Holstein Kiels Bundesliga-Heimpremiere: Die Sache mit dem Ankommen

Der VfL Wolfsburg erteilt dem Aufsteiger beim 2:0-Sieg in Kiel eine Lektion in Sachen Cleverness, die dieser aber nicht voll umfänglich lernen möchte.

Mal wieder in der Bundesliga angekommen: Lewis Holtby grätscht, rennt, eröffnet Foto: HMB-Media/Imago

HAMBURG taz | Mit dem Ankommen ist das so eine Sache: Einerseits ist Holstein Kiel unbestreitbar in der Bundesliga angekommen – und mit dem ersten Heimspiel auch die Bundesliga in Kiel, sogar erstmals auf schleswig-holsteinischem Boden. Für alle, die das nicht glauben können, hatten die Kieler Fans am Samstagnachmittag noch mal in großen Lettern gereimt: „Das geht über eure Vorstellungskraft – Schleswig-Holstein hat ’ne Bundesligamannschaft.“

Andererseits bedeutet „angekommen“ aber eben auch viel mehr, als nur da zu sein. Und dahingehend gibt es durchaus ein paar Zweifel. Nach dem 0:2 gegen den VfL Wolfsburg, der zweiten Niederlage im zweiten Spiel, zeigt sich, dass es noch an manchem fehlt.

Cleverness ist so ein Thema. „Ich weiß nicht, ob das ein Qualitätsunterschied ist, wenn man sich fallen lässt und der Schiri dann abpfeift“, meinte Holstein-Stürmer Benedikt Pichler nach dem Spiel trotzig. Vielleicht müsse man sich das mal in der Videoanalyse anschauen, „ob das was mit Cleverness zu tun“ habe.

Immerhin noch während des Spiels lernten die Kieler, wie rau man in der ersten Liga zu Werke geht: Hatte es in Sachen gelbe Karten in der ersten Halbzeit noch glatt 4:0 für die Gäste gestanden, behielt Holstein im zweiten Durchgang mit 4:3 die Oberhand.

Zwei Tore durch zwei Freistöße

Da waren sie besser ins Spiel gekommen, hatten tatsächlich ein paar gute Chancen, noch einmal heranzukommen. Aber am Ende war alles nichts. Pichler staunte: „Dass er meinen Kopfball da noch wegfischt“, gemeint war Wolfsburgs Torwart Kamil Grabara, „das habe ich in der zweiten Liga auch noch nicht so oft gesehen.“ Es ist aber eben auch nicht mehr zweite Liga.

Holstein-Trainer Marcel Rapp, nachdem er zu einem Handgemenge gespurtet und mit einer Roten Karte vom Platz geflogen war, sah sein Team defensiv stark verbessert gegenüber der 2:3-Auftaktniederlage in Hoffenheim. Er vermisste aber die Cleverness bei den Gegentoren: Beiden waren Freistöße des Wolfsburger Kapitäns Maximilian Arnold vorausgegangen.

Der erste segelte, von der Mauer unhaltbar abgefälscht, ins Tor; beim zweiten kam Innenverteidiger Sebastiaan Bornauw relativ ungehindert zum Hinterkopfball. Was Rapp aber viel mehr störte, war, dass es überhaupt zu diesen Freistößen kurz vor dem eigenen Tor gekommen war.

Auch er hatte gesehen, dass die Wolfsburger sich häufig fallen gelassen hätten, will aber gerade davon nicht lernen: „Ich will nicht sagen: ‚Schmeißt euch immer hin, dann gibt’s nen Freistoß.‘ Das ist nicht das Learning, das wir machen wollen.“

Darauf angesprochen, dass ein erfahrener Mann wie Timo Becker einen Schuss weit neben das Wolfsburger Tor geballert hatte, verwies Rapp darauf, dass so etwas unter dem Druck des Gegners geschehe. „Meine Spieler schießen den Ball ja nicht frei stehend irgendwo hin“, sagte er. „Man muss auch mal sehen, gegen wen wir spielen.“

Lewis Holtby hat die Tauglichkeit bewiesen

Nun, die bisherigen Gegner, Hoffenheim und Wolfsburg, sind nicht gerade oberstes Regal in der Bundesliga. Bei ersteren hat der Rausschmiss der sportlichen Leitung ein veritables Vereinsbeben ausgelöst. Letztere haben eben erst ihren besten Innenverteidiger Maxence Lacroix verloren und stecken erkennbar in der Findungsphase. Ihr Trainer Ralph Hasenhüttl war deswegen auch heilfroh über den „seriösen“ Auftritt seiner Mannschaft, der viel mehr aber auch nicht war.

Deswegen müssen die Kieler sich fragen, wen sie in dieser Liga denn eigentlich schlagen wollen. Die Mannschaft muss die Abgänge von Stammspielern wie Philipp Sander nach Gladbach oder Tom Rothe zu Union Berlin verkraften. Hinzugekommen sind fast nur junge Perspektivspieler aus schwächeren Ligen. Lediglich der Norweger Magnus Knudsen hatte es gegen Wolfsburg in die Startelf geschafft und ein unauffälliges Debüt gegeben. Holstein geht im wesentlichen mit jener Elf in die erste Liga, die in der zweiten zwar nur hauchdünn hinter Meister St. Pauli ins Ziel gegangen, aber auch nicht als Übermannschaft aufgefallen war.

Ein wenig originell schien daher der Befund des Kieler Routiniers Lewis Holtby nach zwei Niederlagen zum Auftakt: „Wir können mehr als mithalten in der Bundesliga“, sagte er. Vielleicht schließt der bald 34-Jährige dabei ein bisschen zu sehr von sich auf andere. Holtby ist Herz, Lunge und Hirn dieser Kieler Mannschaft, rennt auf und ab, grätscht am eigenen Strafraum, leitet fast alle Angriffe ein, wird so häufig gefoult wie kein anderer. Und hinterher stellt er sich bester Laune den Fragen der Journalisten, als wäre er der Pressesprecher und hätte nicht gerade 90 Minuten lang den Rasen umgepflügt.

Holtby ist definitiv in der Bundesliga angekommen. Aber er kennt sie auch noch bestens von früheren Arbeitgebern, sein insgesamt 202. Bundesliga-Spiel war es.

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