bin ich auch dafür, dass schrottreife und nicht zuordenbare Schwimmkörper hier verschwinden und abgeschleppt werden“, sagt er. Aber das wäre auch ohne neue Regelung möglich gewesen. „Mit der Verordnung wird vor allem gezeigt, dass es eine starke Lobby gegen uns gibt.“

Aus eigener Initiative organisiert Jan Ebel mit Freun­d*in­nen und anderen Boots­be­woh­ne­r*in­nen seit Jahren große Umweltaktionen auf der Spree. „Wir wollen dem Wasser auch etwas zurückgeben“, sagt er. Dafür ziehen sie mehrmals im Jahr ehrenamtlich Tonnen von Schrott und Müll aus dem Wasser. Hinter den Aktionen steht der gemeinnützige Verein Spree:­pu­blik, bei dem Ebel Mitglied ist. Er versteht sich als Zusammenschluss von Berliner Kunst- und Kulturflößen sowie der unkommerziellen Freizeitschifffahrt.

Neben Umweltaktionen organisiert er auch Integrationsprojekte, Infoveranstaltungen und Kunst- und Kulturveranstaltungen. Ziel ist, den Zugang zum Wasser jenseits kommerzieller Interessen für alle zu öffnen und für eine partizipative Nutzung der Gewässer einzutreten. Formiert und gegründet hat sich Spree:­pu­blik im Zuge der Androhung des Ankerverbots, das bereits vor mehreren Jahren im Raum stand und zunächst erfolgreich abgewehrt werden konnte.

Im Winter kommt das Aussterben

Auch Maloup Mendes ist mit ihrem Kollektiv und dem Kulturfloß Anarche Teil der Spree:­pu­blik. Bei den genannten Schrottbooten in der Bucht sei jahrelang unklar gewesen, wer für ihre Bergung eigentlich verantwortlich ist, sagt sie. Um nicht einfach zuzusehen, wie ein Boot nach dem anderen auf den dunklen Grund der Rummelsburger Bucht sinkt, sind sie vor Jahren mit der Spree:­pu­blik selbst aktiv geworden. „Wir haben irgendwann angefangen, eigenes Bergungsmaterial zu kaufen, um die Schiffe entsorgen zu können und haben dabei viele Erfahrungen gesammelt.“

Auch Mendes hält Reglementierungen auf dem Wasser prinzipiell für notwendig, um den Problemen gerecht zu werden. Doch die neue Regelung sei dabei wenig hilfreich, sagt sie. Sie schlägt stattdessen die Einführung einer kostengünstigen Versicherungspflicht für alle Boote vor. Die würde die Be­sit­ze­r*in­nen dazu anhalten, mehr Acht zu geben und den Zustand ihrer Boote im Blick zu behalten.

Doch mit der neuen Stillliegeverordnung sei „das Leben auf dem Wasser gekippt“, sagt Mendes. Spätestens ab dem Winter werde es für Viele nicht mehr möglich sein, auf dem Wasser zu leben, weil sie keinen festen Liegeplatz am Ufer haben oder die Ankerwache nicht mehr einhalten können. Für sie fühlt sich die Verordnung „wie ein großes Aussieben an, weil ein Großteil der Wassernutzung nicht mehr möglich ist“.

Der Beschluss trifft jedoch nicht nur Hausbootbewohner*innen, sondern auch Kultur- und Bildungsevents, die auf dem Wasser stattfinden, wie Konzerte, Kinovorstellungen oder Lesungen. Solche Veranstaltungen durchzuführen wird immer schwieriger, wenn Boote nicht mehr einfach irgendwo festgemacht werden können und man allerhand Genehmigungen braucht.

Gründung eines freien Hafens geplant

Durch das Ankerverbot übertragen sich die Gentrifizierungsprozesse, die seit Jahren in der Stadt stattfinden, auf die Spree und bedrohen die letzten Kultur- und Freiräume auf dem Wasser. Um diesem Trend entgegenzuwirken, setzt sich die Spree:­pu­blik für die Gründung eines freien Hafens für Kunst und Kultur in der Rummelsburger Bucht ein. „Mit dem Hafen soll die Demokratisierung des Wassers vorangebracht werden“, sagt Mendes.

Die Idee ist, dass die Stadt einen Teil der Spundwand auf der Seite des Alt-Stralauer Ufers langfristig pachtet, um einen Ort zu schaffen, an dem Kollektiv- und Kulturboote sicher einkehren können. Verwaltet werden soll das Projekt von der Spree:­pu­blik. Damit einher gehen auch Planungen für eine barriereärmere Infrastruktur, öffentliche Toiletten, Müllentsorgung und den notwendigen Dialog mit den Anwohner*innen.

Die Pläne und dafür hat die Spree:­pu­blik dem Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg bereits vorgelegt. Man stehe seitdem in regelmäßigem Austausch mit dem Bezirk, um einen gemeinsamen Fahrplan entwickeln zu können, heißt es. Auch der dafür notwendige gemeinnützige Verein inklusive Satzung wurde bereits gegründet.

Ziel ist es, den Zugang zum Wasser für alle zu gewährleisten und einen Ort zum Austausch sowie ein niedrigschwelliges Kulturangebot zu schaffen. „Wir hoffen sehr, dass wir den Hafen bekommen“, sagt Mendes. Es könnte die Chance auf einen der letzten öffentlichen Orte am Wasser sein, an dem öffentliche Kultur angeboten und geschaffen wird.

Demonstration gegen das Ankerverbot im September

Für Jan Ebel ist die Gemeinschaft auf dem Wasser „ein kleines alternatives Dorf“, das er als Bereicherung für die Stadt sieht und für das er sich einsetzen will. Auch weil es für ihn keine Alternative gibt: An Land zu ziehen, ist für ihn keine Option, aus Berlin weg ziehen möchte er auch nicht. „Ich bin hier angekommen. Das ist mein Ding.“ Vielen seiner Nach­ba­r*in­nen auf dem Wasser würde es ebenso gehen.

Im September soll es daher eine große Demonstration gegen das neue Ankerverbot geben. Dann wollen sie die große Solidarität unter den Boots­be­woh­ne­r*in­nen auf die Spree tragen und für ein freies Leben auf dem Wasser eintreten.

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